Wer in ein altes Haus zieht, kauft oder mietet damit die Geschichte des Gemäuers mit. So auch Roxane van Iperen, als sie 2012 in eine Villa in niederländischen Naarden, östlich von Amsterdam einzog. Im Zuge der Renovierungsarbeiten entdeckten die Journalistin und ihre Familie nicht nur doppelte
Böden und versteckte Luken, sondern auch andere zahllose andere Zeugnisse der Vergangenheit des Hauses…mehrWer in ein altes Haus zieht, kauft oder mietet damit die Geschichte des Gemäuers mit. So auch Roxane van Iperen, als sie 2012 in eine Villa in niederländischen Naarden, östlich von Amsterdam einzog. Im Zuge der Renovierungsarbeiten entdeckten die Journalistin und ihre Familie nicht nur doppelte Böden und versteckte Luken, sondern auch andere zahllose andere Zeugnisse der Vergangenheit des Hauses und der Menschen, die in ihm wohnten. Das weckte ihre Neugier und sie beginnt zu recherchieren. Das Ergebnis der Recherche ist das Buch „Ein Versteck unter Feinden“.
Das Buch beleuchtet nicht nur die Geschichte des Hauses sondern die aller Menschen, die in ihm ein Versteck gefunden haben. Allen voran die Schwestern Lien und Janny Brilleslijper und deren Familien, dazu zahlreiche verfolgte Juden, denen sie bis zu ihrer Entdeckung 1944 Unterschlupf und ein Heim boten. Die Geschichte liest sich wie eine Mischung aus Roman und Geschichtsbuch, packend, mitreißend, zum Teil spannend und manchmal auch rührend – es ist die Geschichte von vielen unterschiedlichen Menschen, die eines vereint: sie sind Verfolgte und auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen.
Und so schafft die Autorin nicht nur ein bewegendes Buch über ein dunkles Kapitel der Geschichte zu schreiben, sondern auch eines über Menschlichkeit, Freundschaft, Liebe und Vertrauen und leider auch Verrat, Denunziantentum und Tod. Faszinierend schildert sie, wie vernetzt die Mitglieder des Widerstands untereinander waren – und das praktisch unter den Augen der deutschen Besatzer. Und trotz der permanenten Angst schafften die Bewohner des „Hohen Nests“ (Der niederländische Name der Villa ist „t'Hooge Nest“) es, in ihrem Alltag auch schöne Dinge zu erleben: es wurde musiziert, getanzt und auch die Kinder erlebten zum Teil sicher manch schöne Zeiten.
Wie die Geschichte lehrt, fand die Zeit im Versteck im Sommer 1944 ihr Ende, die Bewohner wurden fast alle deportiert, viele verloren ihr Leben in Konzentrationslagern. Im Konzentrationslager Auschwitz trafen die beiden Schwestern Brilleslijper auf die Familie von Anne Frank, Anne und Margot begleiteten sie bis zu deren Tod. Im Nachwort des Buchs finden sich zahlreiche Namen von Menschen, die im Hohen Nest Unterschlupf gefunden haben oder irgendwie damit verbunden waren und Vermerke über ihr weiteres Schicksal. Ein großes Stück Geschichte des niederländischen Widerstands schwarz auf weiß.
Sprachlich ist das Buch sehr ansprechend geschrieben, sachlich aber dennoch lebensnah, lebendig, voller Wärme und Gefühl, selbst bei grausamen und gewaltbehafteten Szenen. Leichte Sprache trifft hier auf sehr schwieriges Thema – eine gelungene Kombination. Der Titel „Ein Versteck unter Feinden“ trifft exakt den Punkt. Nicht so nüchtern wie im Original „‘t hooge nest“ aber wesentlich treffender als „The sisters of Auschwitz“ im Englischen. Die Autorin schaffte es bei mir auch von Anfang an, den Funken überspringen zu lassen, ihre Begeisterung für die Geschichte aber auch ihre Hochachtung für den Einsatz aller Beteiligten, Leben und Überleben in dieser schweren Zeit zu sichern. Das Buch macht betroffen, wütend und angesichts der aktuellen Entwicklungen fassungslos. Ein großes Buch über enorm große Menschen. Klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.