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Eine Britin in Italien: Iris Origos Tagebuch von 1939/40
Iris Origo muss eine fabelhafte Erscheinung gewesen sein. Die Einundzwanzigjährige, damals noch Miss Cutting, wurde beschrieben als "zart wie eine Flamme, mit sehr flotter Stimme und ebenso flottem Verstand (. . .), beunruhigend in ihrer Klugheit". Ihr Vater, aus reicher amerikanischer Familie, war früh gestorben, hatte aber dafür gesorgt, dass sie im Ausland aufwuchs, "frei von jeglichem Chauvinismus". Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Italien; die Mutter hatte die Villa gekauft, die Michelozzo für Cosimo Medici in Fiesole gebaut hatte. 1924, mit 22 Jahren, heiratete Iris Cutting den Grafen Antonio Origo. Geld stand zur Verfügung, das junge Paar kaufte ein heruntergekommenes Landgut, La Foce in der Südtoskana, um es wieder in die Höhe zu bringen und den Familien der Nachbarschaft eine Existenz bieten zu können. "Wir wollten etwas finden, was unsere ganze Arbeitskraft in Anspruch nehmen und unserem Leben einen Sinn geben würde."
Bald erwarb sich Iris Origo einen Ruf als Historikerin. Sie schrieb Biographien unter anderen über Bernadino von Siena und Leopardi, vor allem aber das "Toskanische Tagebuch 1943/44. Kriegsjahre im Val d'Orcia". Es berichtet von den schweren Kämpfen zwischen den zurückweichenden deutschen und vordrängenden alliierten Truppen, den Grausamkeiten und auch Denunziationen, aber auch von vielen Beispielen moralischer Bewährung der italienischen Bevölkerung, Taten der Hilfsbereitschaft und Güte auch Fremden, ja Feinden gegenüber. Das Buch wurde in der Welt stark beachtet, es habe "mehr Gutes für uns bewirkt als ein Schlachtensieg", meinte La Stampa.
Nun sind die Aufzeichnungen der Jahre 1939/40 erschienen, als der Krieg schon begann, aber noch ungewiss war, ob Italien daran teilnehmen werde: "Eine seltsame Zeit des Wartens." Kriegsbegeisterung gibt es nicht, im Gegenteil. Die Stimmung ist beklommen, aber nicht gerade pessimistisch, "Optimismus und gefügige Gelassenheit" ist die Parole. Die Deutschen sind allgemein verhasst, an ihrer Seite will man nicht kämpfen. Aber noch lange kann man sich eine italienische Kriegsbeteiligung auch nicht vorstellen, das Vertrauen in Mussolinis politisches Geschick ist groß. Und auch Iris Origo ist "fest überzeugt", dass er keinen Krieg will. Überhaupt sieht sie den italienischen Faschismus mit Milde. Noch im März 1939 wirken die squadristi "gutmütig, freundlich und friedliebend" auf sie: "Unmöglich, sie nicht zu mögen, den Faschismus in seinen Anfängen nicht als echte revolutionäre Bewegung zu verstehen."
Am 9. Juni 1940 - der nächste Tag wird die Entscheidung Mussolinis für den Kriegseintritt bringen - fragt sich die Autorin schon resignierend: "Ist es möglich, ein Land gegen seine historischen Traditionen in den Krieg zu führen, gegen die natürlichen Instinkte und den Charakter seiner Bewohner?" Aber Wochen zuvor hat sie schon von einem jungen Mann berichtet, der den drohenden Krieg ablehnt und die Deutschen erst recht, aber bei Kriegsausbruch sich gleich aktivieren lassen will: "Die ersten paar Monate sind immer die aufregendsten, die will ich nicht verpassen." So funktioniert das.
Und widersprach der Kriegseintritt 1940 wirklich den gewachsenen Traditionen des Landes? Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich der Stil der italienischen Politik geändert: 1911 der Angriff auf Libyen, auch nach den Maßstäben der Kolonialkriege, eine ungewöhnlich blutige Expedition. 1912 folgte die Besetzung des Dodekanes. 1915 tritt das Land ohne Not in den Weltkrieg ein, allerdings gegen den Willen der Mehrheit. 1922 werden neue Operationen in Libyen (auch mit Giftgas) aufgenommen. 1935 beginnt der Abessinien-Krieg. 1936 engagiert sich Italien mit 80 000 Mann im Spanischen Bürgerkrieg. Iris Origo habe über "beste Verbindungen" verfügt, heißt es sicher richtig im Vorwort; der amerikanische Botschafter in Rom war ihr Patenonkel, auf das Piazza-Gerede war sie nicht angewiesen. Und doch fragt sich, was ihr politisch wirklich vor Augen stand. Über die Kriegsführung in Afrika und in Spanien wurde öffentlich geschwiegen, und wenn ihre Gesprächspartner auch möglicherweise mehr wussten, werden sie es der Ausländerin nicht anvertraut haben.
Was es bedeutet, als Britin in Italien 1940 zu leben, spricht sie nicht aus. In ihren Erinnerungen wird sie dreißig Jahre später schreiben, dass sie sich "so zurückhaltend wie möglich" verhielt. Ihr Leben in fremden Ländern hatte sie vor dem Chauvinismus bewahrt, aber auch ein Gefühl der Heimatlosigkeit, des Nichtdazugehörens, hinterlassen, wie Katia Lysy, ihre Enkelin und Verfasserin des Nachworts, glaubt. Vermutlich kommt noch ein persönliches Moment dazu. Nach dem Tod des ersten Kindes geriet die Ehe der Origos in eine Krise, sie ging für Jahre nach England und kehrte erst Ende der dreißiger Jahre zu ihrem Ehemann und nach Italien zurück. Da wird der Wunsch groß gewesen sein, sich zu dem Land zu bekennen, für das sie sich entschieden hatte.
Das ist das vielleicht Eindrucksvollste an diesem kurzen Buch: Wie die Überzeugungen und die Beobachtungen der Autorin sich ergänzen oder auch kreuzen. Die Italiener nennt sie ein individualistisches, skeptisches Volk, mit seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sei es ideologischen Verheißungen nicht zugeneigt. Aber in dieser Nüchternheit liegt auch die Möglichkeit des Opportunismus und zuletzt die des Arrangements mit der Achse. Ein deutscher Propagandafilm über den Polen-Feldzug war im April 1940 noch auf tiefen Unwillen beim (dafür ausgewählten!) Publikum gestoßen. Der über den Frankreich-Feldzug drei Monate später trifft schon auf mehr Zuspruch, "Applaus sogar für die deutsche Flagge über Versailles". Zwei Wochen später beendet Iris Origo ihr Tagebuch, die Arbeit für das Rote Kreuz ließ ihr keine Zeit mehr. STEPHAN SPEICHER.
Iris Origo: "Eine seltsame Zeit des Wartens". Italienisches Tagebuch 1939/40.
Aus dem Englischen von Anne Emmert. Vorwort von Lucy Hughes-Hallet, Nachwort von Katia Lysy. Berenberg Verlag, Berlin 2021. 136 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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