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© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
Jonathan Littell steckt in einem Albtraum fest
Vor drei Jahren erschien von Jonathan Littell ein schmales Buch mit dem Titel "Eine alte Geschichte". Es enthielt eigentlich zwei Geschichten, nämlich unterschiedliche Versionen eines Traumes. Er beginnt mit einem Schwimmbadbesuch, dann taucht man ab in eine Unterwelt aus Sex, Gewalt und sexueller Gewalt (F.A.Z. vom 9. Juni 2016).
Jetzt erscheint sein Buch "Eine alte Geschichte. Neue Version". Aber eigentlich müsste es heißen: "Neue Versionen", denn es enthält sieben weitere Traumversionen, basierend auf demselben Grundmaterial: Schwimmbad, Verirrung in dunklen Gängen, immr neue Zimmer, Spiegel-Schreckbilder, "das Kind", "die Frau", konkreter wird es nicht. Und dann folgen Schenkel, zuckend, Brüste "wie Äpfel", "Schwanz", schlaff, steif, "Eier", "Arsch", "gekreuzigt von Lust", "groteske Verschlingung der Leiber", "Gestank von Sperma und Scheiße", Frau mit Mann, Mann auf Mann, Mann mit Frau, die aber trotzdem einen Schwanz hat: Verschiebung und Verdichtung, wie sie sich im Traum gehört, doch von welchem und von wessen Wirklichkeitsmaterial? Das erfährt man auch in der Maxi-Version von mehr als dreihundert Seiten nicht, die nun als "Roman" ausgegeben wird. Aber ein Roman ist das bei aller Liebe nicht, es bleibt eine lange Schreibübung, die obsessiv um ein paar Symbole, Motive und Schreckbilder kreist - warum, bleibt offen.
Der Stoff habe seinen Schöpfer gepackt und ihm keine Ruhe gelassen, erfährt man über Littells Motivation der Fortschreibung. Was man über diese noch sagen kann: Die Kriegsszenarien, in die auch das erste Buch schon umschlug, sind hier deutlich ausgeweitet, es gibt Todesschwadronen in Uniform und Kindersoldaten, die einander auf grausamste Weise den Garaus machen - aber auch diese Bezüge bleiben so unkronkret wie die Identität der Figuren. Das alles mag irgendwie inspiriert sein von den furchtbaren Erlebnissen Littells als Reporter (etwa im syrischen Homs oder bei der "Lord's Resistance Army" in Uganda). Was aber, jedes Kontexts beraubt, die bloßen Gewaltschilderungen hier für eine literarische Funktion haben sollen, ist rätselhaft. Erst der paratextuelle Umweg über Littells Reportagen oder seinen umstrittenen Nazi-Roman "Die Wohlgesinnten" (2006) führt dann dazu, dass man anhand des vorliegenden Krypto-Textes Überlegungen zum faschistischen Männertypus und weiteren historischen Bezügen anstellt, die sich aus dem Text selbst aufgrund seiner Vagheit kaum ergeben würden.
Alles in allem ist das ein Fall für die Psychoanalyse, vielleicht noch für die psychoanalytische Literaturwissenschaft. Sie mag dann lange darüber spekulieren, was die Anspielungen auf Mozarts "Don Giovanni" oder Da Vincis "Dame mit dem Hermelin" zu bedeuten haben - die man allerdings auch für sehr gewollte Überhöhungsversuche eines über weite Strecken in Gewaltpornographie schwelgenden Textes halten kann, der dabei nicht eben originelle Sprache verwendet. Seine Unentschiedenheit zwischen Derbheit und Poetisierungswunsch (vor allem bei Gesäß-Metpahern) mag in einem Traum möglich sein, hier wirkt sie nur merkwürdig schief.
JAN WIELE
Jonathan Littell: "Eine alte Geschichte". Neue Version.
Hanser Berlin Verlag,
Berlin/München 2019.
334 S., geb., 26,- [Euro].
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