Die Art und Weise, wie Paulus mit der Schrift umgeht, ist vielen Exegeten eher peinlich, weil sie von heutigen Standards der Textinterpretation weit entfernt ist. Ganz besonders gilt dies für jene Stellen, an denen sich Paulus einer allegorischen Auslegung bedient, d.h. dem Text einen Sinn unterstellt, der dem Wortlaut widerspricht: In 1 Kor 9,8-12a vertritt Paulus beispielsweise die These, dass sich das Verbot, einem Ochsen beim Dreschen einen Maulkorb anzulegen (Dtn 25,4), nicht auf Ochsen beziehe, sondern die Alimentierung von Aposteln regele. Solche Stellen sind nur verstehbar, wenn man nicht die moderne, sondern die antike Auffassung von sachgemäßer Textinterpretation zum Maßstab nimmt. Zu diesem Zweck untersucht Lanzinger eine repräsentative Auswahl von Vergleichstexten aus der Umwelt des Neuen Testaments (Heraklit, Plutarch, Philon, Qumranschriften) unter der Fragestellung, mit welcher Methodik darin religiöse Traditionen aktualisiert werden. Als wichtiges Analyseinstrument erweisen sich dabei die antiken Rhetorikhandbücher. Es ergibt sich, dass es sich bei der Allegorese um eine in der antiken Welt etablierte und akzeptierte Verfahrensweise mit bestimmten Spielregeln handelt. Diesen Befund wendet Lanzinger auf die einschlägigen Stellen bei Paulus an (v.a. Gal 4,21-31; 1 Kor 9,8-12a; 10,1-14; Gal 3,16). Dabei stellt sich heraus, dass Paulus die Methodik der Allegorese kennt und sie in seinen Briefen gezielt einsetzt, um auf elegante Weise seine Argumente zu unterstreichen.
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