Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Ein Band mit lehrreichen Beiträgen Olaf Sieverts
Vor gut einem halben Jahrhundert zählte die Universität des Saarlands zu den wichtigsten Zentren der Volkswirtschaftslehre in Deutschland. An ihr lehrten namhafte Professoren wie Herbert Giersch und Wolfgang Stützel, und auch die Liste der Absolventen dieser Jahre konnte sich blicken lassen. So wurde Wolfram Engels (1933 bis 1995) ein weit über die Grenzen seines Spezialfachs bekannter Professor für Bankbetriebslehre. Horst Schulmann (1933 bis 1994) zog es in die Verwaltung und Politik mit Tätigkeiten unter anderem in der Weltbank und im Währungsfonds, im Bundeskanzleramt, im Bundesfinanzministerium und in der Hessischen Landeszentralbank. Hans D. Barbier (1937 bis 2017) wurde, nicht zuletzt als langjähriger Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftspolitik in der F.A.Z., einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten des Landes.
Zum einflussreichsten Ökonomen dieser Generation avancierte der im Jahre 1933 geborene Olaf Sievert, dessen wichtigste Beiträge Lars Feld und Christian Molitor in einem Band herausgegeben haben. Sievert stand viele Jahre dem Sachverständigenrat vor, als dieser noch in der Lage war, das ökonomische Denken in Deutschland spürbar zu beeinflussen. Sievert wirkte aber auch in weiteren Gremien, darunter dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft. Aus seinen Erfahrungen hat er einen Schluss gezogen, der dem Buch als Titel voransteht und der so manchen jüngeren Ökonomen irritieren könnte: "Einfache Wahrheiten zählen."
Daraus ist nicht zu schließen, Sievert habe es sich einfach gemacht. "Es geht um die Würdigung eines ökonomischen Generalisten, dessen Beiträge nicht in die heutige Volkswirtschaftslehre passen", bemerken Feld und Molitor. "Es geht nicht um die modelltheoretisch traktierte Einzelfrage, es geht ums große Ganze, wobei, man lasse sich nicht täuschen, eine modelltheoretische Fundierung regelmäßig vorhanden ist. Mathematische Formulierungen sind selten zu finden. Die Exposition steht eher in der Tradition britischer Klassiker, mit stilistisch luziden Formulierungen, die die Komplexität der Sachverhalte plötzlich durchschaubar machen."
Unter der Leitung Sieverts vollzog der Sachverständigenrat Mitte der Siebzigerjahre eine damals sehr kontrovers diskutierte Wende zugunsten einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die dem mittel- und langfristigen Wachstumspotential mehr Beachtung schenkte als kurzfristiger Konjunktursteuerung durch staatliche Nachfragepolitik. In gewisser Weise nahm der Rat damals Ideen vorweg, die später in der Politik durch Margaret Thatcher und Ronald Reagan umgesetzt wurden. Damals ging es in den Debatten hoch her. "Mitte der Siebzigerjahre war das Tischtuch zwischen dem Sachverständigenrat und den Gewerkschaften wegen der Kritik an deren aggressiver Umverteilungspolitik fast zerschnitten; das bekam auch der Kommunikation zwischen Regierung und Sachverständigenrat nicht", erinnerte sich Sievert später. Wie sein Mentor Giersch unterschied Sievert aber streng zwischen den oft ziemlich platten politischen Vorstellungen sogenannter "Keynesianer" und dem Werk von Keynes, für das Giersch und Sievert stets Hochachtung bewahrten: In einer schweren Krise muss der Staat mit Nachfragepolitik à la Keynes gegensteuern, aber Versuche permanenter Konjunktursteuerung durch den Staat sind zum Scheitern verurteilt.
Seinen eigenen Kopf behielt Sievert auch in der Währungspolitik: Galt der Ökonom in vielerlei Hinsicht als Ordoliberaler, so bezog er auf diesem Gebiet Positionen, die ihn in scharfen Gegensatz zu anderen Ordoliberalen brachten. Wie Giersch und andere Liberale hatte Sievert anfangs Sympathie für flexible Wechselkurse besessen. Aber nachdem nach ihrer Einführung die Kursschwankungen weitaus größer und erratischer ausfielen als erwartet, schloss sich Sievert der Überzeugung von Gierschs Rivalen Stützel an, der immer Systeme fester Wechselkurse präferiert hatte.
Diese Haltung führte Sievert zu einer Befürwortung der Europäischen Währungsunion - eine Befürwortung, die er in harten Auseinandersetzungen während der Eurokrise nachdrücklich verteidigt hat. Die mit der Einführung des Euros gezogenen großen ordnungspolitischen Linien seien selten klarer und überzeugender formuliert worden als von Sievert, schreiben Feld und Molitor: "Sievert behielt nicht in allem recht. Gleichwohl bewegte sich sein ordnungspolitisches Plädoyer für das Projekt Währungsunion auf einem Niveau, das viele andere Diskussionsteilnehmer nicht erreichten."
Sievert hat Irrtümer eingeräumt, so wie er in der Tradition Friedrich von Hayeks stets vor der Überschätzung von Wissen warnte. "Das stabilitätspolitische Versagen eines einzelnen Mitglieds der Währungsunion erweist sich in nicht vorausgesehenem Ausmaß als, wie man heute sagt, systemisches Risiko der Finanzmärkte der Union", sagte er. Angela Merkels Kurs in der Euro-Rettungspolitik hielt Sievert im Grundsatz für richtig, während er in der hitzigen deutschen Debatte über Rechtsbrüche mit Kritik an Andersdenkenden nicht sparte: "Ich erwarte eigentlich von meinen Kollegen, wenn sie denn als Wissenschaftler auftreten, dass hier nicht so schlampig argumentiert wird, als wenn sie von der 'Bild'-Zeitung kämen." GERALD BRAUNBERGER
Olaf Sievert: Einfache Wahrheiten zählen. Herausgegeben von Lars P. Feld und Christian Molitor. Mohr Siebeck, Tübingen 2022, 486 Seiten, 115 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH