Miquel ist keine zwanzig Jahre alt, als er den Bruch mit seiner Familie herbeiführt. Er will frei sein, will seinen Leidenschaften und Überzeugungen folgen. Die Textilfabrik, die seine Familie seit sieben Generationen reich macht, interessiert ihn nicht. Stattdessen beginnt er zusammen mit seinem Jugendfreund ein Studium der Literatur an der Universität in Barcelona. Doch schon bald zieht es die beiden jungen Männer aus Faszination für eine Frau in den antifranquistischen Untergrund, und sie laden eine Schuld auf sich, die nie mehr vergeht.
Eine bessere Zeit erzählt vom Aufbegehren gegen die eigene Familie. Es ist ein Roman über die Kraft der Traditionen, über den Glauben an das Schöne angesichts der verlorenen Zeit – sprachgewaltig orchestriert vom Weltbestsellerautor Jaume Cabré.
Eine bessere Zeit erzählt vom Aufbegehren gegen die eigene Familie. Es ist ein Roman über die Kraft der Traditionen, über den Glauben an das Schöne angesichts der verlorenen Zeit – sprachgewaltig orchestriert vom Weltbestsellerautor Jaume Cabré.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.06.2018Der ewige Novize
„Eine bessere Zeit“: Der katalanische Schriftsteller Jaume Cabré erzählt von Familiengeheimnissen und Aufbegehren
Gab es früher „eine bessere Zeit“, wie Jaume Cabrés Romantitel, wenigstens auf Deutsch, behauptet? Dass Miquel am Ende ein „tiefes Heimweh nach allem“ empfindet, könnte dafür sprechen. Vielleicht aber hat er auch nur einen schwachen Moment, der ihn all die familiären Verwerfungen, von denen er lang und breit berichtet hat, in den Wind schlagen lässt. Der Originaltitel „L’ombra de l’eunuc“, „Der Schatten des Eunuchen“, trifft seine Gemütslage schon eher. Mittlerweile Kulturjournalist, gesteht er seinem Freund Bolós mit einem Lächeln: „Wenn der Kritiker sich umsieht, erblickt er den Schatten eines Eunuchen.“
An allem schuld ist letztlich Júlia. An der nostalgischen Stimmung, der Sehnsucht, dem tiefen Heimweh. Denn Júlia lotst Miquel in ein Restaurant, damit er ihr die Geschichte von Bolós erzählt. Miquels Freund ist gestorben, und Julia hat vor, einen Nachruf zu schreiben. Dabei stört es sie wenig, dass Miquel überwiegend von sich und seinen Vorfahren erzählt, von seinen Frauen und seinen früheren politischen Leidenschaften. Vielleicht legt sie es sogar darauf an.
Das Restaurant nämlich befindet sich in der umgebauten herrschaftlichen Villa, die einst Miquels Familie gehört hat. Vor ihr will er das nicht zugeben. Er, der sich dermaßen entblößt, sucht ein paar Geheimnisse zu wahren, um nicht vollends ausgeliefert zu sein. Obwohl ihn die sehr junge, noch dazu attraktive Júlia mehr und mehr fasziniert. Als er einmal auf die Toilette geht, versäumt er nicht, ein Päckchen Kondome zu ziehen. In seinem Herzen herrscht ein ziemliches Durcheinander. Trotz der schönen dunklen Augen, die ihn ansehen, schafft er es, ein zweites Geheimnis zurückzuhalten: Er ist davon überzeugt, dass Bolós ermordet wurde.
Die Rahmenhandlung, nicht mehr als ein Essen in einem Restaurant, wirkt ein bisschen überstrapaziert. Denn selbst, wenn sie am Ende zweimal Kaffee nachbestellen, fragt man sich, wie ein derart ausufernder Lebensbericht – der Roman hat gut 550 Seiten – in diesen Rahmen passen soll. Dafür wäre mindestens eine Nacht mit Júlia nötig gewesen. Aber außer Kondomen nichts davon. Jaume Cabré belässt es mit Blick auf die beiden Figuren bei Andeutungen. Júlia, so vermutet man, würde, je später der Abend, hinter jedes Geheimnis kommen.
Im katalanischen Original ist der Roman schon vor 22 Jahren erschienen. Lang, lang ist das her. Aber auch das Original der deutschen Ausgabe des Romans „Senyoria“ im Jahr 2009 ist schon 18 Jahre vorher erschienen. Warum diese Verzögerung? Die Antwort ist einfach: Nach den beiden früheren Romanen hat Cabré einen Bestseller geschrieben, „Die Stimmen des Flusses“, und wer diesen Roman gelesen hat, wird Cabré immer wieder lesen wollen. Das haben seine Verleger erkannt und greifen mangels Neuem auf Altes zurück – das sie einst links liegen ließen.
Jaume Cabré wurde 1947 in Barcelona geboren, im selben Jahr wie seine redselige Figur Miquel. Die so aufmerksame Júlia wird mit Großvätern und Urgroßvätern traktiert, ein Stammbaum wird gezeichnet, der wahre und der nicht ganz so wahre, die Alten sterben und manchmal auch die Jungen, sodass man, um den Überblick nicht zu verlieren, immer wieder einen Namen mit Kreuz an den Rand kritzelt.
Zum Glück aber gibt es auch einen wie Onkel Maurici, den schwulen Schöngeist, dem die Familie feindselig zusetzt, der aber durch einen tollen Trick das Erbe an sich bringt und nie zur Arbeit gehen muss. Seinem Neffen Miquel vertraut er alles an, worüber in der Familie sonst geschwiegen wird.
Geduldig hört Júlia zu. Sie hätte Miquel ruhig unterbrechen können.
Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, erst Religion, dann Politik, dann Kunst, der ewige Novize, der sich kurzzeitig welcher Leidenschaft auch immer mit religiöser Inbrunst hingibt. Genauso wie seine Freunde Bolós und Rovira verliebt er sich jedes Mal unsterblich in eine Frau, aber alle drei sind so verklemmt, dass nie etwas Ernstes daraus wird.
Mit Frauen ist es manchmal nicht leicht, aber so schwierig dann auch wieder nicht. Eine junge Linksradikale, unglaublich aufregend, doch unerreichbar, bringt Miquel dazu, dass er sich dem Untergrund anschließt, um gegen Francos Diktatur zu kämpfen. Nicht ganz ungelegen entkommt er dadurch seiner großbürgerlichen Familie.
Zwar ist dieser Roman nicht durchweg auf der Höhe, er verliert sich gern in Verästelungen und melodramatisch angehauchten Wendungen, aber die Phase der politischen Inbrunst trifft einen dann doch mit aller Härte. Vier Kämpfer sollen einen Verräter liquidieren. Das Los entscheidet, wer tötet und wer die Leiche beseitigt. Miquel und Bolós atmen auf. Sie werden nur die Spuren beseitigen müssen. Doch dann stellen sie fest, dass der Verräter noch lebt. Die Killer haben nicht sauber gearbeitet. Darum lassen Miquel und Bolós erneut das Los entscheiden. Miquel atmet auf. Und Bolós steckt dem Verräter die Pistole in den Mund.
Nach Francos Tod geht Bolós in die Politik; er wird Abgeordneter im Parlament. Wenn er tatsächlich einem Mord zum Opfer gefallen ist, dann läge das Motiv in einem Racheakt. An diesem Gedanken könnte Miquel irre werden, aber er stümpert schon wieder in einer Liebesgeschichte herum, jetzt, weil seine Religion Kunst heißt, mit einer bezaubernden Geigerin.
Der Familie, die lange eine gut gehende Textilfabrik besaß, geht in der Krise erst die Fabrik und dann die Villa verloren. Miquels Vater macht sich mit seiner Geliebten nach Brasilien davon. Heute befindet sich in der Villa, wie gesagt, ein Restaurant, mit Aufklebern der üblichen Kreditkarten an der Scheibe. Miquel verliert sich in Júlias kohlschwarzen Augen, ihren Haaren, ihrer zarten Haut, „so jung, so beleidigend jung“. Und er wünscht sich, zwanzig Jahre früher geboren zu sein, „weil der Gedanke an den Tod sich wie eine feine Staubschicht über mein Gemüt gesenkt hatte“. Wie sollte er ihr nur alles erklären? Aber das ist die falsche Frage. Er braucht ihr nichts zu erklären. Er braucht sich nur auf sie einzulassen. Hat er irgendetwas von ihr in Erfahrung gebracht? Nein, nichts. Weil er dauernd mit sich selbst beschäftigt ist. So wird auch aus der Geschichte mit Júlia nichts werden.
RALPH HAMMERTHALER
Die Rahmenhandlung: ein Essen
in einem Restaurant, zweimal
wird Kaffee nachbestellt
Der Gedanke an den Tod hat
sich wie eine Staubschicht über
sein Gemüt gesenkt
Jaume Cabré: Eine bessere Zeit. Roman. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt und Petra Zickmann. Insel Verlag, Berlin 2018. 555 Seiten. 24 Euro.
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„Eine bessere Zeit“: Der katalanische Schriftsteller Jaume Cabré erzählt von Familiengeheimnissen und Aufbegehren
Gab es früher „eine bessere Zeit“, wie Jaume Cabrés Romantitel, wenigstens auf Deutsch, behauptet? Dass Miquel am Ende ein „tiefes Heimweh nach allem“ empfindet, könnte dafür sprechen. Vielleicht aber hat er auch nur einen schwachen Moment, der ihn all die familiären Verwerfungen, von denen er lang und breit berichtet hat, in den Wind schlagen lässt. Der Originaltitel „L’ombra de l’eunuc“, „Der Schatten des Eunuchen“, trifft seine Gemütslage schon eher. Mittlerweile Kulturjournalist, gesteht er seinem Freund Bolós mit einem Lächeln: „Wenn der Kritiker sich umsieht, erblickt er den Schatten eines Eunuchen.“
An allem schuld ist letztlich Júlia. An der nostalgischen Stimmung, der Sehnsucht, dem tiefen Heimweh. Denn Júlia lotst Miquel in ein Restaurant, damit er ihr die Geschichte von Bolós erzählt. Miquels Freund ist gestorben, und Julia hat vor, einen Nachruf zu schreiben. Dabei stört es sie wenig, dass Miquel überwiegend von sich und seinen Vorfahren erzählt, von seinen Frauen und seinen früheren politischen Leidenschaften. Vielleicht legt sie es sogar darauf an.
Das Restaurant nämlich befindet sich in der umgebauten herrschaftlichen Villa, die einst Miquels Familie gehört hat. Vor ihr will er das nicht zugeben. Er, der sich dermaßen entblößt, sucht ein paar Geheimnisse zu wahren, um nicht vollends ausgeliefert zu sein. Obwohl ihn die sehr junge, noch dazu attraktive Júlia mehr und mehr fasziniert. Als er einmal auf die Toilette geht, versäumt er nicht, ein Päckchen Kondome zu ziehen. In seinem Herzen herrscht ein ziemliches Durcheinander. Trotz der schönen dunklen Augen, die ihn ansehen, schafft er es, ein zweites Geheimnis zurückzuhalten: Er ist davon überzeugt, dass Bolós ermordet wurde.
Die Rahmenhandlung, nicht mehr als ein Essen in einem Restaurant, wirkt ein bisschen überstrapaziert. Denn selbst, wenn sie am Ende zweimal Kaffee nachbestellen, fragt man sich, wie ein derart ausufernder Lebensbericht – der Roman hat gut 550 Seiten – in diesen Rahmen passen soll. Dafür wäre mindestens eine Nacht mit Júlia nötig gewesen. Aber außer Kondomen nichts davon. Jaume Cabré belässt es mit Blick auf die beiden Figuren bei Andeutungen. Júlia, so vermutet man, würde, je später der Abend, hinter jedes Geheimnis kommen.
Im katalanischen Original ist der Roman schon vor 22 Jahren erschienen. Lang, lang ist das her. Aber auch das Original der deutschen Ausgabe des Romans „Senyoria“ im Jahr 2009 ist schon 18 Jahre vorher erschienen. Warum diese Verzögerung? Die Antwort ist einfach: Nach den beiden früheren Romanen hat Cabré einen Bestseller geschrieben, „Die Stimmen des Flusses“, und wer diesen Roman gelesen hat, wird Cabré immer wieder lesen wollen. Das haben seine Verleger erkannt und greifen mangels Neuem auf Altes zurück – das sie einst links liegen ließen.
Jaume Cabré wurde 1947 in Barcelona geboren, im selben Jahr wie seine redselige Figur Miquel. Die so aufmerksame Júlia wird mit Großvätern und Urgroßvätern traktiert, ein Stammbaum wird gezeichnet, der wahre und der nicht ganz so wahre, die Alten sterben und manchmal auch die Jungen, sodass man, um den Überblick nicht zu verlieren, immer wieder einen Namen mit Kreuz an den Rand kritzelt.
Zum Glück aber gibt es auch einen wie Onkel Maurici, den schwulen Schöngeist, dem die Familie feindselig zusetzt, der aber durch einen tollen Trick das Erbe an sich bringt und nie zur Arbeit gehen muss. Seinem Neffen Miquel vertraut er alles an, worüber in der Familie sonst geschwiegen wird.
Geduldig hört Júlia zu. Sie hätte Miquel ruhig unterbrechen können.
Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, erst Religion, dann Politik, dann Kunst, der ewige Novize, der sich kurzzeitig welcher Leidenschaft auch immer mit religiöser Inbrunst hingibt. Genauso wie seine Freunde Bolós und Rovira verliebt er sich jedes Mal unsterblich in eine Frau, aber alle drei sind so verklemmt, dass nie etwas Ernstes daraus wird.
Mit Frauen ist es manchmal nicht leicht, aber so schwierig dann auch wieder nicht. Eine junge Linksradikale, unglaublich aufregend, doch unerreichbar, bringt Miquel dazu, dass er sich dem Untergrund anschließt, um gegen Francos Diktatur zu kämpfen. Nicht ganz ungelegen entkommt er dadurch seiner großbürgerlichen Familie.
Zwar ist dieser Roman nicht durchweg auf der Höhe, er verliert sich gern in Verästelungen und melodramatisch angehauchten Wendungen, aber die Phase der politischen Inbrunst trifft einen dann doch mit aller Härte. Vier Kämpfer sollen einen Verräter liquidieren. Das Los entscheidet, wer tötet und wer die Leiche beseitigt. Miquel und Bolós atmen auf. Sie werden nur die Spuren beseitigen müssen. Doch dann stellen sie fest, dass der Verräter noch lebt. Die Killer haben nicht sauber gearbeitet. Darum lassen Miquel und Bolós erneut das Los entscheiden. Miquel atmet auf. Und Bolós steckt dem Verräter die Pistole in den Mund.
Nach Francos Tod geht Bolós in die Politik; er wird Abgeordneter im Parlament. Wenn er tatsächlich einem Mord zum Opfer gefallen ist, dann läge das Motiv in einem Racheakt. An diesem Gedanken könnte Miquel irre werden, aber er stümpert schon wieder in einer Liebesgeschichte herum, jetzt, weil seine Religion Kunst heißt, mit einer bezaubernden Geigerin.
Der Familie, die lange eine gut gehende Textilfabrik besaß, geht in der Krise erst die Fabrik und dann die Villa verloren. Miquels Vater macht sich mit seiner Geliebten nach Brasilien davon. Heute befindet sich in der Villa, wie gesagt, ein Restaurant, mit Aufklebern der üblichen Kreditkarten an der Scheibe. Miquel verliert sich in Júlias kohlschwarzen Augen, ihren Haaren, ihrer zarten Haut, „so jung, so beleidigend jung“. Und er wünscht sich, zwanzig Jahre früher geboren zu sein, „weil der Gedanke an den Tod sich wie eine feine Staubschicht über mein Gemüt gesenkt hatte“. Wie sollte er ihr nur alles erklären? Aber das ist die falsche Frage. Er braucht ihr nichts zu erklären. Er braucht sich nur auf sie einzulassen. Hat er irgendetwas von ihr in Erfahrung gebracht? Nein, nichts. Weil er dauernd mit sich selbst beschäftigt ist. So wird auch aus der Geschichte mit Júlia nichts werden.
RALPH HAMMERTHALER
Die Rahmenhandlung: ein Essen
in einem Restaurant, zweimal
wird Kaffee nachbestellt
Der Gedanke an den Tod hat
sich wie eine Staubschicht über
sein Gemüt gesenkt
Jaume Cabré: Eine bessere Zeit. Roman. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt und Petra Zickmann. Insel Verlag, Berlin 2018. 555 Seiten. 24 Euro.
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