Dorothee Wierling erzählt eine bewegende Geschichte, die das Kriegserlebnis auf neue Weise verständlich machen kann. In den Jahren des Ersten Weltkriegs schrieben sich die sozialdemokratische Feministin Lily Braun, ihr Ehemann Heinrich, der gemeinsame Sohn Otto sowie eine enge Freundin der Familie, Julie Vogelstein, etwa 2000 Briefe. Basierend auf dieser fast vollständig erhaltenen Korrespondenz gibt Dorothee Wierling einen einzigartig dichten Einblick in die Alltags- und Gedankenwelt der Briefschreiber/innen während dieser Jahre. Angesiedelt in einem Milieu, in dem sich adlige, bildungsbürgerliche, sozialdemokratische, feministische und lebensreformerische Werthorizonte mit nationalistischer Kriegseuphorie vermischen, wird der Krieg als ein Ereignis erfahren, das zuvor rein Privates und Alltägliches in eine Sphäre von weltgeschichtlicher Bedeutung überführt. Eindrucksvoll lässt uns die Autorin am Kriegsalltag und der Reaktion auf die Ereignisse in der Heimat (vor allem in Berlin) und an der Front teilhaben. Zugleich zeigt sie, wie sich in den Briefen die Gefühle, Beziehungen, Ich-Ideale und die Sinnsuche in einer militarisierten Gesellschaft ausdrücken.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spannend bis zuletzt findet Nina Verheyen diese von Dorothee Wierling historiografisch begleitete Familienkorrespondenz aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Dass die Kriegsbegeisterung des Stammhalters im Schützengraben alle Familienmitglieder ansteckt, wie die Autorin erläutert, geht der Rezensentin allerdings vom emotionalen Deutungsansatz her zu weit. Hier, wie auch an anderen Stellen im Buch, meint sie, hätte die Autorin ihre collageartige Erzählung und die Perspektiven der Familienmitglieder ruhig auch mal verlassen dürfen nach den politischen Ursachen für das Verhalten suchen und zu historischen Analysen kommen können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013Otto als Orest im Schützengraben
Der Erste Weltkrieg als deutsches Projekt und griechische Tragödie: Dorothee Wierling liest die Briefe einer außergewöhnlichen Familie.
Von Nina Verheyen
Als sich der 1897 in Berlin geborene Otto Braun mit gerade siebzehn Jahren freiwillig zum Kriegsdienst meldete und zum ersten Mal in einem Schützengraben saß, schickte er seinen Eltern einen euphorischen Brief: "Wie herrlich, meine lieben Eltern, ich mich im Schützengrabe fühle, kann ich Euch nicht beschreiben!" An einer Beschreibung des Unbeschreiblichen versuchte er sich dann natürlich doch: "das Wesentliche: Vorderste Linie! Da pfeifen die Kugeln ihren entzückenden Sing-Sang-Ton, da bellen die Mörser ihr schweres Lied über unsere Köpfe und die Schrapnells sausen, dass wir uns rasch hinter die Deckung stecken. Dieses Gefühl der Gefahr, zugleich die erste Feuertaufe hat einen unerhörten Reiz."
Die damals prominenten Eltern reagierten ergriffen. Lily Braun, Frauenrechtlerin und Tochter eines preußischen Generals, sah in ihrem Sohn ein hochbegabtes, bislang indes zu weich gebettetes Wunderkind, das an der Front zum Mann reifen sollte, um in der Nachkriegszeit zum Führer Deutschlands aufzusteigen. Über den "Schützengrabenbrief" zeigte sie sich "erschüttert, begeistert, beglückt". Ihr Mann, der sozialdemokratische Publizist Heinrich Braun, war weniger militärisch orientiert. Aber auch ihm machte Ottos Erlebnisbericht "außerordentliche Freude". Das galt erst recht für Julie Vogelstein, eine Freundin von Lily und bald schon die Geliebte Heinrichs.
Die promovierte Kunsthistorikerin wohnte in der Berliner Familienvilla und überhöhte von dort das Geschehen. In ihren Träumen habe sie Otto reiten sehen wie einen "der Griechenjünglinge im Parthenonfries", schrieb sie ihm an die Front, warnte allerdings vor Eile: "Je später der neue Alexander zu seinen Heldentaten auf die Schlachtfelder gelangt, desto eher kann man erwarten, daß er die größeren Aufgaben im Frieden erfüllen wird." Den Frieden erlebte Otto indes nicht, er fiel 1918. Es war Julie Vogelstein, die Ottos Gedichte und Tagebucheinträge posthum publizierte. Ihr Buch, das den Gefallenen als "Frühvollendeten" pries, war seinerzeit ein großer Erfolg.
Dorothee Wierling erzählt diese Geschichte einer Familie im Krieg dicht an den Quellen. Anstelle einer wissenschaftlichen Analyse lässt die stellvertretende Direktorin der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte die Patchworkfamilie Braun-Vogelstein ausführlich über sich selber sprechen. Erhalten sind zweitausend Briefe, dazu Tagebücher, literarische und politische Schriften - selbst für das schreibwütige deutsche Bürgertum ein ungewöhnlich dichter Bestand. Diese Quellen werden von Wierling zusammengefasst und gekonnt verwoben.
Aus den Blickwinkeln der vier Protagonisten, die einander in Liebe verbunden waren, die sich aber auch betrogen und verletzten, entsteht eine collagenartige Erzählung. Zugleich greift die Historikerin kommentierend in das Geschehen ein, und zwar, um dem breiten Publikum "Empathie" mit dieser größenwahnsinnigen Familie zu ermöglichen, also das Verstehen ihrer befremdlichen Perspektiven, ohne diese zu teilen.
Denn Wierlings Prämisse lautet, dass die Kriegseuphorie der Braun-Vogelsteins jenseits geschichtswissenschaftlicher Vermittlung völlig unverständlich ist. Mit ihrer Studie will sie nachvollziehen, warum diese Familie aus sozialdemokratisch-feministischen Kreisen weit über das "Augusterlebnis" hinaus an den Krieg glaubte, und wie es den Protagonisten gelang, dem Kriegsgeschehen Sinn zu verleihen. Diese Sinnstiftung, das macht Wierling eindrucksvoll deutlich, fand maßgeblich in den Briefen statt. Ottos Bewährung im Krieg war ein gemeinsam betriebenes Familienprojekt.
Zwar beschrieb der Sohn seinen Eltern die Erlebnisse an vorderster Linie, aber an deren Interpretation waren die Eltern ebenso wie "Fräulein Vogelstein" intensiv beteiligt. Außerdem versorgte man Otto auf dem Postweg mit Büchern: Die Mutter schickte Nietzsche, der Vater politische und militärische Schriften, seine Geliebte war für Goethe und griechische Literatur zuständig. Derart eingestimmt, wurde das Familienleben mit dem Kriegsgeschehen deutend verknüpft und ins Griechische übertragen.
Als Lily Braun 1916 an einem Schlaganfall starb, vermutete Otto: Die von ihm innig geliebte Mutter habe sich geopfert, damit er leben könne. Entsprechend erwog er, sich von der Front abkommandieren zu lassen. Als er dann aber von einer langjährigen Affäre der Mutter erfuhr, dachte er an Orestes aus der griechischen Mythologie, der die eigene Mutter erschlug, um den Vater zu rächen. In dieser Perspektive hatte der natürliche Tod von Lily Braun ein viel schlimmeres Unheil verhindert. Und der deutsche Orest zog zurück in den Schützengraben.
Empathie hat Konjunktur, nicht nur in den Neurowissenschaften, sondern auch in der Historiographie, die das Verstehen ebenso wie die Gefühle derzeit neu entdeckt. Zu welchen Problemen das führen kann, zeigt Wierlings Studie leider auch. Denn der Versuch, die Gefühle der Akteure reflektierend nachzuvollziehen, führt zwar ungewöhnlich dicht an elitäre Sinnwelten im Ersten Weltkrieg heran und ist insgesamt höchst lesenswert. Aber immer wieder greift das empathische Verstehen zu kurz, oder es geht zu weit.
So ist es voreilig, die Faszination des Krieges in Gefühlen statt in Politik zu suchen - wie Wierling in der Einleitung betont -, war doch beides verwoben. An anderer Stelle werden antisemitische Äußerungen Ottos kleingeredet. Man müsse Otto "zugutehalten", heißt es nach dessen Briefpassage über "die schauerlichste Kehrseite des Judentums": Der zu diesem Zeitpunkt Sechzehnjährige habe "gerade" einen Aufsatz über Herder verfasst, und er übernehme eine Phrase seines - jüdischen - Vaters. Auch sonst erscheint Otto als Opfer, ähnlich wie der Vater selbst, der trotz der späteren Heirat mit Julie Vogelstein am Verlust der Familie zerbrach. Die beiden Frauen dagegen figurieren implizit als Täterinnen. Die eine trieb ihren Sohn in den Krieg, die andere profitierte vom Schicksal der Brauns, und zwar über deren Tod hinaus.
Denn Julie Vogelstein heiratete nicht nur den verwitweten Heinrich. Wann immer ein Familienmitglied starb, edierte sie posthum dessen Schriften oder verfasste quellengestützte Biographien - erst über Otto und Lily, dann über ihren Ehemann, der 1927 der Grippe erlag. "Leben, Sterben und Schreiben", der Untertitel des Buches verweist in dieser Reihenfolge vor allem auf die Rabbinertochter, die sich selbst als unschuldige Beobachterin begriff, von Wierling aber als einflussreicher Akteur des Geschehens entlarvt wird. Ihr haben wir auch den Erhalt der Quellen zu verdanken, denn mit dem Konvolut emigrierte sie in die Vereinigten Staaten.
Man wünschte sich, auf dieser Grundlage noch stärker zur historischen Analyse zu kommen, etwa zu den im Kaiserreich beschränkten Karrieremöglichkeiten einer Promovierten, die in der Familie Braun einen Geliebten fand, aber auch einen intellektuellen Resonanzraum und eine erste Öffentlichkeit, später eben einen schriftstellerischen Gegenstand. Stattdessen schwankt man an Wierlings Seite zwischen Ekelfaszination und Mitleid für den begabten Otto, den gebrochenen Heinrich, die kämpferische Lily und die sphinxhafte Julie. Man liest eine griechisch gedeutete, dabei ziemlich deutsche - und durchweg spannende Geschichte.
Dorothee Wierling: "Eine Familie im Krieg". Leben, Sterben und Schreiben 1914 bis 1918.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 415 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Erste Weltkrieg als deutsches Projekt und griechische Tragödie: Dorothee Wierling liest die Briefe einer außergewöhnlichen Familie.
Von Nina Verheyen
Als sich der 1897 in Berlin geborene Otto Braun mit gerade siebzehn Jahren freiwillig zum Kriegsdienst meldete und zum ersten Mal in einem Schützengraben saß, schickte er seinen Eltern einen euphorischen Brief: "Wie herrlich, meine lieben Eltern, ich mich im Schützengrabe fühle, kann ich Euch nicht beschreiben!" An einer Beschreibung des Unbeschreiblichen versuchte er sich dann natürlich doch: "das Wesentliche: Vorderste Linie! Da pfeifen die Kugeln ihren entzückenden Sing-Sang-Ton, da bellen die Mörser ihr schweres Lied über unsere Köpfe und die Schrapnells sausen, dass wir uns rasch hinter die Deckung stecken. Dieses Gefühl der Gefahr, zugleich die erste Feuertaufe hat einen unerhörten Reiz."
Die damals prominenten Eltern reagierten ergriffen. Lily Braun, Frauenrechtlerin und Tochter eines preußischen Generals, sah in ihrem Sohn ein hochbegabtes, bislang indes zu weich gebettetes Wunderkind, das an der Front zum Mann reifen sollte, um in der Nachkriegszeit zum Führer Deutschlands aufzusteigen. Über den "Schützengrabenbrief" zeigte sie sich "erschüttert, begeistert, beglückt". Ihr Mann, der sozialdemokratische Publizist Heinrich Braun, war weniger militärisch orientiert. Aber auch ihm machte Ottos Erlebnisbericht "außerordentliche Freude". Das galt erst recht für Julie Vogelstein, eine Freundin von Lily und bald schon die Geliebte Heinrichs.
Die promovierte Kunsthistorikerin wohnte in der Berliner Familienvilla und überhöhte von dort das Geschehen. In ihren Träumen habe sie Otto reiten sehen wie einen "der Griechenjünglinge im Parthenonfries", schrieb sie ihm an die Front, warnte allerdings vor Eile: "Je später der neue Alexander zu seinen Heldentaten auf die Schlachtfelder gelangt, desto eher kann man erwarten, daß er die größeren Aufgaben im Frieden erfüllen wird." Den Frieden erlebte Otto indes nicht, er fiel 1918. Es war Julie Vogelstein, die Ottos Gedichte und Tagebucheinträge posthum publizierte. Ihr Buch, das den Gefallenen als "Frühvollendeten" pries, war seinerzeit ein großer Erfolg.
Dorothee Wierling erzählt diese Geschichte einer Familie im Krieg dicht an den Quellen. Anstelle einer wissenschaftlichen Analyse lässt die stellvertretende Direktorin der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte die Patchworkfamilie Braun-Vogelstein ausführlich über sich selber sprechen. Erhalten sind zweitausend Briefe, dazu Tagebücher, literarische und politische Schriften - selbst für das schreibwütige deutsche Bürgertum ein ungewöhnlich dichter Bestand. Diese Quellen werden von Wierling zusammengefasst und gekonnt verwoben.
Aus den Blickwinkeln der vier Protagonisten, die einander in Liebe verbunden waren, die sich aber auch betrogen und verletzten, entsteht eine collagenartige Erzählung. Zugleich greift die Historikerin kommentierend in das Geschehen ein, und zwar, um dem breiten Publikum "Empathie" mit dieser größenwahnsinnigen Familie zu ermöglichen, also das Verstehen ihrer befremdlichen Perspektiven, ohne diese zu teilen.
Denn Wierlings Prämisse lautet, dass die Kriegseuphorie der Braun-Vogelsteins jenseits geschichtswissenschaftlicher Vermittlung völlig unverständlich ist. Mit ihrer Studie will sie nachvollziehen, warum diese Familie aus sozialdemokratisch-feministischen Kreisen weit über das "Augusterlebnis" hinaus an den Krieg glaubte, und wie es den Protagonisten gelang, dem Kriegsgeschehen Sinn zu verleihen. Diese Sinnstiftung, das macht Wierling eindrucksvoll deutlich, fand maßgeblich in den Briefen statt. Ottos Bewährung im Krieg war ein gemeinsam betriebenes Familienprojekt.
Zwar beschrieb der Sohn seinen Eltern die Erlebnisse an vorderster Linie, aber an deren Interpretation waren die Eltern ebenso wie "Fräulein Vogelstein" intensiv beteiligt. Außerdem versorgte man Otto auf dem Postweg mit Büchern: Die Mutter schickte Nietzsche, der Vater politische und militärische Schriften, seine Geliebte war für Goethe und griechische Literatur zuständig. Derart eingestimmt, wurde das Familienleben mit dem Kriegsgeschehen deutend verknüpft und ins Griechische übertragen.
Als Lily Braun 1916 an einem Schlaganfall starb, vermutete Otto: Die von ihm innig geliebte Mutter habe sich geopfert, damit er leben könne. Entsprechend erwog er, sich von der Front abkommandieren zu lassen. Als er dann aber von einer langjährigen Affäre der Mutter erfuhr, dachte er an Orestes aus der griechischen Mythologie, der die eigene Mutter erschlug, um den Vater zu rächen. In dieser Perspektive hatte der natürliche Tod von Lily Braun ein viel schlimmeres Unheil verhindert. Und der deutsche Orest zog zurück in den Schützengraben.
Empathie hat Konjunktur, nicht nur in den Neurowissenschaften, sondern auch in der Historiographie, die das Verstehen ebenso wie die Gefühle derzeit neu entdeckt. Zu welchen Problemen das führen kann, zeigt Wierlings Studie leider auch. Denn der Versuch, die Gefühle der Akteure reflektierend nachzuvollziehen, führt zwar ungewöhnlich dicht an elitäre Sinnwelten im Ersten Weltkrieg heran und ist insgesamt höchst lesenswert. Aber immer wieder greift das empathische Verstehen zu kurz, oder es geht zu weit.
So ist es voreilig, die Faszination des Krieges in Gefühlen statt in Politik zu suchen - wie Wierling in der Einleitung betont -, war doch beides verwoben. An anderer Stelle werden antisemitische Äußerungen Ottos kleingeredet. Man müsse Otto "zugutehalten", heißt es nach dessen Briefpassage über "die schauerlichste Kehrseite des Judentums": Der zu diesem Zeitpunkt Sechzehnjährige habe "gerade" einen Aufsatz über Herder verfasst, und er übernehme eine Phrase seines - jüdischen - Vaters. Auch sonst erscheint Otto als Opfer, ähnlich wie der Vater selbst, der trotz der späteren Heirat mit Julie Vogelstein am Verlust der Familie zerbrach. Die beiden Frauen dagegen figurieren implizit als Täterinnen. Die eine trieb ihren Sohn in den Krieg, die andere profitierte vom Schicksal der Brauns, und zwar über deren Tod hinaus.
Denn Julie Vogelstein heiratete nicht nur den verwitweten Heinrich. Wann immer ein Familienmitglied starb, edierte sie posthum dessen Schriften oder verfasste quellengestützte Biographien - erst über Otto und Lily, dann über ihren Ehemann, der 1927 der Grippe erlag. "Leben, Sterben und Schreiben", der Untertitel des Buches verweist in dieser Reihenfolge vor allem auf die Rabbinertochter, die sich selbst als unschuldige Beobachterin begriff, von Wierling aber als einflussreicher Akteur des Geschehens entlarvt wird. Ihr haben wir auch den Erhalt der Quellen zu verdanken, denn mit dem Konvolut emigrierte sie in die Vereinigten Staaten.
Man wünschte sich, auf dieser Grundlage noch stärker zur historischen Analyse zu kommen, etwa zu den im Kaiserreich beschränkten Karrieremöglichkeiten einer Promovierten, die in der Familie Braun einen Geliebten fand, aber auch einen intellektuellen Resonanzraum und eine erste Öffentlichkeit, später eben einen schriftstellerischen Gegenstand. Stattdessen schwankt man an Wierlings Seite zwischen Ekelfaszination und Mitleid für den begabten Otto, den gebrochenen Heinrich, die kämpferische Lily und die sphinxhafte Julie. Man liest eine griechisch gedeutete, dabei ziemlich deutsche - und durchweg spannende Geschichte.
Dorothee Wierling: "Eine Familie im Krieg". Leben, Sterben und Schreiben 1914 bis 1918.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 415 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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»ein besonders interessanter Beitrag innerhalb der reichhaltigen Literatur zum Ersten Weltkrieg« (Helmut Mörchen, Deutschlandfunk, 08.07.2014) »eine spannende Mentalitätsstudie« (Florian Felix Weyh, dradio Kultur, 29.12.2013)