Es ist die Königsdisziplin der Kammermusik, und seit dreißig Jahren zählt das 1985 in Ost-Berlin gegründete Vogler Quartett zu den international renommiertesten Streichquartetten – in unveränderter Besetzung. Diese Gespräche mit Frank Schneider, dem langjährigen Intendanten des Berliner Konzerthauses, zeigen, wie ein gemeinsames Musikerleben über eine so lange Zeit die Spannung halten kann. Eine sehr persönliche Künstlerbiografie, mit Reflexionen zum musikalischen Selbstverständnis, kunstpolitischen Engagement und, natürlich, dem Alltag zu viert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2015Die Bratsche ist auf Ausgleich bedacht
Kenntnisreich und mit Leidenschaft: Frank Schneider unterhält sich mit den Musikern des Vogler Quartetts
Stradivari-Schwadroneure werden es nicht gern lesen, aber alte Streichinstrumente sind keineswegs besser als neue. Wer das Gegenteil behauptet, pflegt nur einen Dünkel, der experimenteller Überprüfung nicht standhält. Jüngste Labortests, bei denen Spitzenmusiker Instrumente wählen sollten, ohne etwas über deren Alter zu wissen, haben das bewiesen. "Bekannte Musiker begannen, von alten auf neue Instrumente umzusteigen, weil sie den ganzen Wahnsinn mit den galoppierenden Preisen einfach nicht mehr mitmachen wollten", erzählt Tim Vogler, der erste Geiger des Vogler Quartetts. Er spielt ein neues Instrument genauso wie Frank Reinecke, der zweite Geiger, und Stefan Fehlandt, der Bratscher. Nur Stephan Forck, der Cellist, ist seinem alten Instrument, das um 1730 gefertigt wurde, bislang treu geblieben. Aber auch er hat sich ein frischgebautes Zweitcello zugelegt, mit dem er sich langsam anfreundet.
Nur bei den Bögen sind die alten immer noch besser als die neuen. Erstens sind die Hölzer so meisterhaft gebogen, dass sie die Spannung über Jahrhunderte hinweg halten, während neue Bögen oft schon nach wenigen Monaten nachgeben. Zweitens haben die Bogenbauer Schwierigkeiten, wirklich gutes Holz zu finden. Der hervorragend geeignete brasilianische Fernambuk-Baum wird heute, so Vogler, "in Plantagen gezüchtet, wo er deutlich schneller als früher aufwächst und dadurch gegenüber dem alten Holz an Dichte und Konsistenz einbüßt".
Es ist dieser nüchtern-empirische Geist der Musiker, durch den diese Gespräche mit dem Vogler Qartett zu einem wirklichen Sachbuch werden. Man spürt geballte Kompetenz ohne Ideologie, Metierkenntnis ohne Hochnäsigkeit. Frank Schneider, langjähriger Intendant des Berliner Konzerthauses, hat Interviews mit den vier Musikern geführt, die sich im Januar 1985 an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" zusammenfanden und seitdem in unveränderter Besetzung an der Weltspitze zusammenspielen.
Am Anfang steht eine Ensemblebiographie der Karriere in der DDR und im wiedervereinten Deutschland. Dann geht es um künstlerische Profile und die Arbeit an den Werken. Das dritte Kapitel widmet sich technischen Fragen der Instrumente, des Probens, Reisens und der Studioaufnahmen. Am Ende geben die vier Männer in Monologen über sich Auskunft. Dabei fasziniert vor allem die große Übereinstimmung zwischen Selbstbild und Fremdbild im Quartett: Erste Geige und Violoncello treten - satztechnisch wie menschlich - als Antipoden auf; zweite Geige und Bratsche vermitteln, teils spielerisch, teils beruhigend.
Das Vogler Quartett genoss in der DDR eine Ausnahmestellung. Freie Streichquartette gab es kaum; die meisten setzten sich aus Stimmführern großer Orchester zusammen. Die vier Studenten aber hatten 1986 den internationalen Wettbewerb in Evian gewonnen und wurden damit an die Spitze des staatlichen Förderkaders katapultiert. Zu welchen Belastungen das führte, wird im ersten Kapitel oft mehr angerissen als ausgeführt.
Geradezu polemisch zur Sache geht es in der Diskussion um die Kunst. Die Streicher bringen offensiv zur Sprache, dass die ausschließliche Beschäftigung mit neuer Musik zur Zerstörung der Spielkultur führt. Dabei haben sie sich mit Leidenschaft für die Quartette von Wolfgang Rihm, Jörg Widmann, György Ligeti und Witold Lutoslawski eingesetzt. Und sie brennen geradezu für die Musik von Arnold Schönberg. Doch man braucht, so Tim Vogler, eine Verbindung populärer Spieltechniken mit avancierter Kunst, "wenn die ohnehin sehr stark zerebral gesteuerte neue Musik nicht eines Tages an mangelnder Frischluft ersticken will". Große Dankbarkeit verspürt man bei allen für den gemeinsamen Lehrer Eberhard Feltz, bei dem oft kein einziger Ton im Unterricht erklang, "sondern gelesen wurde, Gedichte, Dramatisches, Philosophisches". Vogler nennt ihn den "Feltz in der Brandung" - ein Kalauer zwar, aber ein liebevoller und zugleich ein Plädoyer für Bildung anstelle von Drill.
JAN BRACHMANN
Frank Schneider: "Eine Welt auf sechzehn Saiten". Gespräche mit dem Vogler Quartett.
Berenberg Verlag, Berlin 2015. 384 S., geb., 25,- [Euro].
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Kenntnisreich und mit Leidenschaft: Frank Schneider unterhält sich mit den Musikern des Vogler Quartetts
Stradivari-Schwadroneure werden es nicht gern lesen, aber alte Streichinstrumente sind keineswegs besser als neue. Wer das Gegenteil behauptet, pflegt nur einen Dünkel, der experimenteller Überprüfung nicht standhält. Jüngste Labortests, bei denen Spitzenmusiker Instrumente wählen sollten, ohne etwas über deren Alter zu wissen, haben das bewiesen. "Bekannte Musiker begannen, von alten auf neue Instrumente umzusteigen, weil sie den ganzen Wahnsinn mit den galoppierenden Preisen einfach nicht mehr mitmachen wollten", erzählt Tim Vogler, der erste Geiger des Vogler Quartetts. Er spielt ein neues Instrument genauso wie Frank Reinecke, der zweite Geiger, und Stefan Fehlandt, der Bratscher. Nur Stephan Forck, der Cellist, ist seinem alten Instrument, das um 1730 gefertigt wurde, bislang treu geblieben. Aber auch er hat sich ein frischgebautes Zweitcello zugelegt, mit dem er sich langsam anfreundet.
Nur bei den Bögen sind die alten immer noch besser als die neuen. Erstens sind die Hölzer so meisterhaft gebogen, dass sie die Spannung über Jahrhunderte hinweg halten, während neue Bögen oft schon nach wenigen Monaten nachgeben. Zweitens haben die Bogenbauer Schwierigkeiten, wirklich gutes Holz zu finden. Der hervorragend geeignete brasilianische Fernambuk-Baum wird heute, so Vogler, "in Plantagen gezüchtet, wo er deutlich schneller als früher aufwächst und dadurch gegenüber dem alten Holz an Dichte und Konsistenz einbüßt".
Es ist dieser nüchtern-empirische Geist der Musiker, durch den diese Gespräche mit dem Vogler Qartett zu einem wirklichen Sachbuch werden. Man spürt geballte Kompetenz ohne Ideologie, Metierkenntnis ohne Hochnäsigkeit. Frank Schneider, langjähriger Intendant des Berliner Konzerthauses, hat Interviews mit den vier Musikern geführt, die sich im Januar 1985 an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" zusammenfanden und seitdem in unveränderter Besetzung an der Weltspitze zusammenspielen.
Am Anfang steht eine Ensemblebiographie der Karriere in der DDR und im wiedervereinten Deutschland. Dann geht es um künstlerische Profile und die Arbeit an den Werken. Das dritte Kapitel widmet sich technischen Fragen der Instrumente, des Probens, Reisens und der Studioaufnahmen. Am Ende geben die vier Männer in Monologen über sich Auskunft. Dabei fasziniert vor allem die große Übereinstimmung zwischen Selbstbild und Fremdbild im Quartett: Erste Geige und Violoncello treten - satztechnisch wie menschlich - als Antipoden auf; zweite Geige und Bratsche vermitteln, teils spielerisch, teils beruhigend.
Das Vogler Quartett genoss in der DDR eine Ausnahmestellung. Freie Streichquartette gab es kaum; die meisten setzten sich aus Stimmführern großer Orchester zusammen. Die vier Studenten aber hatten 1986 den internationalen Wettbewerb in Evian gewonnen und wurden damit an die Spitze des staatlichen Förderkaders katapultiert. Zu welchen Belastungen das führte, wird im ersten Kapitel oft mehr angerissen als ausgeführt.
Geradezu polemisch zur Sache geht es in der Diskussion um die Kunst. Die Streicher bringen offensiv zur Sprache, dass die ausschließliche Beschäftigung mit neuer Musik zur Zerstörung der Spielkultur führt. Dabei haben sie sich mit Leidenschaft für die Quartette von Wolfgang Rihm, Jörg Widmann, György Ligeti und Witold Lutoslawski eingesetzt. Und sie brennen geradezu für die Musik von Arnold Schönberg. Doch man braucht, so Tim Vogler, eine Verbindung populärer Spieltechniken mit avancierter Kunst, "wenn die ohnehin sehr stark zerebral gesteuerte neue Musik nicht eines Tages an mangelnder Frischluft ersticken will". Große Dankbarkeit verspürt man bei allen für den gemeinsamen Lehrer Eberhard Feltz, bei dem oft kein einziger Ton im Unterricht erklang, "sondern gelesen wurde, Gedichte, Dramatisches, Philosophisches". Vogler nennt ihn den "Feltz in der Brandung" - ein Kalauer zwar, aber ein liebevoller und zugleich ein Plädoyer für Bildung anstelle von Drill.
JAN BRACHMANN
Frank Schneider: "Eine Welt auf sechzehn Saiten". Gespräche mit dem Vogler Quartett.
Berenberg Verlag, Berlin 2015. 384 S., geb., 25,- [Euro].
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