Emine Sevgi Özdamars Bestseller ist die wortgewaltige Begehung eines Raums zwischen Bedrohung und Geborgenheit - ein vielstimmiges Loblied auf ein Nachkriegseuropa, in dem es für kurze Zeit möglich schien, mit den Mitteln der Poesie Grenzen einzureißen. Er ist der sehnsuchtsvolle Nachruf auf die Freunde, Künstler, Bekanntschaften, die sie auf ihrem Weg begleiteten.
Nach dem Militärputsch 1971 flieht die Erzählerin aus Istanbul übers Meer nach Europa. Wie auch andere Künstlerinnen und Künstler, Linke und Intellektuelle fürchtet sie um ihre Existenz. Im Gepäck: das unbedingte Verlangen, den so jäh gekappten kulturellen Reichtum ihres Landes andernorts bekannt zu machen und lebendig zu halten. Im geteilten Berlin, auf den Boulevards von Paris, im Zwiegespräch mit bewunderten Dichtern und Denkern, findet sie schließlich eine »Pause der Hölle«, in der Kunst, Politik und Leben uneingeschränkt vereinbar scheinen.
Nach dem Militärputsch 1971 flieht die Erzählerin aus Istanbul übers Meer nach Europa. Wie auch andere Künstlerinnen und Künstler, Linke und Intellektuelle fürchtet sie um ihre Existenz. Im Gepäck: das unbedingte Verlangen, den so jäh gekappten kulturellen Reichtum ihres Landes andernorts bekannt zu machen und lebendig zu halten. Im geteilten Berlin, auf den Boulevards von Paris, im Zwiegespräch mit bewunderten Dichtern und Denkern, findet sie schließlich eine »Pause der Hölle«, in der Kunst, Politik und Leben uneingeschränkt vereinbar scheinen.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Cornelia Geißler freut sich über diese Veröffentlichung von Emine Sevgi Özdamar, die erste seit langem, wie Geißler feststellt. Wenn Özdamar in diesem Buch ihr Leben Revue passieren lässt, ihre Flucht aus der Türkei nach Deutschland, wo sie als Regieassistentin von Besson arbeitete, weiter nach Paris, Bochum, Frankfurt und München, begegnet Geißler den Schatten von Krieg und Demagogie wie auch dem Wunder der Kunst, des Theaters und der Literatur. Das Springen durch Zeiten und Räume im Text, die vielen festgehaltenen Begegnungen machen die Lektüre so anregend, findet Geißler.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021Eine Lastenträgerin der Lebenden
Vom Fremdsein und vom Verbundensein mit den Toten: Emine Sevgi Özdamars Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum".
Von Fridtjof Küchemann
Einmal hatte sie mit ein paar Flaschen aus der Pariser Hotelbar, mit Wolle und Watte, Stoffresten und Nylonstrümpfen aus dem Theaterfundus die Figuren aus Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" als Puppen gebastelt. Sie sind mit der Produktion zum Festival nach Avignon gekommen und dort im Museum ausgestellt worden. Einmal, bei einer "Woyzeck"-Inszenierung in Bochum, hatte sie ihr ganzes Zimmer mit Kopien und Ausrissen aus Kunstbüchern und Comicheften, aus Zeitschriften und Zeitungen, mit Notizen und einem Manifest vollgehängt, einzig das Bett war freigeblieben. Der Intendant sah die Materialsammlung und bat seinen Bühnenbildner, das Zimmer im Theaterfoyer nachzubauen, damit sich die Zuschauer ein Bild machen konnten von dieser Art, an einem Bühnenstück zu arbeiten.
Wenn Emine Sevgi Özdamar in ihrem neuen Buch "Ein von Schatten begrenzter Raum" eine namenlose Erzählerin von ihrer Arbeit am Theater erzählen lässt, sind die biographischen Verbindungen zur Autorin so offenkundig, dass der Leser sich auch ohne bekannte Namen aus ihrer Theaterkarriere wie Besson, Langhoff und Peymann in Lebenserinnerungen der Schriftstellerin und Schauspielerin statt in einem Roman wiederzufinden meint. Wenn sich aber zerkratzte Fresken in einer verlassenen Kirche zu bewegen beginnen und anstelle biblischer Figuren einstige Mächtige dort auftreten, wenn Krähen der Erzählerin Prophezeiungen machen und gegen Ende des Buchs deren Eintreten abfragen, wenn sich ein Spiegelbild ermächtigt, ihr den Mund zuzukleben, um statt ihrer Fragen zu beantworten, zu denen sie lieber geschwiegen hätte, wenn sich die Erzählerin von einem Seeigel übers Meer von der türkischen Nachbarinsel nach Lesbos, nach Europa führen lässt und wenn sie sich dort, auf Friedhöfen der Städte, in denen sie gerade arbeitet, unversehens auf den armenischen Friedhof Istanbuls versetzt sieht, sind die dichterischen Freiheiten in Özdamars Schreiben so selbstverständlich, dass sich der Leser umgekehrt unwillkürlich zu fragen beginnt, wo genau bei den vielen Theatergesprächen, mehr noch aber bei den bewegenden Szenen mit den Eltern der Erzählerin oder bei manchen traumhaften Zufallsbekanntschaften die Grenze zwischen Erinnertem und Erfundenem verläuft.
Dabei muss diese Frage letztlich für einen Roman ganz unergiebig bleiben, zumal für einen, der wie "Ein von Schatten begrenzter Raum" von einem Materialeinsatz lebt, wie er die Erzählerin und die Autorin auch bei der Theaterarbeit kennzeichnet: von der Verknüpfung von Gefundenem und Erdachtem, freier Variation und Kombination in Rückgriffen und Zeitsprüngen über Jahrzehnte des Erzählten.
Wenn nur der sinnliche Bezug nicht verloren geht: Einmal kommt ihr Theaterlehrer aus Istanbul für ein Stück über "Gastarbeiter" nach Westberlin. Über Wochen stapeln sich Texte, Artikel und Untersuchungen, wächst das Material in jenem Raum 18 des Theaters ins Bedrohliche, Unbewältigbare. Jahre später werden Erzählerin wie Autorin für ihr erstes Theaterstück "Karagöz in Alamania" anderswo Sprache und Form dafür gefunden haben.
Für eine türkische Frau gebe es in Deutschland nur eine Existenz, die der Putzfrau, hatten die Krähen der jungen Schauspielerin vor ihrem Aufbruch prophezeit. Und tatsächlich putzt sie in ein paar Produktionen auf offener Bühne. Eine persönliche Reduktion? Eine künstlerische Entscheidung, weitergedacht, die im Buch zu einer erhellenden Reflexion der Geringschätzung einer solchen Rolle führt.
Der Blick, den Özdamar freigibt auf Fremdsein und Fremd-gemacht-Werden, auf Sprachverlust und Sprachermächtigung, gehört zu den großen Geschenken des Buchs an seine Leser. Istanbul und die Insel, Berlin, Paris und Bochum sind seine wichtigen Stationen, Theaterproduktionen strukturieren Freundschaften und Lieben, eine faszinierende Freiheit und Offenheit in den Begegnungen durchziehen es.
"Ab jetzt bist du Lastenträger für die Toten", heißt es auf den ersten Seiten des Romans, und auch wenn die Erzählerin zu den Schrecknissen des Fliehens und der Fremde zählt, dass man seine Toten auf den Friedhöfen der Heimat zurücklassen muss, sind die Toten in diesem so lebensvollen Buch stets gegenwärtig: Der Genozid an den Armeniern 1915 und das Leid des erzwungenen "Völkertauschs" von griechischen Türken und türkischen Griechen im Jahr 1923 zählen zu den großen Bezugspunkten ihrer Erzählung. Die Mutter sammelt Zeitungsartikel mit Nachrichten über politische Morde in der Türkei der Achtzigerjahre, bis ein Schuhkarton überquillt. Auf Friedhöfen hält die Erzählerin Zwiesprache mit Piaf oder Brecht. Die Pariser Terrorangriffe des Jahres 2015 werden ebenso berührt wie bei der Flucht übers Mittelmeer Ertrunkene.
"Wenn man von seinem eigenen Land einmal weggegangen ist", heißt es an einer Stelle, "dann kommt man in keinem neuen Land mehr an. Dann werden nur manche besonderen Menschen dein Land." Immer wieder lässt sich die Erzählerin also fragen: "Wo wohnen Sie, Madame?" In Besson, im Haar der Deneuve, in den glänzenden Augen von Brasch und Bondy. Einmal antwortet sie, dass sie in der Liebe wohne oder in der Angst, mal in einer Pariser Kaffeetasse oder in einem Telefonbuch. Einmal sagt sie: "Ich wohne in den Schatten, die sich mit Leben erfüllen." So füllt, so erfüllt die Autorin auch ihr Buch: Emine Sevgi Özdamar erweckt Schatten und Schemen zum Leben. Und den Raum, den sie begrenzen, den sie erhellen wie eine Bühne.
Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 763 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Fremdsein und vom Verbundensein mit den Toten: Emine Sevgi Özdamars Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum".
Von Fridtjof Küchemann
Einmal hatte sie mit ein paar Flaschen aus der Pariser Hotelbar, mit Wolle und Watte, Stoffresten und Nylonstrümpfen aus dem Theaterfundus die Figuren aus Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" als Puppen gebastelt. Sie sind mit der Produktion zum Festival nach Avignon gekommen und dort im Museum ausgestellt worden. Einmal, bei einer "Woyzeck"-Inszenierung in Bochum, hatte sie ihr ganzes Zimmer mit Kopien und Ausrissen aus Kunstbüchern und Comicheften, aus Zeitschriften und Zeitungen, mit Notizen und einem Manifest vollgehängt, einzig das Bett war freigeblieben. Der Intendant sah die Materialsammlung und bat seinen Bühnenbildner, das Zimmer im Theaterfoyer nachzubauen, damit sich die Zuschauer ein Bild machen konnten von dieser Art, an einem Bühnenstück zu arbeiten.
Wenn Emine Sevgi Özdamar in ihrem neuen Buch "Ein von Schatten begrenzter Raum" eine namenlose Erzählerin von ihrer Arbeit am Theater erzählen lässt, sind die biographischen Verbindungen zur Autorin so offenkundig, dass der Leser sich auch ohne bekannte Namen aus ihrer Theaterkarriere wie Besson, Langhoff und Peymann in Lebenserinnerungen der Schriftstellerin und Schauspielerin statt in einem Roman wiederzufinden meint. Wenn sich aber zerkratzte Fresken in einer verlassenen Kirche zu bewegen beginnen und anstelle biblischer Figuren einstige Mächtige dort auftreten, wenn Krähen der Erzählerin Prophezeiungen machen und gegen Ende des Buchs deren Eintreten abfragen, wenn sich ein Spiegelbild ermächtigt, ihr den Mund zuzukleben, um statt ihrer Fragen zu beantworten, zu denen sie lieber geschwiegen hätte, wenn sich die Erzählerin von einem Seeigel übers Meer von der türkischen Nachbarinsel nach Lesbos, nach Europa führen lässt und wenn sie sich dort, auf Friedhöfen der Städte, in denen sie gerade arbeitet, unversehens auf den armenischen Friedhof Istanbuls versetzt sieht, sind die dichterischen Freiheiten in Özdamars Schreiben so selbstverständlich, dass sich der Leser umgekehrt unwillkürlich zu fragen beginnt, wo genau bei den vielen Theatergesprächen, mehr noch aber bei den bewegenden Szenen mit den Eltern der Erzählerin oder bei manchen traumhaften Zufallsbekanntschaften die Grenze zwischen Erinnertem und Erfundenem verläuft.
Dabei muss diese Frage letztlich für einen Roman ganz unergiebig bleiben, zumal für einen, der wie "Ein von Schatten begrenzter Raum" von einem Materialeinsatz lebt, wie er die Erzählerin und die Autorin auch bei der Theaterarbeit kennzeichnet: von der Verknüpfung von Gefundenem und Erdachtem, freier Variation und Kombination in Rückgriffen und Zeitsprüngen über Jahrzehnte des Erzählten.
Wenn nur der sinnliche Bezug nicht verloren geht: Einmal kommt ihr Theaterlehrer aus Istanbul für ein Stück über "Gastarbeiter" nach Westberlin. Über Wochen stapeln sich Texte, Artikel und Untersuchungen, wächst das Material in jenem Raum 18 des Theaters ins Bedrohliche, Unbewältigbare. Jahre später werden Erzählerin wie Autorin für ihr erstes Theaterstück "Karagöz in Alamania" anderswo Sprache und Form dafür gefunden haben.
Für eine türkische Frau gebe es in Deutschland nur eine Existenz, die der Putzfrau, hatten die Krähen der jungen Schauspielerin vor ihrem Aufbruch prophezeit. Und tatsächlich putzt sie in ein paar Produktionen auf offener Bühne. Eine persönliche Reduktion? Eine künstlerische Entscheidung, weitergedacht, die im Buch zu einer erhellenden Reflexion der Geringschätzung einer solchen Rolle führt.
Der Blick, den Özdamar freigibt auf Fremdsein und Fremd-gemacht-Werden, auf Sprachverlust und Sprachermächtigung, gehört zu den großen Geschenken des Buchs an seine Leser. Istanbul und die Insel, Berlin, Paris und Bochum sind seine wichtigen Stationen, Theaterproduktionen strukturieren Freundschaften und Lieben, eine faszinierende Freiheit und Offenheit in den Begegnungen durchziehen es.
"Ab jetzt bist du Lastenträger für die Toten", heißt es auf den ersten Seiten des Romans, und auch wenn die Erzählerin zu den Schrecknissen des Fliehens und der Fremde zählt, dass man seine Toten auf den Friedhöfen der Heimat zurücklassen muss, sind die Toten in diesem so lebensvollen Buch stets gegenwärtig: Der Genozid an den Armeniern 1915 und das Leid des erzwungenen "Völkertauschs" von griechischen Türken und türkischen Griechen im Jahr 1923 zählen zu den großen Bezugspunkten ihrer Erzählung. Die Mutter sammelt Zeitungsartikel mit Nachrichten über politische Morde in der Türkei der Achtzigerjahre, bis ein Schuhkarton überquillt. Auf Friedhöfen hält die Erzählerin Zwiesprache mit Piaf oder Brecht. Die Pariser Terrorangriffe des Jahres 2015 werden ebenso berührt wie bei der Flucht übers Mittelmeer Ertrunkene.
"Wenn man von seinem eigenen Land einmal weggegangen ist", heißt es an einer Stelle, "dann kommt man in keinem neuen Land mehr an. Dann werden nur manche besonderen Menschen dein Land." Immer wieder lässt sich die Erzählerin also fragen: "Wo wohnen Sie, Madame?" In Besson, im Haar der Deneuve, in den glänzenden Augen von Brasch und Bondy. Einmal antwortet sie, dass sie in der Liebe wohne oder in der Angst, mal in einer Pariser Kaffeetasse oder in einem Telefonbuch. Einmal sagt sie: "Ich wohne in den Schatten, die sich mit Leben erfüllen." So füllt, so erfüllt die Autorin auch ihr Buch: Emine Sevgi Özdamar erweckt Schatten und Schemen zum Leben. Und den Raum, den sie begrenzen, den sie erhellen wie eine Bühne.
Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 763 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Epos der Weltversprengung.« Susanne Mayer DIE ZEIT 20221205