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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
César Aira schickt Naturmaler durch Südamerika
Zwei junge Männer aus Deutschland reisen zur Pampa und malen dabei. Ihr Auftraggeber: der Universalgelehrte Alexander von Humboldt; ihr Auftrag: die Neue Welt ausgiebig erkunden, vollständig erfassen, detailliert darstellen - so, wie sie ist. Der Weg der Proto-Fotojournalisten Johann Moritz Rugendas und Robert Krause, den sie 1837 und 1838 zu beschreiten planen, hat Anfang und Ende, verläuft linear. Dazwischen liegen die chilenischen Anden und die Flachheit Argentiniens. Schließlich würden sie Buenos Aires erreichen und von da weiter nach Norden vorstoßen.
"Eine Episode im Leben des Reisemalers" heißt dieser Roman des Argentiniers César Aira, der mit Kafka und Borges verglichen und seit Jahren zum Nobelpreiskandidaten ausgerufen wird. Wie ein Sachbuch oder eine historische Abhandlung beginnt er, verwirrt sich aber immer mehr und reiht sich damit ein in das aus nahezu hundert Titeln, zumeist abgedrehten Kurzromanen, bestehende Werk, das der Verlag Matthes & Seitz seit vergangenem Jahr erstmals systematisch auf Deutsch herausgibt, in der "Bibliothek César Aira". Christian Hansens Übersetzung wird diesem der "Dadaist fairy tales" (Aira über Aira) dabei weitaus gerechter als die 2003 bei Nagel & Kimche erschienene, sprachlich behäbigere Variante.
"Die mendocinische Viehzucht, Walzer tanzend im tellurischen Treiben, machte sich die von der latenten chthonischen Gefahr beflügelte Frühreife der Stiere zunutze und belieferte die transandinen Märkte. Zu gern hätte Rugendas ein Erdbeben gemalt, aber man sagte ihm, dass die innere Uhr des Planeten dafür nicht günstig stünde." Auch für die physische Verfassung des Künstlers steht die Uhr nicht günstig: Kaum ist er aus den Anden raus und von der biblisch öden Ebene berauscht, entladen sich Blitze auf Reiter und Pferd, geschieht ein Unfall, findet er "die Kehrseite seiner Kunst": Der Maler verliert fast sein Leben, sein Gesicht ist entstellt.
Rugendas und Krause müssen umkehren an die "Schwelle des Landes", haben die "wahre Pampa", das leere Zentrum Argentiniens gar nicht erreicht. Sie verschiebt sich und entzieht sich: "Nein, man befände sich nicht in der vielgerühmten argentinischen Pampe, wohl aber in etwas, das ihr stark ähnelte. War denn die ,Pampa' noch ebener als die Ebenen, die sie durchquerten?" Rugendas nimmt wegen seiner Schmerzen starke Opiate und verhüllt sich mit einer schwarzen Mantille das Gesicht (und die Sicht); das Malen aber lässt er nicht.
Durchbrochen ist nämlich nun die Oberfläche, das Delirieren öffnet und verengt den Blick, ineinander gleißen der Sog des Erzählers, das Licht der Landschaft, die Absurdie der Indianerüberfälle ("Rugendas war so vertieft, dass er lediglich ,PENG! PENG!' auf sein Blatt schrieb"). An die Stelle von Kontinuität tritt für den Meister der Rekonstruktion und Reproduktion die Wiederholung, also die Wiederholung der Wiederholung der Realität, die sich entfernt. Und doch: "Die Welt wurde unmittelbar, wie ein Roman." In diesem Fall ein sehr dichter und beeindruckender.
ADRIAN SCHULZ.
César Aira: "Eine Episode im Leben des Reisemalers". Roman.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 128 S., geb., 16,- [Euro].
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