Wolfgang Hilbigs erster Roman, erschienen im Herbst 1989, erzählt die Geschichte des Heizers C., der in der DDR die Existenz eines einfachen Arbeiters führt. Heimlich aber geht er der »Schwarzarbeit des Schreibens« nach, was die Stasi auf ihn aufmerksam macht. Entlassen aus der Untersuchungshaft, in die er wegen angeblicher Brandstiftung gerrät, flieht C. nach Berlin, wo er seine Erinnerungen ordnen und niederschreiben will. Bei dieser Arbeit verliert er endgültig den Boden unter seinen Füßen. Ist er einem Mordfall auf der Spur? Ist er selbst an einem Mord beteiligt gewesen? Erstmals veröffentlicht wird in diesem Band der Werkausgabe eine bisher nur handschriftlich vorliegende Erzählung, die den Anfang und Kern des späteren Romans bildet. Ein umfangreiches Nachwort von Jan Faktor ergänzt den Band. »Ein großartiger Roman ... ein artistisches wie intellektuelles Vergnügen allerersten Ranges« Fritz J. Raddatz, Die Zeit
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2011Hades an
der Schnauder
Voller Zukunft: Wolfgang Hilbigs
erster Roman „Eine Übertragung“
Die Gesamtausgabe von Wolfgang Hilbigs Werk bei S. Fischer schreitet voran. Nunmehr liegt auch „Eine Übertragung“ vor, Hilbigs erster Roman, merkwürdig spätes Debüt des damals fast schon Fünfzigjährigen, der da bereits seit einigen Jahren in Westdeutschland gelebt hatte. Als das Buch erschien, im Herbst 1989, musste es, ohne dies angestrebt zu haben, wie ein Abgesang der DDR erscheinen, die gerade in diesen Tagen unterging.
Nicht ganz leicht lässt sich mitteilen, was darin eigentlich geschieht; unscharf bleibt die Grenze zwischen einzelnen Figuren, speziell den Frauen; unklar, was faktisches Ereignis und was Hirngespinst eines intermittierenden Bewusstseins ist. Nur so viel steht fest: C., der für den VEB „Blütenweiß“ als Heizer arbeitet, im Schichtdienst, der sein Zeitgefühl beschädigt, sieht sich eines Tages mit der Anklage einer Brandstiftung konfrontiert, die er ganz offenbar nicht begangen hat – oder doch? In der Gefängniszelle macht er die Bekanntschaft einer rätselhaften Person namens Z., auch Zwie oder Ziegenbein, die ihm auf einem Kassiber die bevorstehende Ermordung der Kora L. mitteilt, samt präziser Orts- und Zeitbestimmung . . .
Eine solche Inhaltsangabe besagt über den Roman indessen wenig. Die somnolenten Handlungselemente geben nur den groben Rahmen vor, in dem dieses nahezu völlig isolierte Ich dahintreibt, vom Alkohol umschleiert und in einem Stupor gefangen, aus dem jedoch immer wieder die luzidesten Einsichten und Schilderungen hervorbrechen. Bei keinem anderen deutschen Schriftsteller (von Kafka einmal abgesehen) erlebt der Leser einen so erstaunlich-beglückenden Kontrast von schmachvoll-dunklem Gegenstand und der Sprache, in der er sich fängt. Am Ende spaziert das Ich über einen mit Müll verkippten Braunkohlentagebau und lauscht den Stimmen der Krähen, die hier ihre Nahrung finden. Es klingt ihm wie Staatsmacht, Fluchtverdacht, Friedenswacht, Mauerpracht und Grabesnacht, dann nur noch wie: Ach, ach, ach, ach, ach . . . ! und ganz zum Schluss wie Acheron . . . Acheron . . . Acheron. Das letzte Wort behält ein Hades, ewig und ohne eigentliche Geschichte, gelegen irgendwo bei M. (wie Meuselwitz, wo Hilbig herstammt), dessen inartikuliertem Krächzen der Insasse zwanghaft Worte ansinnt.
Erstmals wird in diesem Band auch die Keimzelle des umfänglichen Werks mit abgedruckt, ein circa 20 Seiten langer Text aus dem Jahr 1982, gleichfalls schon mit dem Titel „Die Übertragung“. Es ist interessant zu verfolgen, was sich zwischen beiden Versionen verändert: Was ursprünglich noch relativ unzweifelhafte Information war, wird verumständlicht und verdunkelt; die Welt büßt ihre Klarheit ein, ihr Umriss verliert sich komplett in dieses labyrinthische und wenig verlässliche Ich hinein.
Als wenig hilfreich erweist sich das Nachwort von Jan Faktor. Er ist erfüllt von Bewunderung für den Autor, weiß diese aber nicht recht auf den Begriff zu bringen und schwankt, ob er im Roman mehr einen Krimi oder den Rohstoff für einen Hollywood-Streifen erblicken soll.Inzwischen hat die Kunde von Hilbig, dem archetypischen Propheten, der nichts gilt in seinem Vaterlande, in spätem Widerhall auch seine acherontische Heimat erreicht. Der „Bote von der Schnauder – Mitteilungsblatt für die Stadt Meuselwitz“ vom 13. 8. 2011 würdigt ihn als „Autor unserer Stadt weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt“ und hält fest: „Hilbig war mehr als ein ‚schreibender Heizer‘ – da sind sich die Fachleute einig (. . .) Meuselwitz – von Hilbig selbst auch M genannt gedenkt jetzt feierlich seinem Dichter anlässlich dessen 70. Geburtstages.“ So sieht der Ruhm aus, wenn er doch noch kommt.
BURKHARD MÜLLER
WOLFGANG HILBIG: Eine Übertragung. Roman. Werke Band IV. Herausgegeben von Jörg Bong, Jürgen Hosemann und Oliver Vogel. Mit einem Nachwort von Jan Faktor. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 427 S., 22,95 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
der Schnauder
Voller Zukunft: Wolfgang Hilbigs
erster Roman „Eine Übertragung“
Die Gesamtausgabe von Wolfgang Hilbigs Werk bei S. Fischer schreitet voran. Nunmehr liegt auch „Eine Übertragung“ vor, Hilbigs erster Roman, merkwürdig spätes Debüt des damals fast schon Fünfzigjährigen, der da bereits seit einigen Jahren in Westdeutschland gelebt hatte. Als das Buch erschien, im Herbst 1989, musste es, ohne dies angestrebt zu haben, wie ein Abgesang der DDR erscheinen, die gerade in diesen Tagen unterging.
Nicht ganz leicht lässt sich mitteilen, was darin eigentlich geschieht; unscharf bleibt die Grenze zwischen einzelnen Figuren, speziell den Frauen; unklar, was faktisches Ereignis und was Hirngespinst eines intermittierenden Bewusstseins ist. Nur so viel steht fest: C., der für den VEB „Blütenweiß“ als Heizer arbeitet, im Schichtdienst, der sein Zeitgefühl beschädigt, sieht sich eines Tages mit der Anklage einer Brandstiftung konfrontiert, die er ganz offenbar nicht begangen hat – oder doch? In der Gefängniszelle macht er die Bekanntschaft einer rätselhaften Person namens Z., auch Zwie oder Ziegenbein, die ihm auf einem Kassiber die bevorstehende Ermordung der Kora L. mitteilt, samt präziser Orts- und Zeitbestimmung . . .
Eine solche Inhaltsangabe besagt über den Roman indessen wenig. Die somnolenten Handlungselemente geben nur den groben Rahmen vor, in dem dieses nahezu völlig isolierte Ich dahintreibt, vom Alkohol umschleiert und in einem Stupor gefangen, aus dem jedoch immer wieder die luzidesten Einsichten und Schilderungen hervorbrechen. Bei keinem anderen deutschen Schriftsteller (von Kafka einmal abgesehen) erlebt der Leser einen so erstaunlich-beglückenden Kontrast von schmachvoll-dunklem Gegenstand und der Sprache, in der er sich fängt. Am Ende spaziert das Ich über einen mit Müll verkippten Braunkohlentagebau und lauscht den Stimmen der Krähen, die hier ihre Nahrung finden. Es klingt ihm wie Staatsmacht, Fluchtverdacht, Friedenswacht, Mauerpracht und Grabesnacht, dann nur noch wie: Ach, ach, ach, ach, ach . . . ! und ganz zum Schluss wie Acheron . . . Acheron . . . Acheron. Das letzte Wort behält ein Hades, ewig und ohne eigentliche Geschichte, gelegen irgendwo bei M. (wie Meuselwitz, wo Hilbig herstammt), dessen inartikuliertem Krächzen der Insasse zwanghaft Worte ansinnt.
Erstmals wird in diesem Band auch die Keimzelle des umfänglichen Werks mit abgedruckt, ein circa 20 Seiten langer Text aus dem Jahr 1982, gleichfalls schon mit dem Titel „Die Übertragung“. Es ist interessant zu verfolgen, was sich zwischen beiden Versionen verändert: Was ursprünglich noch relativ unzweifelhafte Information war, wird verumständlicht und verdunkelt; die Welt büßt ihre Klarheit ein, ihr Umriss verliert sich komplett in dieses labyrinthische und wenig verlässliche Ich hinein.
Als wenig hilfreich erweist sich das Nachwort von Jan Faktor. Er ist erfüllt von Bewunderung für den Autor, weiß diese aber nicht recht auf den Begriff zu bringen und schwankt, ob er im Roman mehr einen Krimi oder den Rohstoff für einen Hollywood-Streifen erblicken soll.Inzwischen hat die Kunde von Hilbig, dem archetypischen Propheten, der nichts gilt in seinem Vaterlande, in spätem Widerhall auch seine acherontische Heimat erreicht. Der „Bote von der Schnauder – Mitteilungsblatt für die Stadt Meuselwitz“ vom 13. 8. 2011 würdigt ihn als „Autor unserer Stadt weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt“ und hält fest: „Hilbig war mehr als ein ‚schreibender Heizer‘ – da sind sich die Fachleute einig (. . .) Meuselwitz – von Hilbig selbst auch M genannt gedenkt jetzt feierlich seinem Dichter anlässlich dessen 70. Geburtstages.“ So sieht der Ruhm aus, wenn er doch noch kommt.
BURKHARD MÜLLER
WOLFGANG HILBIG: Eine Übertragung. Roman. Werke Band IV. Herausgegeben von Jörg Bong, Jürgen Hosemann und Oliver Vogel. Mit einem Nachwort von Jan Faktor. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 427 S., 22,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Burkhard Müller hat einen weiteren Band der Gesamtausgabe von Wolfgang Hilbigs Werken anzuzeigen, den Debütroman von 1989 "Die Übertragung". Bei dessen Lektüre erlebt Müller "den beglückenden Kontrast" von beklemmendem Inhalt und vollendeter Form. Es fällt dem Rezensenten allerdings schwer, die Handlung dieses düsteren Romans zu vermitteln, weil nicht nur die Figuren schwer voneinander abzugrenzen sind, sondern auch kaum auszumachen ist, was Wirklichkeit und was Imagination eines vollkommen orientierungslosen Ich ist. Soviel kann Müller mitteilen: der Ich-Erzähler, ein Heizer, wird der Brandstiftung beschuldigt und erfährt im Gefängnis von einem Mithäftling von einem bevorstehenden Mord. Erfreut zeigt sich der Rezensent, dass mit dem Roman auch ein Text von 1982 abgedruckt wurde, in dem dieser schon angelegt ist. Lediglich auf das Nachwort von Jan Faktor hätte Müller gut und gerne verzichten können, denn außer Bewunderung für den Autor hat er hier nichts Hilfreiches gefunden, wie er moniert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Burkhard Müller hat einen weiteren Band der Gesamtausgabe von Wolfgang Hilbigs Werken anzuzeigen, den Debütroman von 1989 "Die Übertragung". Bei dessen Lektüre erlebt Müller "den beglückenden Kontrast" von beklemmendem Inhalt und vollendeter Form. Es fällt dem Rezensenten allerdings schwer, die Handlung dieses düsteren Romans zu vermitteln, weil nicht nur die Figuren schwer voneinander abzugrenzen sind, sondern auch kaum auszumachen ist, was Wirklichkeit und was Imagination eines vollkommen orientierungslosen Ich ist. Soviel kann Müller mitteilen: der Ich-Erzähler, ein Heizer, wird der Brandstiftung beschuldigt und erfährt im Gefängnis von einem Mithäftling von einem bevorstehenden Mord. Erfreut zeigt sich der Rezensent, dass mit dem Roman auch ein Text von 1982 abgedruckt wurde, in dem dieser schon angelegt ist. Lediglich auf das Nachwort von Jan Faktor hätte Müller gut und gerne verzichten können, denn außer Bewunderung für den Autor hat er hier nichts Hilfreiches gefunden, wie er moniert.
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