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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der polnische Dichter Tadeusz Dabrowski gewinnt im Debütroman "Eine Liebe in New York" einem bekannten Thema neue Facetten ab
Als er jung war, galt er als eine der großen Hoffnungen der polnischen Lyrik. Heute, mit knapp vierzig Jahren, hat Tadeusz Dabrowski die Erwartungen erfüllt und sich auch international einen Namen gemacht. Das verdankt er vor allem den Bänden "Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund" und "Die Bäume spielen Wald", für deren gedankliche Tiefe und sprachliche Leichtigkeit er auch in Deutschland viel Lob bekam. Nun versucht er, mit seinem schmalen Erstlingsroman "Eine Liebe in New York" an den Erfolg anzuknüpfen.
Die Handlung, die sichtlich einen autobiographischen Hintergrund hat, ist schnell erzählt. Tad, ein junger Dichter aus Danzig, erlebt während seines Stipendienaufenthaltes in New York eine kurze Liebesbeziehung mit einer schönen Kanadierin namens Megan. Er lernt sie in der U-Bahn kennen und lädt sie spontan zu seiner Lesung ein. Die junge Frau ist Architektin, soweit man als solche jemanden bezeichnen kann, dessen Entwürfe keine praktische Anwendung haben. Denn Megan erschafft keine Bauten, sondern "gewisse Raumkonzepte", die nur dazu da sind, "um unser Leben interessanter zu machen". Und auch das Wort "Liebesbeziehung" passt auf das, was zwischen den beiden passiert, nur bedingt. Ihre Affäre besteht aus zwei Abendessen, ein paar verbalen Duellen und einigen leidenschaftlichen Nächten. Dennoch wird sie für Tad zu einer Art Obsession, so dass er gar nicht anders kann, als sie literarisch festzuhalten: Er schreibt über sie, "um Megan auszuradieren" und in dem seltsamen "Spiel", das sie gespielt haben, "das letzte Wort zu haben".
Das Spiel: ein Wort, das auf viele Relationen in diesem Buch zutrifft. Zum einen handelt es von der in unserer Gesellschaft zunehmenden Tendenz, eine Beziehung auf eine Weise zu gestalten, die Dabrowski eine "nihilistische Ästhetisierung des Lebens" nennt. Damit meint er eben ein ständiges Spiel "zwischen Moral und Amoral, Treue und Untreue", durch das alles, was in einer Beziehung zählen sollte, Offenheit, Vertrauen, Bedürfnis nach Wärme und Nähe, immer öfter ersetzt wird.
Die irritierend flüchtige Beziehung mit Megan und die Begegnung mit der ebenso schwer greifbaren Realität New Yorks, einer Stadt, in der Schönheit, Vergnügen, Schnelllebigkeit, Unvollkommenheit und Zerfall Hand in Hand gehen, bedeuten für Tad aber auch die Möglichkeit, mit seiner eigenen Psyche zu spielen, seine eigenen Grenzen auszuloten. So probiert er in beiden Fällen verschiedene Rollen, Posen und Masken aus. Er will in keiner Weise dem Klischee eines Polen in New York entsprechen, der so viele Male in der polnischen Literatur karikiert wurde (etwa in Janusz Glowackis "Antigone in New York"). Im Gegenteil: Er tut alles, um als ein weltgewandter, erfolgreicher Schriftsteller zu gelten, für den Lesungen in Manhattan, Treffen mit der lokalen Boheme und Essen in teuren Restaurants selbstverständlich sind. Dann aber folgt der letzte gemeinsame Abend mit Megan, den er genau als "die Kehrseite des ersten" gestaltet. Er nimmt sie in ein polnisches Lokal in Greenpoint mit, wo es weder mental noch kulinarisch sonderlich anspruchsvoll zugeht: "Statt Lyrik Leber, statt konzeptueller Architektur Blutwurst und Kutteln."
Ein Ausrutscher? Nein, die Einladung wirkt, als wollte Tad damit einerseits die Kanadierin provozieren, ihre Coolness auf eine Probe stellen, und andererseits sich selbst testen - feststellen, inwieweit er, nachdem er eine Weile eine Neuerfindung seiner selbst geübt hat, in die alte, vertraute Schablone passt. "Kann man sich", überlegt er, "in ein neues Leben einfädeln, wie man sich in den Straßenverkehr einfädelt, um zu schauen, wo es einen hinführt?"
All das erzählt Dabrowski, indem er zwischen zwei Zeitebenen wechselt: Mal ist er in New York und erlebt unmittelbar die Zeit mit Megan, mal zurück in Polen, wo er diese zur Obsession gewordene Beziehung literarisch aufarbeitet. Er tut es in einem poetischen und zugleich sehr suggestiven, metaphernreichen Stil, manchmal macht er dabei allerdings den Fehler, den die meisten Dichter begehen, die sich in Prosa versuchen. Sie können nicht aufhören, Dichter zu sein, sie scheinen zu vergessen, dass beide Genres ganz unterschiedliche Regeln befolgen. Während die Stärke der Poesie in der gedanklichen und stilistischen Kondensation liegt, resultiert ein gelungener Prosatext aus der Kunst des Erzählens. Versucht man beides miteinander zu verknüpfen, führt es dazu, dass der Leser, statt der Handlung zu folgen, angestrengt versucht, die Bedeutung der Metaphern und Vergleiche zu erraten.
Genau dieses Problem könnte der Leser mit diesem Buch haben. Viele Stellen lesen sich so, als wäre es ein Gedicht in Prosa, was durchaus seinen Reiz hat. Doch oft wirken die Bemühungen des Autors, dem Erlebten oder Wahrgenommenen sprachlich möglichst nahe zu kommen, es in einer besonders originellen Form zum Ausdruck zu bringen, zu konstruiert, zu aufdringlich. Etwa dann, wenn er Tad überlegen lässt, wie er Megan "auf links drehen sollte", um "das Schildchen lesen zu können und zu erfahren, ob sie von Hand oder chemisch behandelt werden musste". Und manchmal gehen diese Bemühungen gar auf Kosten der Verständlichkeit: "Flugzeugreisen sind äußerst unmoralisch, sie verlangen eine schnelle Dusche, wo eine mentale Spa-Kur notwendig wäre."
Doch es gibt hier auch viele Passagen, in denen Dabrowski genauso gekonnt wie in seiner Dichtung das Abstrakte mit dem Alltäglichen verbindet und eine Beobachtung oder das Einfangen einer Stimmung mit Witz und Ironie bricht. Vor allem aber: Stammen all diese Bilder und Metaphern wirklich von ihm, dem Autor, oder von seinem dichtenden Ich-Erzähler?
Das ist die Frage - und damit der dritte Teil des besagten Spiels. Denn in diesem Roman findet etwas statt, was Dabrowski einmal in Bezug auf seine Lyrik als "einen Dialog mit der Materie der Sprache" bezeichnete. Ein Text in seiner endgültigen Form stimme ja nie genau damit überein, was er beim Schreiben beabsichtigt habe, erklärte er. Und diese Entfernung zwischen seiner Absicht und dem literarischen Effekt sei ebender Maßstab seiner Selbsterkenntnis. Noch komplizierter verhält es sich mit dem Protagonisten seines Romans. Tad schreibt die Geschichte seiner "Liebe in New York", zugleich wird er selbst geschrieben, wessen er sich auch bewusst ist. "Wenn ich vor meinen Texten davonlaufe, bewirke ich damit, dass sie sich in wahrhaftige Fiktion verwandeln, in glaubwürdige Erfindung", spekuliert er. "Der Text als Häutung", so nennt er dieses Verfahren. Und gibt damit einen Hinweis darauf, warum dieses kleine Buch derart vielschichtiger und raffinierter ist, als es auf den ersten Blick scheint.
MARTA KIJOWSKA
Tadeusz Dabrowski: "Eine Liebe in New York".
Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 144 S., geb., 18,- [Euro].
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