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Patrick Leigh Fermor über das Leben im Kloster
Als der deutsche Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher 2006 sein Idol auf der griechischen Halbinsel Mani besucht, sagt der damals vierundsiebzigjährige Patrick Leigh Fermor, Religion und Mythos interessierten ihn, aber er sei nicht mehr religiös: "Ich war es als junger Mann." In dieser Lebensphase durchstreift der 1915 geborene, als Agent, Abenteurer und Autor berühmt gewordene Engländer Frankreich, liest alles über das Mönchstum, was er finden kann, und schreibt Briefe über seine Erlebnisse an seine spätere Frau. Daraus wird ein melancholisches Brevier, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt.
Leigh Fermor beginnt als Gast im Benediktinerkloster Saint-Wandrille, mit einem Gefühl von "unaussprechlicher Einsamkeit". Während die Mönche den Tag um vier Uhr früh beginnen, ist der Gast ab Viertel nach acht dabei, "mit der Prim und dem anschließenden, schweigend eingenommenen Frühstück. Das Klosterhochamt um zehn Uhr war eingerahmt von Terz und Sext. Mittagessen um eins. Non und Vesper um fünf. Abendessen um halb acht. Um halb neun Komplet. Um neun gingen alle schweigend zu Bett." Der Gast wähnt sich in einer Nekropole, "deren einziger lebender Bewohner ich war".
Nach vier Tagen beginnt er zu ahnen, dass sein Befund voreilig war, nach einer Phase mit enormem Schlafbedürfnis erlebt er die Tage als "entrückte Zeit". Er begreift die fundamentale Rolle des Gebets, ohne die kontemplatives Mönchstum nicht zu verstehen ist. Leigh Fermor mischt in die Niederschrift seiner Beobachtungen des Klosteralltags einen Abriss der Ordensgeschichte Frankreichs und Englands, er erklärt die Rolle der Klöster als Horte der Gelehrsamkeit, deutet den Wechselgesang der Mönche. Auch wenn die Ordensbrüder aus unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten stammen, eint alle das Gefühl, zu spät im Leben ins Kloster eingetreten zu sein.
Eines Tages sitzt ein Mann mit Ring und Brustkreuz im Refektorium, der als Dom Walser vorgestellt wird. Er habe Deutschland verlassen müssen, weil er sich mit dem Hitler-Regime angelegt habe. Tatsächlich handelte es sich um den ehemaligen Erzabt von Kloster Beuron, Raphael Walzer (1888 bis 1966), der in Frankreich und Amerika Unterschlupf fand, nach dem Krieg nicht nach Beuron zurückkonnte, weil sein Stuhl besetzt war, und in Algerien eine Benediktinerabtei gründete - eine Fußnote hätte an dieser Stelle nicht geschadet.
Beim Abschied entpuppt sich die Außenwelt als "Inferno voller Lärm und Vulgarität". Reklametafeln, die Leigh Fermor im Zug erblickt und ihm sonst als "frohlockende Embleme der Freiheit und der gelungenen Flucht erschienen waren", wirken nun wie "eine persönliche Beleidigung". Leigh Fermor hat noch lange nicht genug von seiner spirituellen Suche, er verschärft die Gangart, zieht ins Mutterkloster der Trappisten, einem Zweig der Zisterzienser. Im Vergleich dazu kommt ihm die Zeit bei den Benediktinern wie "die reinste Sommerfrische" vor.
Erstmals in einer Auflage von fünfhundert Exemplaren 1953 bei The Queen Anne Press erschienen, kommt für "A Time To Keep Silence" mit der Ausgabe von 1957 bei John Murray der Erfolg. Seither ist der schmale Band immer wieder aufgelegt worden, 1982 bei John Murray, danach bei Penguin. Der 2011 verstorbene Leigh Fermor war, man kann es an seiner Publikationsgeschichte ablesen, in der englischsprachigen Welt nie ganz weg. In der deutschsprachigen kümmert sich der Zürcher Dörlemann Verlag seit vielen Jahren um die Pflege des Werks, so auch im vorliegenden, von Dirk van Gunsteren konzise übersetzten Fall.
Die Fragen des Autors sind ebenso wenig gealtert wie seine Befunde, siehe eine Bemerkung aus dem Vorwort zur Ausgabe von 1957 über das Leben im Kloster: "Jeder, der diese Erfahrung auch nur ansatzweise gemacht hat, wird beim Anblick eines verlassenen Klosters einen Kummer empfinden, der schmerzhafter ist als das bloße Bedauern, das einen Liebhaber alter Dinge überkommt."
Sein Ziel ist ambitioniert, er will zum Geheimnis des mönchischen Lebens vordringen - "jene Entsagung des eigenen Willens, jene Unterwerfung unter den Willen Gottes, der alle Schwierigkeiten und Prüfungen überwindet und ein Leben, das äußerlich aus großen Beschwerlichkeiten bestehen mag, mit Frieden und Heiterkeit erfüllt". Verstehen könnten das nur wenige Menschen außerhalb eines Klosters. Patrick Leigh Fermor zählt dazu, doch verzichtet er auf Belehrungen des Publikums. Das macht seinen Bericht zu einem Klassiker von zeitloser Eleganz. HANNES HINTERMEIER
Patrick Leigh Fermor: "Eine Zeit der Stille". Zu Gast in Klöstern.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Dörlemann Verlag, Zürich 2022. 144 S., geb., 18,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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