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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Franz Dobler hat über sein Leben als Adoptivkind und seine beiden Mütter geschrieben. Er hadert sehr mit dem Thema - und diese Unsicherheit macht seinen Roman souverän.
Von Andreas Lesti
Und wieder mal hat es eine Mama geschafft, sich im Roman ihres Sohnes zu verewigen. So wie Christian Kracht vor drei Jahren in "Eurotrash" seiner schrulligen Mutter ein literarisches Denkmal gesetzt und so wie Wolf Haas vergangenes Jahr in "Eigentum" das Leben seiner Mutter dargelegt hat, so nimmt sich nun Franz Dobler des Themas an. Mit einem entscheidenden Unterschied allerdings: Bei Dobler geht es nicht um eine Mutter, sondern um zwei.
Dobler ist nämlich ein Adoptivkind, daraus hat er nie ein Geheimnis, es in seinen Büchern jedoch auch nie zum Thema gemacht. "Er hatte zwei Mütter", schreibt Dobler nun in seinem neuen Roman. "Die erste Mutter hatte ihn zur Welt gebracht und die zweite Mutter, seine Mama, hatte ihn adoptiert." Selten war ein Satz so einfach und zugleich so vielschichtig und kompliziert. Also: Seine leibliche Mutter hatte einen One-Night-Stand mit einem Perser, den sie nie wieder gesehen hat und an dessen Namen sie sich nicht einmal richtig erinnern kann (Ali? Ahmed?). Sie wurde schwanger, war jung, überfordert und gab ihren Sohn nach der Geburt zur Adoption frei. Die Familie, in die der vier Monate alte Säugling kam, lebte in Oberbayern, in einem Dorf zwischen Landsberg und Schongau, einem konservativen Landstrich mit Alpenblick. Er wolle sich nicht beschweren, schreibt der Protagonist rückblickend, er habe "eine ziemlich gute Kindheit" gehabt, hatte immer ein gutes Verhältnis zu seiner Mama - und zu seinem Vater trotz aller Spannungen auch. Er wächst in einer Eisenbahnersiedlung auf, und seine Eltern sind für ihn da, ungeachtet seiner Herkunft.
Und doch beschäftigen ihn seine Geschichte und die Suche nach seiner Identität sein ganzes Leben lang. Zunächst, als er als kleiner Junge erfährt, dass er adoptiert wurde, später, als er im katholischen Bayern zu rebellieren beginnt, und dann, als er sich auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter macht, in ein anderes bayerisches Dorf fährt, dort seine Oma kennenlernt und erfährt, dass seine Mutter schon vor Jahren nach Amerika ausgewandert war. Und so sitzt er ganz am Ende der Suche und am Anfang des Romans im Flugzeug nach New York, um sie dort zu besuchen.
"Ein Sohn von zwei Müttern" ist kein Buch aus der Ich-Perspektive, es hat einen Erzähler, und der heißt vermutlich Franz Dobler. Das Buch hat aber auch einen Protagonisten namens "er", dritte Person Singular, ebenfalls ein Mann, der Franz Dobler recht ähnlich zu sein scheint: ein heute 65-jähriger Schriftsteller, der in der bayerischen Provinz groß geworden ist, Frau und Tochter hat und heute in Augsburg lebt. Die Geschichte, die der Erzähler den Lesern präsentiert, ist also unverkennbar Doblers Geschichte, und gerade deswegen schafft die Erzählperspektive Abstand, ist eine Art Schutzmechanismus.
Und nicht nur das. Die Unsicherheit, seine Geschichte aufzuschreiben und öffentlich zu machen, zieht sich durch das ganze Buch. Dobler sieht sich selbst dabei zu, wie er verschiedene Anfänge ausprobiert, wie er mit der Umsetzung hadert, alles sein lassen will und immer wieder kursive Klammern einbaut (Kapitel streichen; alles an den Haaren herbeigezogen), (hier sind Belege nötig), (geht das nicht klarer) - als hätte er das Manuskript noch nicht abgeschickt oder es von seinem Lektor zur Überarbeitung zurückbekommen. Diese tastende Unsicherheit ist vom ersten Moment an da, und diese charmante Transparenz macht aus einer scheinbaren Schwäche eine souveräne Stärke des Buchs. Das nachvollziehbare Zögern gräbt sich tief in die Struktur des Romans, bis in die Syntax mancher abgehackter Sätze. Und es geht immer wieder darum, die unkontrollierbare Macht der Erinnerungen und einfache Begrifflichkeiten wie etwa "dankbar" und "undankbar" irgendwie in den Griff zu bekommen: "Undankbar: ein Wort aus den vernebelten Gefühlswelten, von dem keine Sau wusste, wann genau es zutreffend war."
Die zögerliche Herangehensweise an das Adoptionsthema zeigt sich auch in verschiedenen Einschüben, die wie theoretische Übersprunghandlungen wirken. Dobler liest so ziemlich alles zum Thema und zitiert Joan Didion, Michela Murgia, Peter Wawerzinek, sogar Hera Lind. Er erinnert an einen "Tatort" zum Thema, referiert journalistische Interviews und wissenschaftliche Abhandlungen, führt andere Adoptivbiographien an und die These, dass überdurchschnittlich viele Serienkiller unter ihnen seien. Dobler fügt in der Mitte des Buches sogar einen seiner eigenen Texte ein, den er vor 24 Jahren für die Anthologie "Morgen Land" geschrieben hatte. Zehn verwirrende Seiten, plötzlich aus der Ich-Perspektive erzählt, deren Mehrwert für die Adoptionsgeschichte nur bedingt klar wird.
Aber der so montierte Text - er ist mal Sachbuch, mal Roman, mal Regieanweisung und schwankt zwischen Zitaten, Erinnerungen und Selbstzweifel - verstärkt wiederum das Hadern und die Distanz, mit der Dobler sich seinem Lebensthema annähert. Die dritte Person hilft dabei. Nur wenn die Erinnerungen zu persönlich und konkret werden, wirkt die Perspektive etwas gestelzt. Wenn "er" etwa mit Peter Wawerzinek und Wiglaf Droste im Ostberlin der Neunzigerjahre in einer illegalen Kneipe die Nacht durchzecht und intensive Gespräche führt, dann fragt man sich, wer dieser "er" denn bitte sein soll, wenn nicht Franz Dobler?
Das "Bübchen" dagegen, als das Dobler sich selbst als Heranwachsenden in der bayerischen Provinz beschreibt, nimmt man ihm sofort ab. In diesem eigentümlichen oberbayerischen Kosmos der Siebziger- und Achtzigerjahre spielte schon Doblers Debütroman "Tollwut" von 1988. Um die "verwilderte Familie und die verlotterte Wirtschaft" geht es auch in den Erinnerungen in "Ein Sohn von zwei Müttern". Und damit auch um die ganze Gegensätzlichkeit dieser Zeit, diese Mischung aus Trachtenjanker und Punkrock, in der die Eltern Franz Josef Strauß verehrten, die CSU allmächtig war und sich die Jugend als eine Art Abwehrreflex Che-Guevara- und Jimi-Hendrix-Poster an die Wand hängte und Oskar Maria Graf oder Hunter S. Thompson las.
Das Adoptivkind wurde als "Fick-Unfall" bezeichnet und "alle Leute, von denen anständige Bayern denken, sie würden nichts taugen", als "Gschwerl". Es tauchen verwegene Figuren auf, sein Freund Hans, ein kleinkrimineller Bandenanführer, der ihn in seine Obhut nimmt und später als 20-Jähriger auf der Flucht in eine Tankstelle fährt und in seinem Auto verbrennt. Oder der Keller-Sepp, ein Wirt und Viehhändler, Freund seines Vaters und eine bayerische Urgewalt, der beim "Bübchen" gewaltigen Eindruck hinterlässt - und nur noch übertroffen wird von seiner ordinären Frau, die ihm eines Tages an die Wäsche will.
Und dann, Jahrzehnte später, sitzt er im Flugzeug nach New York, blickt auf sein Leben zurück, zweifelt wieder, und seine Frau sagt: "Aus dieser Geschichte wirst du nie ein Buch machen, hast du immer gesagt."
"Man wird alt", entgegnet er.
Und sie: "Du könntest es schreiben, ohne dass es ein Buch werden muss. Soll vorkommen." Und wirft ihm vor, dass er damit nur in eine Talkshow kommen will. Guter Punkt.
"Das Leben ist kein Ponyhof und besonders keine Talkshow, auch wenn es manchmal so aussieht", lautet seine Antwort, die allerdings nichts darüber aussagt, ob Franz Dobler demnächst zum Thema Adoptivkinder bei "Maischberger" oder "Maybrit Illner" sitzen wird.
Franz Dobler: "Ein Sohn von zwei Müttern". Tropen, 224 Seiten, 22 Euro.
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