Harlem, 1934: Die 12-jährige Francie wächst in einem rauen Umfeld auf. Ihr geliebter Vater arbeitet als «Number Runner» im illegalen Lotteriegeschäft - besser als so manch denkbare Alternative. Francie ist eine Träumerin, doch Mädchen und Frauen in ihrer Welt haben nur begrenzte Möglichkeiten und sind ständig auf der Hut: vor den Männern, die ihnen auf Hausdächern, im Park oder im Kino auflauern, dem Bäcker, der für Zimtschnecken Gefälligkeiten verlangt, dem allgegenwärtigen Rassismus. Halt findet Francie im vertrauten Netz aus Nachbarn, Familie und Freunden. Aber die Gemeinschaft hat auch ihre Schattenseiten, wie die brutalen Straßengangs, die Macht und Kontrolle verheißen und in deren Sog Francies Bruder immer mehr gerät ...
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Lara Sielmann spricht den Herausgeberinnen Magda Birkmann und Nicole Seifert sowie der Übersetzerin Andrea O'Brien ihren herzlichsten Dank aus für die Wiederentdeckung und Übersetzung von Louise Meriwethers großartigem Debütroman. Hier erzählt die 2023 verstorbene Autorin und politische Aktivistin in einer "slanghaften, melodiösen Sprache" davon, was es bedeutete, als schwarze Frau im New York der 1930er Jahre aufzuwachsen. Dabei kann sie aus eigener Erfahrung schöpfen, weiß Sielmann, was ihrem Buch wohl seine besondere Authentizität und Spannung verleiht. Armut, Hunger, Kriminalität, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung prägten den Alltag und Lebenslauf schwarzer Menschen und vor allem Frauen damals. Dass Meriwethers Protagonistin Francie dennoch nie den Lebensmut verliert, macht sie zu einer umso beeindruckenderen und liebenswerteren Erzählerin, von der sich Sielmann gerne mitreißen lässt - durch die Straßen Harlems.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2023Damit die Welt sie sieht
In ihren Debüts erzählten Louise Meriwether und Toni Morrison von schwarzen Mädchen im weißen Amerika. Nur eine der beiden wurde berühmt. Das sagt viel über die Unsichtbarkeit schwarzer Autorinnen, bis heute.
Von Tobias Rüther
Zwei Anfänge, zwei Kindheiten, zwei Debüts. Das eine spielt in Harlem, 1934, und die junge Francie erzählt uns ihre Geschichte selbst: von ihrer Familie, die in einer feuchtkalten Wohnung haust, von ihrem Vater, der sich und seine Familie mit Glücksspiel durchzubringen versucht, von ihrer Mutter, die ein Zuhause wahren will, von den Straßen Harlems, auf denen Francie und ihre Freundinnen aber eigentlich zu Hause sind - und auf denen am Ende die Unruhen ausbrechen, weil die weiße Polizei schon wieder einen schwarzen Jungen umgebracht hat. Die andere Kindheit, der andere Anfang, das andere Debüt erzählt von der jungen Pecola, aber aus der Sicht ihrer Mitschülerinnen Claudia und Frieda: Es ist 1941, eine Kleinstadt in Ohio, aber die Koordinaten dieser schwarzen Mädchenwelt sind die gleichen wie in Harlem, Armut, Gewalt und ein kleines bisschen Hoffnung, das sich nicht einlösen wird. Zwei amerikanische Debüts, beide 1970 erschienen, das eine, "Sehr blaue Augen" von der Nobelpreisträgerin Toni Morrison, kommt jetzt erneut in deutscher Übersetzung heraus, das andere, "Eine Tochter Harlems" von Louise Meriwether, überhaupt zum ersten Mal.
Ein Grund zu großer Freude: über das Glück, einen Klassiker der amerikanischen Literatur wieder lesen zu dürfen - und einen anderen, von dem man, um die Wahrheit zu sagen, bislang gar nicht gehört hatte. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick, fast auf den Tag genau eine Woche vor dem deutschen Erscheinen ihres Romans "Eine Tochter Harlems", ist Louise Meriwether gestorben. Im Alter von hundert Jahren. Plötzlich wird aus der optimistischen Geschichte über eine Autorin und ihr Buch, das mit fünfzigjähriger Verspätung endlich hierzulande Aufmerksamkeit bekommt und die Anerkennung, um die Meriwether auch in ihrer eigenen Heimat kämpfen musste, doch noch eine traurige. Louise Meriwether wird diesen Augenblick nicht mehr erleben: dass "Daddy was a Number Runner", wie ihr autobiographisch gefärbter Roman im Original heißt, ein transatlantisches Publikum findet.
Meriwether hat auch Kinderbücher geschrieben. Und als Journalistin gearbeitet. Und sich bis ins hohe Alter politisch engagiert. Sie war eine Weggefährtin nicht nur von Toni Morrison und von Alice Walker ("Die Farbe Rosa"), sie gehörte zur sogenannten "Sisterhood": So nannte sich eine Gruppe schwarzer amerikanischer Autorinnen, die in den Siebzigerjahren in New York zusammenfand, um sich gegenseitig zu fördern; um Sichtbarkeit für ihre Arbeit herzustellen. Die Sisterhood entstand im Jahrzehnt nach der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Die hatte zwar Gesetze zur Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung durchgesetzt. Was aber nicht bedeutete, dass Gleichberechtigung auch in der Welt der Bücher entstand. Wenn in der breiten Öffentlichkeit schwarze Literatur eine Rolle spielte, dann höchstens die von Männern. Und selbst bei denen war damals Platz vielleicht für James Baldwin oder Richard Wright. Damit hörte es dann aber auch schon auf.
Es kann nur einen geben: Der amerikanische Historiker Henry Louis Gates jr. hat beschrieben, was diese Unsichtbarkeit der Schwarzen in der breiten amerikanischen Kultur bedeutete. Wenn in Gates' Kindheit im Fernsehen eine schwarze Figur zu sehen war, rannten die Leute in seiner neighborhood auf die Straße, um sich gegenseitig zu alarmieren. Eine Figur, eine Sendung, einmal alle Jubeljahre.
Die Autorinnen der "Sisterhood" um Morrison und Meriwether wollten das ändern - aber solidarisch miteinander sein. Ihr Kampf um Sichtbarkeit war zugleich eine feministische Auseinandersetzung um den Platz in der Welt für schwarze Frauen überhaupt. Es ist sicher kein Zufall, dass Morrison wie Meriwether beim Schreiben ganz am Anfang begannen: in der Kindheit. Meriwethers "Eine Tochter Harlems" handelt wie Morrisons "Sehr blaue Augen" von schwarzen Mädchen am Beginn der Pubertät, vom Leben in den Elendsvierteln: Bei Meriwether ist es Harlem, bei Morrison das von Lorain im Bundesstaat Ohio, wo die Autorin selbst geboren und aufgewachsen ist. Es geht um Hunger, Entbehrung, gebrochene Väter und unbeirrte Mütter, es geht um die Gesellschaft des Ghettos, und es geht immer wieder um sexuelle Ausbeutung: um den weiblichen schwarzen Körper, über den weiße Männer verfügen - und schwarze Männer, Väter auch. In beiden Romanen spielt Prostitution ebenfalls eine zentrale Rolle - als eine der wenigen Optionen schwarzer Frauen, Geld zu verdienen, und als Instrument zu einer Art Selbstermächtigung. Das ist eine vom Mangel an Möglichkeiten begrenzte Welt.
Hinter dieser Grenze schimmert die Welt der Weißen, die Welt der Menschen mit den blauen Augen. Die kleine Pecola wünscht sich blaue Augen, wie der weiße Kinderstar Shirley Temple sie hat - damit Pecola nicht nur die Welt anders sieht, damit auch die Welt sie anders sieht. "Jeden Abend, ausnahmslos, betete sie um blaue Augen. Betete inbrünstig, schon seit einem Jahr. Sie war zwar leicht entmutigt, aber nicht ohne Hoffnung. Bis etwas so Wunderbares wirklich geschah, musste es ja lange, lange dauern."
Sehr blaue Augen: Die Frage der Sichtbarkeit der Schwarzen in einer rassistisch geprägten Welt steht hier schon im Titel. Und die Hoffnungslosigkeit solcher Wünsche, ja der meisten Wünsche auf ein besseres Leben bringt Francie, die Tochter Harlems, am Ende auf eine einfache Formel: "Wir warn alle arm und schwarz und würdens auch bleiben, aus und vorbei."
Und doch. Toni Morrison wurde zur ersten schwarzen Nobelpreisträgerin für Literatur. Sie war Anfang der Sechzigerjahre auch die erste schwarze Lektorin des Verlags Random House. Sie habe Barrieren eingerissen, das liest man immer wieder. Als "Sehr blaue Augen" und "Eine Tochter Harlems" erschienen, wurden beide begeistert in der amerikanischen Presse besprochen. Aber auch die Rezeption dieser beiden Romane zeigt, dass lange offenbar nur Platz für einen Roman über schwarze Mädchen der Dreißigerjahre im Kanon gewesen ist. Und so ein Kanon setzt sich nicht von selbst zusammen, da wäre es schon wichtig gewesen, dass in den Verlagen mehr als nur eine schwarze Lektorin gesessen hätte.
Romane wie "Eine Tochter Harlems" überlebten die Zeit als Geheimtipp. In den vergangenen Jahren, mit den Selbstermächtigungsbewegungen wie Black Lives Matter oder MeToo, die weltweit Verhältnisse zwischen Mehrheiten und Minderheiten veränderten, kam aber auch produktive Unruhe in die Verlage. Eine große Nachholbewegung hat begonnen: Inzwischen finden sich in den Programmen deutscher Verlage regelmäßig Wiederentdeckungen oder neue Übersetzungen von Büchern, die übersehen wurden.
"Eine Tochter Harlems" erscheint in einer neuen Taschenbuchreihe des Rowohlt-Verlags, "rororo Entdeckungen". Betreut wird sie von der Autorin Nicole Seifert und der Buchhändlerin und Literaturvermittlerin Magda Birkmann. Auf Meriwethers Debüt war Birkmann "ganz zufällig" gestoßen: "Als ich mir einmal die Publikationsliste des amerikanischen Verlags The Feminist Press angeschaut habe, bin ich über den Titel gestolpert", sagt sie. "Und habe mich gewundert, dass ich den Namen der Autorin noch nie gehört hatte. Dann habe ich mir das Buch bestellt." Die Nachricht vom Tod Meriwethers hat auch Birkmann jetzt überrascht: "Ich hatte so gehofft, dass wir diese lange überfällige deutsche Übersetzung noch zu ihren Lebzeiten realisieren können. Was für ein trauriger Zufall, dass sie nun doch genau eine Woche vor Erscheinen gestorben ist."
Aber es ist nicht zu spät, Louise Meriwether kennenzulernen. Es ist ein später Anfang für so viele vergessene große Romane der Literaturgeschichte, wie es diese beiden Romane sind. Aber das Glück der Literatur ist ja, dass sie Zeiten überwindet, Gegenwart herstellt. Man muss nur zu lesen beginnen.
Louise Meriwether, "Eine Tochter Harlems". Aus dem Englischen von Andrea O'Brien. 304 Seiten, 15 Euro. Toni Morrison, "Sehr blaue Augen". Aus dem Englischen von Tanja Handels. 272 Seiten, 24 Euro. Beides Rowohlt Verlag.
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In ihren Debüts erzählten Louise Meriwether und Toni Morrison von schwarzen Mädchen im weißen Amerika. Nur eine der beiden wurde berühmt. Das sagt viel über die Unsichtbarkeit schwarzer Autorinnen, bis heute.
Von Tobias Rüther
Zwei Anfänge, zwei Kindheiten, zwei Debüts. Das eine spielt in Harlem, 1934, und die junge Francie erzählt uns ihre Geschichte selbst: von ihrer Familie, die in einer feuchtkalten Wohnung haust, von ihrem Vater, der sich und seine Familie mit Glücksspiel durchzubringen versucht, von ihrer Mutter, die ein Zuhause wahren will, von den Straßen Harlems, auf denen Francie und ihre Freundinnen aber eigentlich zu Hause sind - und auf denen am Ende die Unruhen ausbrechen, weil die weiße Polizei schon wieder einen schwarzen Jungen umgebracht hat. Die andere Kindheit, der andere Anfang, das andere Debüt erzählt von der jungen Pecola, aber aus der Sicht ihrer Mitschülerinnen Claudia und Frieda: Es ist 1941, eine Kleinstadt in Ohio, aber die Koordinaten dieser schwarzen Mädchenwelt sind die gleichen wie in Harlem, Armut, Gewalt und ein kleines bisschen Hoffnung, das sich nicht einlösen wird. Zwei amerikanische Debüts, beide 1970 erschienen, das eine, "Sehr blaue Augen" von der Nobelpreisträgerin Toni Morrison, kommt jetzt erneut in deutscher Übersetzung heraus, das andere, "Eine Tochter Harlems" von Louise Meriwether, überhaupt zum ersten Mal.
Ein Grund zu großer Freude: über das Glück, einen Klassiker der amerikanischen Literatur wieder lesen zu dürfen - und einen anderen, von dem man, um die Wahrheit zu sagen, bislang gar nicht gehört hatte. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick, fast auf den Tag genau eine Woche vor dem deutschen Erscheinen ihres Romans "Eine Tochter Harlems", ist Louise Meriwether gestorben. Im Alter von hundert Jahren. Plötzlich wird aus der optimistischen Geschichte über eine Autorin und ihr Buch, das mit fünfzigjähriger Verspätung endlich hierzulande Aufmerksamkeit bekommt und die Anerkennung, um die Meriwether auch in ihrer eigenen Heimat kämpfen musste, doch noch eine traurige. Louise Meriwether wird diesen Augenblick nicht mehr erleben: dass "Daddy was a Number Runner", wie ihr autobiographisch gefärbter Roman im Original heißt, ein transatlantisches Publikum findet.
Meriwether hat auch Kinderbücher geschrieben. Und als Journalistin gearbeitet. Und sich bis ins hohe Alter politisch engagiert. Sie war eine Weggefährtin nicht nur von Toni Morrison und von Alice Walker ("Die Farbe Rosa"), sie gehörte zur sogenannten "Sisterhood": So nannte sich eine Gruppe schwarzer amerikanischer Autorinnen, die in den Siebzigerjahren in New York zusammenfand, um sich gegenseitig zu fördern; um Sichtbarkeit für ihre Arbeit herzustellen. Die Sisterhood entstand im Jahrzehnt nach der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Die hatte zwar Gesetze zur Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung durchgesetzt. Was aber nicht bedeutete, dass Gleichberechtigung auch in der Welt der Bücher entstand. Wenn in der breiten Öffentlichkeit schwarze Literatur eine Rolle spielte, dann höchstens die von Männern. Und selbst bei denen war damals Platz vielleicht für James Baldwin oder Richard Wright. Damit hörte es dann aber auch schon auf.
Es kann nur einen geben: Der amerikanische Historiker Henry Louis Gates jr. hat beschrieben, was diese Unsichtbarkeit der Schwarzen in der breiten amerikanischen Kultur bedeutete. Wenn in Gates' Kindheit im Fernsehen eine schwarze Figur zu sehen war, rannten die Leute in seiner neighborhood auf die Straße, um sich gegenseitig zu alarmieren. Eine Figur, eine Sendung, einmal alle Jubeljahre.
Die Autorinnen der "Sisterhood" um Morrison und Meriwether wollten das ändern - aber solidarisch miteinander sein. Ihr Kampf um Sichtbarkeit war zugleich eine feministische Auseinandersetzung um den Platz in der Welt für schwarze Frauen überhaupt. Es ist sicher kein Zufall, dass Morrison wie Meriwether beim Schreiben ganz am Anfang begannen: in der Kindheit. Meriwethers "Eine Tochter Harlems" handelt wie Morrisons "Sehr blaue Augen" von schwarzen Mädchen am Beginn der Pubertät, vom Leben in den Elendsvierteln: Bei Meriwether ist es Harlem, bei Morrison das von Lorain im Bundesstaat Ohio, wo die Autorin selbst geboren und aufgewachsen ist. Es geht um Hunger, Entbehrung, gebrochene Väter und unbeirrte Mütter, es geht um die Gesellschaft des Ghettos, und es geht immer wieder um sexuelle Ausbeutung: um den weiblichen schwarzen Körper, über den weiße Männer verfügen - und schwarze Männer, Väter auch. In beiden Romanen spielt Prostitution ebenfalls eine zentrale Rolle - als eine der wenigen Optionen schwarzer Frauen, Geld zu verdienen, und als Instrument zu einer Art Selbstermächtigung. Das ist eine vom Mangel an Möglichkeiten begrenzte Welt.
Hinter dieser Grenze schimmert die Welt der Weißen, die Welt der Menschen mit den blauen Augen. Die kleine Pecola wünscht sich blaue Augen, wie der weiße Kinderstar Shirley Temple sie hat - damit Pecola nicht nur die Welt anders sieht, damit auch die Welt sie anders sieht. "Jeden Abend, ausnahmslos, betete sie um blaue Augen. Betete inbrünstig, schon seit einem Jahr. Sie war zwar leicht entmutigt, aber nicht ohne Hoffnung. Bis etwas so Wunderbares wirklich geschah, musste es ja lange, lange dauern."
Sehr blaue Augen: Die Frage der Sichtbarkeit der Schwarzen in einer rassistisch geprägten Welt steht hier schon im Titel. Und die Hoffnungslosigkeit solcher Wünsche, ja der meisten Wünsche auf ein besseres Leben bringt Francie, die Tochter Harlems, am Ende auf eine einfache Formel: "Wir warn alle arm und schwarz und würdens auch bleiben, aus und vorbei."
Und doch. Toni Morrison wurde zur ersten schwarzen Nobelpreisträgerin für Literatur. Sie war Anfang der Sechzigerjahre auch die erste schwarze Lektorin des Verlags Random House. Sie habe Barrieren eingerissen, das liest man immer wieder. Als "Sehr blaue Augen" und "Eine Tochter Harlems" erschienen, wurden beide begeistert in der amerikanischen Presse besprochen. Aber auch die Rezeption dieser beiden Romane zeigt, dass lange offenbar nur Platz für einen Roman über schwarze Mädchen der Dreißigerjahre im Kanon gewesen ist. Und so ein Kanon setzt sich nicht von selbst zusammen, da wäre es schon wichtig gewesen, dass in den Verlagen mehr als nur eine schwarze Lektorin gesessen hätte.
Romane wie "Eine Tochter Harlems" überlebten die Zeit als Geheimtipp. In den vergangenen Jahren, mit den Selbstermächtigungsbewegungen wie Black Lives Matter oder MeToo, die weltweit Verhältnisse zwischen Mehrheiten und Minderheiten veränderten, kam aber auch produktive Unruhe in die Verlage. Eine große Nachholbewegung hat begonnen: Inzwischen finden sich in den Programmen deutscher Verlage regelmäßig Wiederentdeckungen oder neue Übersetzungen von Büchern, die übersehen wurden.
"Eine Tochter Harlems" erscheint in einer neuen Taschenbuchreihe des Rowohlt-Verlags, "rororo Entdeckungen". Betreut wird sie von der Autorin Nicole Seifert und der Buchhändlerin und Literaturvermittlerin Magda Birkmann. Auf Meriwethers Debüt war Birkmann "ganz zufällig" gestoßen: "Als ich mir einmal die Publikationsliste des amerikanischen Verlags The Feminist Press angeschaut habe, bin ich über den Titel gestolpert", sagt sie. "Und habe mich gewundert, dass ich den Namen der Autorin noch nie gehört hatte. Dann habe ich mir das Buch bestellt." Die Nachricht vom Tod Meriwethers hat auch Birkmann jetzt überrascht: "Ich hatte so gehofft, dass wir diese lange überfällige deutsche Übersetzung noch zu ihren Lebzeiten realisieren können. Was für ein trauriger Zufall, dass sie nun doch genau eine Woche vor Erscheinen gestorben ist."
Aber es ist nicht zu spät, Louise Meriwether kennenzulernen. Es ist ein später Anfang für so viele vergessene große Romane der Literaturgeschichte, wie es diese beiden Romane sind. Aber das Glück der Literatur ist ja, dass sie Zeiten überwindet, Gegenwart herstellt. Man muss nur zu lesen beginnen.
Louise Meriwether, "Eine Tochter Harlems". Aus dem Englischen von Andrea O'Brien. 304 Seiten, 15 Euro. Toni Morrison, "Sehr blaue Augen". Aus dem Englischen von Tanja Handels. 272 Seiten, 24 Euro. Beides Rowohlt Verlag.
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