Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, B, BG, CY, CZ, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
„Einer von uns“: Die norwegische Journalistin Åsne Seierstad über
das Leben, die Taten und die Opfer des Massenmörders Anders Breivik
VON NICOLAS FREUND
Der Ministerpräsident starrte ungläubig aus dem Helikopter. Schon von ferne sah er viele weiße Punkte auf der Erde. An einigen Stellen lagen sie wie Perlenketten am Ufer. Jede Perle war eine Decke. Jede Decke bedeutete ein Menschenleben. Es war nicht zu fassen.“
Ein einziges Bild reicht aus, und die Erinnerung kehrt zurück: Felsen und hohe Tannen, die aus dem grauen Wasser ragen. Utøya. Die Insel, auf der am 22. Juli 2011 der Neonazi Anders Behring Breivik 69 Menschen tötete, nachdem er zuvor im Regierungsviertel von Oslo eine selbstgebaute Bombe gezündet hatte, die acht Menschen in den Tod riss. Ein Jugendlicher auf der Insel stürzte bei der Flucht von einer Klippe, ein weiterer ertrank in dem eiskalten Wasser des Tyrifjord-Sees. Insgesamt 77 Menschen ermordete Breivik, Hunderte wurden bei beiden Anschlägen verletzt. Wie Omar Mateen, der Attentäter von Orlando, der am Wochenende in einem Club für Schwule und Lesben um sich schoss, hatte sich Breivik gezielt eine Bevölkerungsgruppe als Opfer ausgesucht: die Mitglieder der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei, denen er unterstellte, für die von ihm so gehasste multikulturelle Gesellschaft verantwortlich zu sein.
Breivik überlebte im Gegensatz zu Mateen und ließ sich nach seinem Amoklauf widerstandslos festnehmen. Es war der schwerste Angriff auf Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Bild von Utøya, wie es der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg fassungslos vom Hubschrauber aus sah und wie es Millionen Menschen auf der ganzen Welt im Fernsehen, im Internet und in den Zeitungen sahen, ruft auch fünf Jahre danach noch immer die Schrecken, die Sinnlosigkeit und das Unfassbare der wahllosen Morde herbei.
Die norwegische Journalistin Åsne Seierstad ist in diesen Schrecken eingedrungen. Sie hat mit Überlebenden und Zeugen gesprochen, hat Tausende Seiten Verhörprotokolle gelesen, hat der wochenlangen Gerichtsverhandlung beigewohnt und das 1500-seitige Pamphlet durchgearbeitet, das Breivik kurz vor seinen Attentaten im Internet veröffentlicht hat. 2013 erschien in Norwegen ihr Buch „En av oss“ – „Einer von uns“, drei Jahre später nun die deutsche Übersetzung. Sie trägt den Untertitel „Die Geschichte eines Massenmörders“, auf Norwegisch lautet er einfach „En fortelling om Norge“ – „Eine Erzählung aus Norwegen“. Als gälte es, die Namen Utøya oder Breivik, den viele in Norwegen nur ABB nennen, unbedingt zu vermeiden.
Der Bestseller-Autor Karl Ove Knausgård, den selbst eine ganz eigene Faszination für den Faschismus und Totalitarismus umtreibt, hat im New Yorker eine Rezension des Buches geschrieben, allerdings erst 2015, als die englische Übersetzung erschienen ist. Es existiert im norwegischen Wikipedia kein Eintrag zu „Einer von uns“, im Gegensatz zu anderen Büchern Åsne Seierstads, von denen viele, wie „Der Buchhändler von Kabul“, Bestseller waren. Das Buch über die Attentate scheint ein blinder Fleck zu sein, ein verdrängtes Trauma, an das auch nur zu denken unendlich schmerzvoll ist. Denn die Geschichte, die Seierstad erzählt, beginnt mitten in der norwegischen Gesellschaft.
„Es war einer jener klaren, kalten Wintertage, an denen Oslo funkelt.“ Am 13. Februar 1979 wird Anders Breivik als Sohn des Diplomaten Jens Breivik und der Hilfskrankenschwester Wenche Breivik in bürgerlichen Verhältnissen geboren. Der Vater hat schon drei Kinder, für die er sich so wenig interessiert wie für das vierte. Ein halbes Jahr lebt das Paar in London, dann trennen sich die beiden. Wenche zieht mit Anders und seiner sechs Jahre älteren Schwester Elisabeth nach Oslo zurück.
Die Informationen zu Breiviks Kindheit erhielt Seierstad direkt von den Eltern. Nach den Attentaten traf sie Wenche im Krankenhaus, wenige Tage, bevor diese einem Krebsleiden erlag. Der Vater, der im Ruhestand in Südfrankreich lebt, lehnte zunächst jedes Interview ab, lieferte dann aber doch viele Informationen, als ihm Seierstad den Text zur Durchsicht geschickt hatte, wie sie im Nachwort schreibt.
Eine andere Quelle sind die Berichte des Jugendamts und der Pflegeeltern, die sich kurzzeitig um Anders gekümmert hatten. Wenche schien Probleme mit der Erziehung der Kinder gehabt zu haben, Nachbarn berichteten von Lärm in der Wohnung, das Jugendamt bot Hilfe an, sah aber letztlich kein ernstes Problem. Das war 1983, Anders war vier Jahre alt. Kindheitsfreunde berichteten, Anders sei eines von diesen Kindern gewesen, die gerne Tiere quälten und von den anderen gemieden werden. Viele solche Details aus dem Leben Breiviks scheinen auf den kaltblütigen Terroristen hinzuweisen. Aber Seierstad fügt sie nicht zu einem Täterprofil zusammen, sondern bietet sie nur an, wahrscheinlich so, wie sie ihr berichtet wurden. Das Bild, das sie von Breivik zeichnet, ist variabel und hat viele Perspektiven.
Schulfreunde erzählten Seierstad auch von Anders’ Teenagerzeit als Tagger in der Graffiti-Szene von Oslo. Er wollte immer dazugehören und einer der Coolsten sein, so cool wie die in Gangs organisierten Pakistaner. Erzwingen ließ sich das nicht. Anders blieb stets ein Außenseiter, der sich jedoch aufführt, als sei er der Chef. Eine Charaktereigenschaft, die sich in Seierstads Schilderung durch sein Leben zu ziehen scheint. Als Jugendlicher ohne Schulabschluss versuchte er, sich in der rechtskonservativen Fortschrittspartei zu engagieren. Er erklärte anderen Parteimitgliedern, wie sie sich zu verhalten hätten, bekam aber selbst nie einen Listenplatz. Seinem Vater erzählte er, inzwischen 27 Jahre alt, bei ihrem einzigen Telefonat, er betreibe eine Internetfirma. Tatsächlich verkaufte er gefälschte Abschlusszeugnisse. Mit Ende zwanzig zieht er wieder bei seiner Mutter ein und beginnt, jahrelang das Onlinespiel „World of Warcraft“ zu spielen.
In den Pausen treibt er sich auf Internetseiten wie „Gates of Vienna“ herum, wo Verschwörungstheorien von einer angeblich bereits angelaufenen, muslimischen Invasion in Europa verbreitet werden. Heute werden dort die Erfolge von Pegida in Deutschland gefeiert. Breivik postet in diesen Foren und sucht Kontakt zu seinem Idol mit dem Pseudonym Fjordman. Auch dieser Fjordman ignoriert Breivik, abgesehen von einer kurzen, formlosen E-Mail, die Seierstad zitiert. Wieder wird Breivik abgewiesen. Aber der Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde, hat er zu diesem Zeitpunkt schon innerlich abgeschworen.
Die Methode, mit der Seierstad aus dem Leben eines Massenmörders berichtet, ist nicht neu. Wie in Truman Capotes „Kaltblütig“ erzählt sie romanhaft, aber faktenbasiert aus dem Leben des Mörders. Und parallel zu dessen Biografie erzählt sie das seiner Opfer. Eine der Lebensgeschichten beginnt im Irak. Der junge Ingenieur Mustafa Rashid und seine Frau Bayan fliehen mit ihren Kindern Bano und Lara vor den Kurdenverfolgungen, zuerst nach Damaskus, dann, Mitte der Neunziger, weiter nach Norwegen. Die Kinder wachsen als Norwegerinnen auf. Bano, die Ältere, wünscht sich nichts mehr als eine norwegische Tracht. 2010 plant sie ihre Abiturreise in einem VW-Bus. Und sie tritt in die AUF ein, die Jugendorganisation der regierenden Arbeiterpartei, die jedes Jahr ein Sommerlager auf Utøya abhält.
Auch Simon Sæbø tritt jung in die AUF ein. Er fährt als jüngster Delegierter zu einem Kongress der Arbeiterpartei in Oslo. Er hält die Abschlussrede der Abiturienten seiner Schule. Man weiß als Leser: Die beiden Jugendlichen, deren Leben man parallel zu dem Breiviks begleitet, werden den 22. Juli 2011 nicht überleben. Bano wird auf dem „Pfad der Verliebten“, wie ihn die Jugendlichen nennen, im oberen Teil der Insel erschossen werden. Simon wird an den Klippen sterben, weil er anderen Jugendlichen den Platz unter einem Felsvorsprung freimacht.
Nach den Anschlägen dauerte es Tage, bis alle Verletzten und Toten geborgen waren. Die Leichen wurden während der ersten Nacht von Polizisten bewacht. Sie berichteten, dass den ganzen Abend und die folgende Nacht, in der die norwegische Sonne nicht unterging, auf der Insel Mobiltelefone klingelten. „Einer von uns“ zu lesen ist über weite Teile kaum auszuhalten. Ausführlich schildert Seierstad, auf der Grundlage eigener Aufzeichnungen und der Ermittlungsakten, wie sich Breivik auf die Anschläge vorbereitete. Mit derselben Akribie beschreibt sie die Morde. Nie wendet die Kriegsberichterstatterin Seierstad den Blick von dem Schrecken ab. Man erfährt alles, was dieser Mann getan hat. Das Voyeuristische, der eiskalte Kitzel aber, den man bei dieser True-Crime-Orgie erwarten würde, bleibt aus. Die Sensationslust erstarrt angesichts des Unbegreiflichen, das Seierstad begreifbar macht.
Karl Ove Knausgård schrieb in einem Essay über die Attentate, Breivik habe die Opfer in seiner Vorstellung zu Bildern gemacht, zu virtuellen Personen, wie er sie aus dem Internet, aus „World of Warcraft“ und aus den Foren kannte. Wie die Bilder, die von den Jugendlichen in den Nachrichten geblieben sind und wie das Bild der Insel, das nur noch für das Unfassbare steht. Auch sich selbst habe Breivik mit kruder Ideologie und Bodybuilding nach einem grotesken Ideal geformt. Anders als seine Opfer zu entmenschlichen, sei es nicht möglich gewesen, die Morde zu begehen. Er hat sie, nach Knausgårds These, nicht nur getötet, er hat ihnen alles Menschliche nehmen wollen. Åsne Seierstad hat aus ihnen, aus den weißen Punkten am Inselufer, wieder Menschen gemacht.
Die Journalistin hat mit Zeugen
und Überlebenden gesprochen,
die Verhörprotokolle gelesen
Mit schmerzhafter Akribie
schildert Seierstad, wie Breivik
die Anschläge vorbereitete
Eine Lücke in der Natur: Jonas Dahlbergs Entwurf für das „Memorial“ zum Gedenken der Opfer des Massakers auf der Insel Utøya. Die norwegische Regierung hat die Ausführung des Projekts im März 2016 beschlossen.
Foto: dpa
Åsne Seierstad: Einer von uns. Die Geschichte eines Massenmörders. Aus dem Norwegischen und Englischen von Frank Zuber und Nora Pröfrock. Verlag Kein & Aber, Zürich 2016. 544 Seiten, 26 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Lebensgeschichte als Rüstung: Åsne Seierstad untersucht die Beweggründe des Massenmörders Anders Behring Breivik.
Es gibt wahrlich genug Menschen, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen, ohne deshalb zu Massenmördern zu werden. Dasselbe lässt sich für die Karrieren von Problemkindern sagen, die Graffiti-Tags auf Zugwänden hinterlassen, für Twens, die sich in der Phantasiewelt von "World of Warcraft" verlieren, für Jungpolitiker, die von ihren Leuten ignoriert werden, für Firmengründer, deren Geschäftsmodell auffliegt, und überhaupt all jene, die vom Leben Tempo erwarten und sich plötzlich - wie der Protagonist in Joachim Triers Suizid-Drama "Oslo, 31. August", das im Frühjahr 2011 in Cannes gezeigt wurde - abgehängt sehen.
Vielleicht muss man sogar betonen, dass nicht jeder Bomben zu bauen beginnt, der für populistische Ideen empfänglich ist und Internet-Foren mit islamophoben Ergüssen bereichert. Anders Behring Breivik freilich, zu dessen Biographie die genannten Kapitel gehören, wurde am Ende ein Massenmörder, er baute eine Bombe, die er am 22. Juli 2011 im Regierungsviertel von Oslo hochjagte, und dann tötete er auf der Insel Utøya, in einem sozialdemokratischen Ferienlager, per Schusswaffe noch einmal neunundsechzig Jugendliche. Was trieb diesen Mann an? Das Politische, das der Tempelritter betont wissen will, der sich der Polizei am Telefon als "Kommandant der antikommunistischen Widerstandsbewegung Norwegens" vorstellte und dafür sorgte, dass ein islamfeindliches "Manifest" im Internet stand?
Die Journalistin Åsne Seierstad, eine Auslandsreporterin und Bestsellerautorin, die einst für das "Arbeiderbladet" aus Russland schrieb und anschließend für das Fernsehen aus Ländern wie dem Kosovo, Afghanistan oder dem Irak arbeitete, hat den Menschen Breivik untersucht. Es dürfte sie angespornt haben, wie sehr sich Breivik vor Gericht über private, nicht von ihm selbst zurechtgelegte Biographie-Schnipsel empörte. Er hatte seine Lebensgeschichte "als glänzende Rüstung konstruiert", schreibt Seierstad. Das schreit nach Dekonstruktion, auch wenn es womöglich bedeutet, dass das Politische an Gewicht verliert.
Angeregt von dem Auftrag, während des Prozesses gegen Breivik für "Newsweek" zu berichten, trug Seierstad alles zusammen, was über Breivik zusammengetragen werden konnte. Sie sprach mit Breiviks Freunden, Klassenkameraden, Parteigenossen, Geschäftspartnern und Opfern, die überlebten, und wertete Quellen wie Sozialamtspapiere, Verhörprotokolle, Zeugenaussagen, staatliche Studien und Breiviks sogenanntes "Manifest" aus. Am Ende veröffentlichte sie 2013 einen backsteindicken Wälzer, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt und die Breivik-Literatur erweitert, zu der Sachbücher wie Erika Fatlands "Die Tage danach" und Klaus Theweleits "Das Lachen der Täter: Breivik u.a." zählen (F.A.Z. vom 9. April 2013 und 21. November 2015).
Auch Seierstads "Einer von uns", das im Original den Untertitel "Eine Norwegen-Erzählung" trug und im deutschen Untertitel "Die Geschichte eines Massenmörders" heißt, ist naturgemäß ein heftiges Buch. Die Passagen, in denen die Autorin die Morde von Oslo und Utøya literarisch ausmalt und nicht einmal das Geräusch ausspart, das zerschossenen Schädeldecken entfleucht, sind entsetzlich detailliert, und nicht alles, was sie auf diesen endlosen Seiten beschreibt, muss man wissen, um das Verbrechen für abscheulich zu halten oder mit den Familien der Opfer zu fühlen.
Ihr Bemühen, die Biographie des Täters auf alle Details abzuklopfen, die im Kleinklein dazu beigetragen haben könnten, aus einem 1979 geborenen Diplomatensohn einen hasserfüllten Killer zu machen, entwickelt trotzdem einen Sog, aus dem man - wie bei einem packenden psychologischen Krimi - aus eigener Kraft nicht herausfinden kann.
Die Autorin, die Breiviks Biographie mit den Geschichten einiger Opfer verschränkt, hält sich bei der Kommentierung des Aufgeschriebenen deutlich zurück. In solider Reporter-Prosa charakterisiert sie Breivik zwar als ewigen Möchtegern, als einen nach Bedeutung gierenden jungen Mann, der eine Identität nach der anderen ausprobierte und krampfhaft nach Zugehörigkeit suchte: "Am Ende entschied sich der Täter, aus der Gemeinschaft auszusteigen und sie so brutal wie möglich zu verletzen." Diesem Befund, der etwas zutiefst Skandinavisches hat, weil man im Norden stärker als hierzulande über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft nachdenken mag, muss man sich aber nicht zwangsläufig anschließen.
Man muss sich beim Lesen nur daran erinnern, dass für die Taten von Breivik vor allem Breivik die Verantwortung trägt. Sonst erscheint alles und jedes an den Morden mitschuldig. Das beginnt bei den Eltern, die sich kurz nach der Geburt Breiviks trennten - die Psychiater, die sich 1983 mit Anders und seiner labilen Mutter befassten, "sahen einen Vierjährigen ohne Lebensfreude" -, und geht bis zur Polizei des Jahres 2011, deren Pannen und Versäumnisse dafür sorgten, dass auf die Autobombe im Regierungsviertel auch noch die Morde im Tyrifjord folgen konnten. Wichtige Hinweise gingen in der Aufregung unter, Polizeihelikopter konnten nicht starten, was an Booten verfügbar war, soff auf dem Weg vom Ufer nach Utøya vor lauter Polizisten an Bord beinahe ab.
Als Vorwurf gegen Einzelne dürfte das kaum gemeint sein. Wenn überhaupt, sind es Vorwürfe, die sich die Betroffenen auch selbst machen dürften. Die Bewohner von Østerdalen zum Beispiel. Sie hatten "den Schwefelgeruch, der über dem zarten Grün der Felder" nahe der Bombenküche Breiviks lag, nicht bemerkt, "und keinen der Nachbarn am Ufer der Glomma hatte es gewundert, dass der junge Mann aus West-Oslo am Nationalfeiertag das Haus nicht verlassen hatte".
Eine gesellschaftliche und private Tragödie, das ist Breivik, denkt man nach diesem Buch. Um sich zugleich zu fragen, ob man sich den politischen Facetten des Themas, die bei Seierstad natürlich vorkommen, aber oft nur en passant behandelt werden können, nicht trotzdem noch einmal intensiver annehmen muss. Die Islamophobie und der Hass auf die weltoffene Demokratie und ihre Repräsentanten nehmen in Zeiten des Populismus, der Flüchtlingsströme und der IS-Anschläge in Europa nicht gerade ab. Und anders als vor dem Juli 2011, als ein großer Anschlag von rechts die Vorstellungskraft vieler Beobachter überstieg, erscheint es heute nicht unwahrscheinlich, dass es auch von dieser Seite zu Anschlägen kommen kann, sobald es wieder einen gibt, der sich dazu berufen fühlt.
MATTHIAS HANNEMANN
Åsne Seierstad. "Einer von uns". Die Geschichte eines Massenmörders.
Aus dem Norwegischen und Englischen von Frank Zuber und Nora Pröfrock. Verlag Kein & Aber, Zürich 2016. 544 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main