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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Auch in der Liebe geht alles schief: Ayelet Gundar-Goshens Roman über die israelische Staatsgründung
Manchmal ist das Merkwürdigste an einem Buch die Frage, warum es geschrieben wurde. Hier haben wir also mit Ayelet Gundar-Goshen eine gerade einunddreißigjährige Autorin aus Israel, die dem Vernehmen nach in ihrem Land mit Drehbüchern und Kurzgeschichten schon vielfach ausgezeichnet wurde. Sie greift, wie es Privileg der Jugend ist, unerschrocken auf einen historischen Abschnitt zu, der selbst in der bewegten Geschichte Israels zu den spannendsten gehört - die Jahre rund um die Staatsgründung 1948. Noch während in Europa die Schoa mit ihren Millionen Morden stattfindet, rüsten die bereits in Palästina ansässigen Juden ebenso wie die Araber unter den misstrauischen Augen der englischen Besatzung heimlich auf. Dann, als die Vereinten Nationen in ihrer berühmten Abstimmung den Juden einen eigenen Staat gewähren, eröffnen die übervorteilten Araber den Kampf, verlieren, versuchen es wieder. Der unerfreuliche Rest ist bekannt, die Region ist bis heute ein Pulverfass.
Was macht nun die Autorin aus diesem Stoff? Eine Art homerisches Epos vor Historientapete, mit allen dem Genre zugehörigen Versatzstücken wie dem märchenhaft-archaischen Ton und einer weitgehenden Abwesenheit von Realismus und Psychologie. Alle Hauptfiguren werden einzementiert in Äußerlichkeiten, die sich nicht oder nur wenig verändern und mit einer Beharrlichkeit wiederholt werden, die einem zeitgenössischen Leser genauso auf die Nerven gehen kann wie die "kuhäugigen" Schönheiten bei Homer. Das Gesicht der titelgebenden Hauptfigur Jakob Markowitz ist so nichtssagend, "dass das Auge kaum darauf verharren konnte", niemand bemerkt ihn, er ist, zu seinem großen Unglück, praktisch gar nicht da, vor allem nicht für die Frauen. Ein Charisma wie ein schwarzes Loch, könnte man etwas salopper sagen, als es die Autorin tut.
Jakobs bester Freund wiederum, ein sympathischer Kraftprotz, Nichtsnutz, Draufgänger, Held, Araberschlächter und Beglücker der Frauen namens Seev Feinberg geht mit einem Schnauzer durch dieses Buch, von dem es heißt, er sei in der Gegend, wahrscheinlich aber "sogar im ganzen Land" berühmt. Wann immer Seev Feinberg auftritt, muss erst einmal das sprachliche Trommelfeuer des Schnauzers geschlagen werden, der freudig gesträubt oder depressiv hängend, voller Essensreste oder vaginaler Flüssigkeiten sich darzubieten imstande ist. Man könnte sagen, die Figur ist auf ihren Bart zusammengeschnurrt - Schnurr-Bart.
Und so ist es mit allen Charakteren. Fruma Grünberg - die mit den "Sahnebrüsten". Oder Sonia, Seev Feinbergs große Liebe - "die mit dem Orangenduft". Als Sonia und Seev einen Sohn bekommen: ein Kind von "Pfirsichduft" - später, in der Pubertät, versucht der Junge so verzweifelt wie vergebens, ihn abzuwaschen. Bella, Jakob Markowitz' große, unglückliche Liebe, wird unzählige Male mit der Wendung "die schönste Frau, die Jakob Markowitz je gesehen hat", belegt. Und mit diesem so überdeutlich und unveränderlich gekennzeichneten Personal bevölkert Gundar-Goshen nun eine wehmütige, verwickelte Geschichte von mehreren Paaren, deren Konstante ist, dass die Liebe zwischen Männern und Frauen immer schiefgeht.
Noch während des Zweiten Weltkriegs werden Jakob und Seev nach Europa geschickt, um dort als Rettungsmaßnahme Scheinehen einzugehen. Jakob wird die Schönste, Bella, zugeteilt, aber zurück in Tel Aviv, verweigert er als Einziger die vorher vereinbarte Blitzscheidung. Einmal im Leben muckt der arme Teufel auf, will mehr haben, als ihm zusteht, und das bekommt ihm naturgemäß schlecht. Bella hasst ihn, Bella verweigert sich ihm, schließlich verlässt sie ihn und kommt erst Jahre später wieder, mit dem Kind eines anderen im Bauch. Der gutmütige Trottel Jakob zieht es wie sein eigenes auf. Doch auch die große Liebe zwischen Seev Feinberg und seiner Sonia geht beinahe schief, weil Seev über ein schreckliches Kriegserlebnis nicht hinwegkommt.
Opfer sind drei Kinder, die nicht wissen, von wem sie abstammen: Nicht nur Jakobs Sohn ist ein Kuckucksei, sondern auch der des zeugungsunfähigen Seev, da Sonia sich zu Zwecken der ersehnten Fortpflanzung mit dem Irgun-Vizechef eingelassen hat - welcher wiederum Sonia verzweifelt liebt, aber eben nicht bekommt (und sich deshalb sein Haus mit Orangen füllt. Ach ja, der Duft!. Schließlich bringt Seev noch ein arisches Waisenmädchen aus Europa mit. Diese drei Kinder, denen niemand die Wahrheit über ihre Herkunft gesagt hat, reißen Jahre später als Jugendliche aus, ihr Ausflug in die Wüste endet tragisch.
Die Moral von der Geschichte, die Aussage, die These, der rote Faden? Der Grund, warum Ayelet Gundar-Goshen die Tortur auf sich genommen hat, die jeder Roman für den Autor bedeutet? Unbekannt. Unerklärlich.
Nein, das ist kein richtig schlechtes Buch, es hat zwar manche Längen und eine schauerlich unbalancierte Dramaturgie, ist aber oft rührend, bildhaft und auf altmodische Weise poetisch. Es liest sich flott, wenngleich auch die Sexszenen befremden, die so augenzwinkernd und ironisch distanziert daherkommen, wie sie sonst nur Männer nach einer schweren Prostataoperation schreiben.
Die Lyrikerin Ann Cotten hat in ihrem "geduldigen Manifest" vor Jahren dargelegt, dass die Tatsache, dass man einen Text nicht versteht, noch nichts über dessen Qualität aussagt. Genauso gut könnten doch Manko und Unvermögen auf Seiten des Kritikers liegen. Dazu bekennt sich die Rezensentin im Fall von "Eine Nacht, Markowitz" ebenso bestürzt wie leidenschaftlich.
EVA MENASSE
Ayelet Gundar-Goshen: "Eine Nacht, Markowitz". Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2013. 425 S., geb., 22,90 [Euro].
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