„Noch ein Buch über Astrid Lindgren? Gibt es nicht längst genug?“ – diese Frage stellt sich die ZEIT-Redakteurin Katrin Hörnlein zu Beginn ihres Buchs „Eine wie sie fehlt in dieser Zeit“. Da ich „Denne dag, et liv” von Jens Andersen und „Jeg lægger dine breve under madrassen” von Astrid Lindgren und
Sara Schwardt gelesen habe, war ich überrascht, dass mich ein weiteres Buch über die…mehr„Noch ein Buch über Astrid Lindgren? Gibt es nicht längst genug?“ – diese Frage stellt sich die ZEIT-Redakteurin Katrin Hörnlein zu Beginn ihres Buchs „Eine wie sie fehlt in dieser Zeit“. Da ich „Denne dag, et liv” von Jens Andersen und „Jeg lægger dine breve under madrassen” von Astrid Lindgren und Sara Schwardt gelesen habe, war ich überrascht, dass mich ein weiteres Buch über die Schriftstellerin so begeistern konnte. Katrin Hörnlein hat eine Reise in die Vergangenheit von Astrid Lindgren unternommen, auf die sie ihre Leserschaft mitnimmt. Sie trifft Nachkommen und Weggefährt:innen Lindgrens und wandelt auf ihren Spuren von der Vergangenheit bis in die heutige Zeit.
Katrin Hörnlein schreibt voller Hochachtung und Bewunderung über die Schriftstellerin, die sie nie persönlich kennenlernen konnte. Inzwischen ist Astrid Lindgren mehr als 20 Jahre tot und lebt in ihren Büchern und den Herzen ihrer Fans weltweit weiter, schließlich wurden ihre Bücher in mehr als 100 Sprachen übersetzt. Die „Astrid Lindgren Company“ ist heute noch in Familienbesitz, die Firma gehört ihren sieben Enkeln und ihrer Tochter Karin, außerdem arbeitet auch ihr Urenkel Johan Palmberg inzwischen dort. Die Company kümmert sich um bestehende Verträge, unterstützt aber auch Musicals und Theaterproduktionen. Im Onlineshop kann man beispielsweise die Bücher und geringelte Pippi-Langstrumpf-Leggins oder Michel-aus-Lönneberga (der auf Schwedisch Emil heißt)-Shorts kaufen.
Ein paar Weggefährt:innen Astrid Lindgrens konnte Katrin Hörnlein treffen. Durch ihre Erzählungen kommt auch ihre Leserschaft der Autorin näher und man erkennt, dass ihr Leben nicht nur aus Pfannkuchen und Fleischklößchen bestand. Die blitzgescheite und für ihre Zeit äußerst emanzipierte Frau, wusste, was sie wollte, und musste darum kämpfen. So brachte sie mit 18 Jahren ihren unehelichen Sohn Lars in Kopenhagen zur Welt, weil dort anonyme Geburten möglich waren. Dort lässt sie ihn bei Pflegeeltern, später holt sie ihn erst zu sich nach Stockholm, dann bringt sie den Dreijährigen bei ihren Eltern in Småland unter. Die Beziehung zum Vater des Jungen, der ihr Chef war, zerbricht. Aus ihrer 1931 geschlossenen Ehe mit Sture stammt Tochter Karin, sie ist heute 89 Jahre alt. Astrid Lindgren war mit Leib und Seele Mutter, aber nicht Ehefrau. „Im üblichen Sinn bin ich nie verliebt gewesen. Nein, es ist so: Ich habe Kinder immer mehr geliebt als Männer.“, sagte sie ihrer Biografin Margareta Strömstedt auch mit Hinblick auf den Alkoholismus ihres Mannes. „Was Kinder brauchen, ist jemand, der sie richtig gernhat“, sagt Lindgren 1989 in einem Interview mit der schwedischen Zeitung Expressen.
„Eine wie sie fehlt in dieser Zeit“ ist ein lesenswertes und kurzweiliges Buch, das neue Facetten Astrid Lindgrens zeigt. Es bringt aber auch Menschen ins Rampenlicht, die es bislang (zumindest für mich) nicht dahin geschafft hatten. So trifft sie unter anderem die Nachfahren von Ilon Wikland und Björn Berg, zweier der Illustratoren von Lindgrens Büchern und mit Inger Nilsson, der Darstellerin von Pippi Langstrumpf. Neu für mich war auch das politische Engagement Astrid Lindgrens. Sie setzte sich gegen Atomkraft und für den Umwelt- und Tierschutz ein. Anfang der 1990er kämpfte sie gegen Massentierhaltung und für mehr Tierwohl. Das „Lex Lindgren“ genannte Gesetz wurde zu ihrem 80. Geburtstag verabschiedet, sein Umfang enttäuschte sie allerdings. „Soll ich mich etwa geschmeichelt fühlen, weil dieses sinnlose Gesetz nach mir benannt wird?“ – so hatte sie es kommentiert.
Ja, Astrid Lindgren ist eine Persönlichkeit, die aktuell mehr fehlt, denn je. Das Buch über sie war für mich sprachlich und inhaltlich ein Highlight, das mir die Schriftstellerin noch näher gebracht hat. Als jemand, der das Kind in sich bewahrt hat, ohne kindisch oder naiv zu sein. Und als jemand, der versucht hat, seinen Einfluss immer für das Gute zu nutzen. Daher von mir eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung und fünf Sterne.