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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Mit "Ein Sonntagskind" schließt Jan Koneffke seine Familientrilogie ab
Der dritte ist der spannendste und persönlichste Band der Trilogie um die Familie Kannmacher/Koneffke geworden. Seine Entstehung verdankt sich einem Schock: Nach dem Tod des Vaters schickte ihm dessen Jugendfreund ein Bündel Briefe, die unmittelbar nach Kriegsende geschrieben waren - da war der Vater achtzehn. "Ich las Vaters Kriegsschilderungen mit tiefem Entsetzen. Wesentlich schlimmer als seine Geschichten, unmenschlich, beklemmend und schauderhaft, war Vaters Sprache, von abscheulicher Rohheit und irrer Begeisterung." Der Sohn war sich darüber im Klaren, dass ein Halbstarker sich hier vor einem Freund in Szene setzen wollte, trotzdem brachte er diese Sätze nicht mit seinem linksliberalen Vater in Einklang.
Also machte Jan Koneffke sich schreibend auf die Suche nach diesem Unbekannten, seinem Vater, den er im Roman Konrad Kannmacher nennt, und erfindet dessen Leben (von dem schon in "Eine nie vergessene Geschichte" und "Die sieben Leben des Felix Kannmacher" die Rede war) an der Wahrheit entlang. Neben seinen Erinnerungen bezieht er sich auf den Nachlass und Material, das ihm zugespielt wurde. Er setzt damit seinem Vater Gernot Koneffke (1927 bis 2008) ein Denkmal, der ein prominenter Mentor der Frankfurter Studentenbewegung wurde und eine halb marxistisch, halb kantianisch grundierte Pädagogik vertrat, die radikal auf Aufklärung und Reflexion setzte.
Ein halbes Jahr vor Kriegsende wurde sein Vater eingezogen und zur sogenannten "Partisanenbekämpfung" nach Bromberg an die Weichsel geschickt. Er gehört damit zu jener Generation, die, wie Günter Grass, von der Schulbank weg in den Krieg geschickt wurde und zeitlebens von dieser traumatisierenden Erfahrung nicht loskam. Ein schwieriges Terrain, denn nach dem Krieg sah sich diese Generation, inzwischen kämpferische Linke, als das Gewissen der jungen Bundesrepublik - ohne von ihrer Schuld und ihrer Scham sprechen zu können. Man muss "Ein Sonntagskind" auch als gelungene Recherche zu den Motiven des jahrzehntelangen Schweigens dieser Generation lesen.
Wie schreibt man über Gemetzel und Unmenschlichkeit? In welcher Sprache? Aus welcher Perspektive? Diese Suchbewegung durchzieht den Roman und macht seine größte Stärke aus. Denn anders als in Ralf Rothmanns Roman "Im Frühling sterben" ist Konrad alles andere als eine naive, unschuldige Figur. Er mutiert an der Front vom schlaksigen Träumer zum bitter entschlossenen Kämpfer und meldete sich wenige Wochen vor Kriegsende noch zu einem Sonderkommando. Ihn beobachtend, bewegt sich der Erzähler auf schwankendem Boden, und angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die ihn umgeben, gelingt es ihm nicht, neutral zu bleiben. Er wird unter dem Druck der Ereignisse zum Chamäleon, das innerhalb eines Satzes, oft nur durch ein Wort, aus der auktorialen Rolle fällt und in die Psyche des Helden stürzt, um sich im nächsten Satz wieder herauszuarbeiten und aufs Neue um den Überblick zu kämpfen. So kommt er Konrad momentweise ganz nah und tritt doch immer wieder, empört, verzweifelt und abgestoßen, einen Schritt zurück.
Wobei gerade die kleinen, beiläufigen Szenen die stärksten sind. Etwa wenn Konrad sich unmittelbar nach einem Granateinschlag wieder in sein blutverschmiertes Cabrio setzt und die Innerei, die in der Ritze zwischen den Sitzen hängt, leicht angewidert wegschleudert, oder mit seinen Kameraden nach einer Pappelallee, wo an jedem Baum ein Mensch gehängt wurde, in hysterisches Lachen ausbricht - das ist so grotesk (man denkt an Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds") wie quälend.
Vom Skandal dieses Lebensbruches wollte der Autor erzählen und davon, was ein Mensch durch sein Schweigen sich und anderen zufügt. Für ihn als Kind, sagte Koneffke in einem Interview, war die Erfahrung eines permanenten, familiären Zerfallsprozesses prägend: Das spiegeln die unzähligen Liebschaften Konrads und seine gescheiterten Ehen. Gegenüber Moosbachs, den engsten Freunden, die im Krieg aktive Widerständler waren, lügt und laviert er. Wie ein seelisches Spinnennetz halten ihn seine Kriegstaten fest, und in Diskussionen über den Vietnamkrieg und die moralische Überlegenheit der Partisanen erfasst ihn eine Erregung, die er sich selbst nicht erklären kann.
Man merkt diesen Geschichten an, wie nah sie dem Autor gehen. Aber er ist ein zu kluger und erfahrener Erzähler, als dass darunter die Genauigkeit seiner Bilder litte. In sechs eingestreuten, lustvoll-märchenhaften Geschichten zeigt er seinen Helden als innerlich noch nicht ideologisch zugerichteten Jungen, der einen ganz anderen Geschichtsverlauf erträumt. Bei diesen phantastischen Abenteuern stürzt das Sonntagskind Konrad besonders schmerzhaft vom Baum der Erkenntnis.
NICOLE HENNEBERG
Jan Koneffke: "Ein Sonntagskind".
Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2015. 584 S., geb., 24,99 [Euro].
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