Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Seine Drehung am Großen Rad der Wiederkehr: Die "Vision" des Dichters W. B. Yeats ist erstmals auf Deutsch zu lesen
Als der angloirische Dichter William Butler Yeats 1925, zwei Jahre nach Empfang des Literaturnobelpreises, ein Buch mit dem Titel "A Vision" veröffentlichte, waren Feuilleton und Leserschaft gleichermaßen peinlich berührt. Ein späterer Rezensent schrieb, der Band werde vielen als Nachweis dafür gelten, dass Yeats "ohne Frage, wenn auch vielleicht zweckdienlicherweise (serviceably), verrückt geworden ist".
Zweckdienlich war die Verrücktheit dieses Buches - eines der merkwürdigsten aus der an oddities überreichen englischen Literatur - für den Autor ganz ohne Zweifel. Es steht an einer durch seine Heirat eingeleiteten biographischen Wende, hin zu mehr Lebensnähe, Selbstgewissheit und Schöpferkraft. Es gibt Einblick in die unwahrscheinlichen Geburtswehen von Gedichten, die zu den berühmtesten englischer Zunge zählen; viele davon für uns leider bislang "lost in translation".
Bald nach seiner Hochzeit entdeckte Yeats, lange schon Geist-Sucher und Liebhaber spiritistischer Séancen, hocherfreut die medialen Fähigkeiten seiner jungen Frau. In Sitzungen, die sich über viele Jahre erstreckten, ließ er sich, unermüdlich nachfragend, von ihren jenseitigen "Unterweisern" in die Geheimnisse der Seele, des Kosmos und der Weltgeschichte einweihen. Die ungenannte Mitautorin lag dabei meist in Trance auf dem Sofa und schrieb "automatisch" die geisterhaften Antworten auf seine Fragen nieder, oder sie sprach im Schlaf, und er protokollierte.
Mehr als ein Jahrzehnt war Yeats damit beschäftigt, diese Offenbarungen zu systematisieren; erst 1937 erschien die endgültige Ausgabe. Nach ihr hat Axel Monte den Text jetzt erstmals und prägnant ins Deutsche übertragen - ein herkulisches Stück Arbeit. Richtig geisterhaft mutet das Porträt des Dichters auf dem Umschlag an; der Kopf, der es an Markantheit mit den Häuptern der Zeitgenossen Stefan George und Gerhart Hauptmann aufnehmen kann, ist dort in ein gruseliges Orangegrün getaucht.
Das Buch steht quer zum Geist der Zeit, so wie ihn Yeats empfand: materialistisch, mechanistisch, subjektfeindlich, von Kriegen und den damit einhergehenden Massenbewegungen gezeichnet. Seine Esoterik gibt sich schamlos eklektisch und elitär, ein einzigartiges Gemenge aus indischer Weisheitslehre, den Vorsokratikern, griechisch-christlicher Mythologie, Plotin, Swedenborg, Hegel, englischer Romantik, Schopenhauer, Nietzsche, keltischen Märchen - aber auch biographischen Anekdoten, zum Beispiel die Geisterseherei von Lotsen aus Sligo und Bauern aus Galway betreffend. "Ich weiß nicht", schrieb er 1924, "was mein Buch für andere bedeuten wird - vielleicht nichts. Für mich bedeutet es einen letzten Akt der Notwehr gegen das Chaos der Welt." Mit der Berufung auf die geisterhafte Herkunft seiner Offenbarungen machte Yeats sich zum Narren des Zeitgeistes, eine Rolle, die er nie mehr ganz ablegen sollte.
Schon auf den ersten Blick zeigt sich die Textoberfläche vielfach gebrochen, mit ihren Prosateilen unterschiedlichster Länge und Tonlage, durchsetzt von antiquarischen Holzschnitten, geometrischen Figuren, Tabellen, Gedichten aus eigener und fremder Feder sowie gelehrten und pseudogelehrten Fußnoten. Im Zentrum steht die Systematik des Großen Rades der Wiederkehr, alsbald verräumlicht zu zwei einander durchdringenden Kegeln, durchaus mit sexueller Symbolik, dann wieder dynamisiert zu den gegenläufig kreisenden Spiralen des Objektiven und Subjektiven und erweitert zu den 28 Mondphasen, die das Mischverhältnis von Materie und Geist, Willen und Bewusstsein in den verschiedenen Persönlichkeitstypen und zugleich die Inkarnationsfolgen der menschlichen Seele im Jenseits symbolisieren.
Die Sache wird nicht einfacher, wenn Yeats gleich danach die Systematik der Phasen und des Doppelkegels auf die ganze Weltgeschichte überträgt. "Zum Verrücktwerden, diese Stundengläser!", sagt Harold Bloom, an sich ein großer Bewunderer des Dichters, in verständlicher Irritation. Auch die Begriffe, die Yeats verwendet, sind gewöhnungsbedürftig, und die Teile fügen sich nur widerstrebend zu einem Ganzen. In der Vorrede, die dem Freund und Antipoden Ezra Pound Mitteilung von seinen spirituellen Ausschweifungen machte (Pound erklärte ihm dafür im Gegenzug die "Cantos"), nennt der Dichter die referierten Erkenntnisse bloße "stilistische Anordnungen von Erfahrung". Deutlicher sagen es die Unterweiser selbst: "Wir sind gekommen, um dir Metaphern für deine Dichtung zu geben."
In einem einleitenden Gedicht schickt Yeats dem Buch eine erste Erklärung der Mondphasen voraus. Dabei lässt er selbstironisch zwei seiner poetischen Kreaturen zur Turmstube hinaufschauen, in der seine späte Kerze brennt. Nachdem sie, unhörbar für ihn (aber festgehalten von seiner Feder), ihre jenseitigen Weisheiten verkündet haben, nennen sie den Turm einen "Ort, geschaffen für die Weisheit, / Die er nie erlangen wird".
Dieses Turm-Domizil mit seiner spiralig gewundenen Treppe, Symbol subjektiver Weisheitssuche über den objektiven Wirren der Zeit, ist für Yeats eine gelebte Metapher. Seine späten und wohl bedeutendsten Gedichtsammlungen, "The Tower" (1928) und "The Winding Stair" (1933), leben aus dieser Symbolik und ihrer tiefen Verwurzelung in der apokalyptischen Welt von "A Vision". Schon deshalb ist es gut, dass dieses reichhaltige, anspruchsvolle, manchmal auch mühsam zu lesende Werk jetzt auf Deutsch vorliegt. Dankbar nimmt man die hilfreichen Anmerkungen des Übersetzers zur Kenntnis und vermisst, undankbarerweise, doch ein heranführendes, erklärendes Nachwort.
WERNER VON KOPPENFELS
William Butler Yeats: "Eine Vision".
Aus dem Englischen
übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Axel Monte.
Alfred Kröner
Verlag, Stuttgart 2014. 334 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH