"Um gut schreiben zu können, muss man intensiv leben."
Hätte Shakespeare eine Schwester gehabt, begabt wie er – wie wäre es ihr ergangen? Einer Frau ohne Schulbildung, wie es für untere Stände im elisabethanischen Zeitalter üblich war? Sie bringt sich um. Und schon ist Virginia Woolf bei ihrem
Thema, nämlich der Überlegung, welcher Zusammenhang zwischen der Ausbildung eines Talentes oder Genies…mehr"Um gut schreiben zu können, muss man intensiv leben."
Hätte Shakespeare eine Schwester gehabt, begabt wie er – wie wäre es ihr ergangen? Einer Frau ohne Schulbildung, wie es für untere Stände im elisabethanischen Zeitalter üblich war? Sie bringt sich um. Und schon ist Virginia Woolf bei ihrem Thema, nämlich der Überlegung, welcher Zusammenhang zwischen der Ausbildung eines Talentes oder Genies und den äußeren Lebensbedingungen besteht.
Virginia Woolfs Essay ist jetzt fast 100 Jahre alt, aber hat nichts Verstaubtes an sich. Sie versteht es, ihre Botschaft in anschauliche Bilder zu verpacken und kurzweilig zu präsentieren. Ich bin sicher, ihre Zuhörerinnen im Jahr 1928 hörten ihr genau so gebannt zu wie ich heute der Sprecherin!
Virginia Woolf erzählt von einer fiktiven Figur Mary, in der man unschwer ihr Alter Ego erkennt. Mary besucht ein College für Männer, und dort darf den Rasen nicht betreten, weil sie eine Frau ist, und auch die Bibliothek wird ihr als Frau nur geöffnet mit einem Empfehlungsschreiben. Und sehr anschaulich beschreibt sie das leckere Mittagessen, das dort serviert wird. Anschließend besucht sie ein neugegründetes Frauen-College, das finanziell wesentlich schlechter ausgestattet ist und wo das Mittagessen auch wesentlich ärmlicher ausfällt. Warum ist das so? Warum sind Frauen arm? Welche Auswirkungen hat das auf ihren Geist? Warum wird ihre Arbeit so anders bewertet als die von Männern? Mary unternimmt einen Spaziergang und zugleich einen amüsanten und kurzweiligen Spaziergang durch die Kulturgeschichte des weiblichen Schreibens. Dabei erkennt sie, dass intellektuelle Freiheit immer von wirtschaftlichen Faktoren abhängig war. Sie sieht aber auch die inneren Auswirkungen. Wer nicht frei von Hass und Bitterkeit ist, kann keinen freien Geist entwickeln, und Einbildungskraft und Genie können sich nicht entfalten.
Und so erklärt sich der Titel: Gebt Frauen also 500 Pfund pro Jahr, ein eigenes Zimmer und ein Schloss an der Tür!
Das sind eigentlich Kampfthesen, aber Virginia Woolf erzählt sie so leichtfüßig, so anschaulich und unverkrampft, dass die Lektüre noch heute lohnend ist.
Sandra Voss, die Sprecherin dieses Hörbuchs, trifft genau diesen unaufgeregten, aber trotzdem kritischen und zugleich eleganten Sprechduktus, den ich mir bei Virginia Woolf vorgestellt hätte.