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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Gewundene Wege, romantischer Blick, freche Schnauze: Tomer Gardis doppelter Identitätsroman bringt einen erfrischenden Ton in den Zugehörigkeitsdiskurs.
Eine Sache kann schief sein und doch rund wirken. Das Portugiesische hat mit "barocco" sogar ein Wort für schiefrunde Perlen, deren Reiz gerade darin besteht, keine vollendete Kugel zu sein. In diesem Sinne ließe sich auch das Buch des in Berlin lebenden israelischen Schriftstellers Tomer Gardi als "runde Sache" ansehen. So verschieden die beiden darin enthaltenen, in sich wiederum kreisförmig angelegten Erzählungen auf allen Ebenen sind, wirken sie doch wie verzerrte Spiegelbilder voneinander. Hier wie dort nämlich geht es um eine endlose Identitätssuche von Künstlernaturen, und insbesondere ein Motiv ist es, das dieses kuriose Prosa-Paar zur Perle rundet: das des Ewigen Juden.
Gardi fasst den alten Mythos unter Anlehnung an den französischen Feuilletonliteraten Eugène Sue als ewige Strafwanderschaft auf und parallelisiert ihn der Sage des Fliegenden Holländers. Der gleichnamige Propagandafilm der Nationalsozialisten schwingt allenfalls als Assoziation mit, aber der Grund für das ziellose Irren liegt unschwer erkennbar in einem rassistischen Absprechen der Zugehörigkeit, mal ganz direkt, mal romantisch verbrämt.
Die erste der beiden Geschichten ist eine fulminant grobianische Groteske mit so viel Witz, Feuer und Skurrilität, als würde Helge Schneider eine Satire von Scholem Alejchem nachzuerzählen versuchen. Als Icherzähler fungiert ein gewisser Tomer Gardi, ein "gieriger Mensch" und daher stets der Erste am Buffet, wobei ihm am Eröffnungsabend eines Theaterfestivals ein Missgeschick passiert - "ein Stück Salzgürke" flutscht ihm vom Teller, auf dem ausgerechnet der Intendant ausrutscht und "auf seiner Arsch" landet: "Das Leben hat die Kunst beleidigt" - was sich nur durch eine "passende Erklärung", also eine Geschichte, wiedergutmachen lässt. Als ebendie präsentiert sich das freihändig erdachte Antimärchen aus deutschen Wäldern. Einen guten Teil seines enormen Sprachwitzes verdankt es dem dabei verwendeten Gardi-Deutsch, einer von diesem Autor zur Perfektion gebrachten Kunstsprache, deren Reiz gerade darin besteht, kein vollendetes Duden-Idiom zu sein. Dass Gardis "Broken German", das beim Ingeborg-Bachmann-Preis vor einigen Jahren eher konsterniert zur Kenntnis genommen wurde, nicht nur effektvoll lakonisch ist, sondern melodisch und rhythmisch hochgradig durchgeformt, zeigt sich auf Anhieb an Formulierungen wie: "Der Fluss flieste jetzt ruhig und klar. Eine Idylle, ironisiert. Immer eine Frage der Perspektive, die Idylle."
Auch inhaltlich geht es viel um Aussprache und Missverstehen, denn nur so gelangt der sich nach einer "Yacht" sehnende Protagonist auf eine wilde, deutsche "Jagd" (und zwar als Gejagter). Mit diesem Halali stehen zahlreiche urdeutsche Figuren in Verbindung, darunter ein dauerreimender "Erlkönig" und ein sprechender Schäferhund, der aus kompliziert zu erklärenden Gründen eine Gummi-Automatenvagina als Maulkorb trägt und deshalb nur umlautgebrochenes Schäferhund-Deutsch herausbekommt ("Üch brüngü düch üm"). Das immer abstruser werdende Abenteuer, in dessen Verlauf das Gespann aus Hund, Erlkönig und Ewigem Juden - als solcher erscheint der auf der Flucht Verlotternde den anderen bald - lustig plaudernd einen allegorischen Ort (Bad Obdach) erreicht und dort eine adlerbewachte deutsche Arche zu besteigen versucht, was angesichts der hereinbrechenden Sintflut keine schlechte Idee ist, besteht also aus wüst und komisch ineinander verkeilten Versatzstücken der jüdisch-deutschen Kulturgeschichte, eine Antiidylle, ironisiert.
Die scheiternde Assimilation des Helden (Tomer schlüpft in den gehäuteten Erlkönig, wird aber gleich an seiner Sprache enttarnt) ist dabei ebenso Thema wie seine Weigerung, weiter als "ewiger Zeuge", nämlich "Von dem Kreuz zum gehakten Kreuz", herhalten zu wollen: "Ich bin jetzt in Fantasie interessiert." Wie Ahab am Wal endet dieser frechzüngige Ahasver an der Außenseite der durch die Zeiten geworfenen Arche. Und tatsächlich gelingt es dem Autor, diese um ein Haar im Mythos ertrunkene, dabei bis zuletzt krachlustige Erzählung samt abschließendem Clou (einem Identitäts-Rollentausch, einer Verneigung vor dem Theater) in die Rahmenhandlung zurückzuschleudern.
Klassisch erzählt hingegen mutet die von Anne Birkenhauer aus dem Hebräischen übersetzte, auf den ersten Blick rein historisch-biographische Spiegelerzählung an, die freilich ebenfalls einen Ausfall ins Zotige enthält. Zudem gibt es wieder eine eigenwillige Rahmenhandlung, die die Erzählsituation begründet. Demnach ist es ein Museumswächter des Dresdner Albertinums, der die (detailliert recherchierte) Lebensgeschichte des Malers Raden Saleh zum Besten gibt, und zwar leicht barock überbordend und samt erdachtem Gerücht über ein obszönes Porträt, das der javanische Prinz von seinem Mentor Jean Baud, Generalgouverneur von Niederländisch-Ostindien, angefertigt haben soll. Saleh, Gründer der modernen indonesischen Malerei, der Jahrzehnte in Europa verbrachte, bietet sich als Held geradezu an, weil an diesem Grenzgänger Stereotype zu zerbrechen scheinen: ein dunkelhäutiger Mann aus den Kolonien, der weiße Bedienstete hatte und in den europäischen Adelshäusern ein und aus ging. Und doch war er nie Gleicher unter Gleichen, in keiner der Kulturen.
Saleh imitierte alle Stile, malte Porträts, Landschaften, Jagd- und Schiffsszenen in teils romantischer, teils orientalistischer Weise. Von Stadt zu Stadt, von Hof zu Hof zieht der Autor mit seinem Helden, zeigt im Detail, wie Saleh nicht ohne Erfolg um Anerkennung kämpfte, aber ein ewig Wandernder blieb. Sein Weg war auch eine Flucht vor der wie ein Fatum über ihm schwebenden Verpflichtung, als königlich niederländischer Hofmaler in seine alte, von den Kolonialherren versklavte Heimat zurückzukehren, um diese für die neuen Machthaber zu porträtieren. Es geschah gleichwohl. In der Kolonie aber galten die klingenden Titel Salehs nichts. Hier herrschte der nackte Rassismus vor, nicht der kultivierte aus den europäischen Salons, und auch Saleh versank nun endgültig zwischen den Identitäten.
Wie sich diese beiden sprachlich, stilistisch und inhaltlich grundverschiedenen Versionen derselben unerfüllten, aber nie larmoyanten, sondern wundersam couragierten Heimatsuche gegenseitig ausbalancieren und damit auf einer Metaebene (der Zweisprachigkeit) selbst kommentieren, ist nicht nur subtil klug, sondern auch fabelhaft unterhaltsam und selten optimistisch. Die Odyssee selbst ist schließlich schon die halbe Ankunft: Tomer Gardi feiert den Irrweg und das Missverstehen, denn auch so, ja: nur so geht es voran. Immer eine Frage der Perspektive, die Idylle. OLIVER JUNGEN
Tomer Gardi: "Eine runde Sache". Roman.
Zur Hälfte aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz 2021. 256 S., geb., 22,- Euro.
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