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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
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Drei Generationen, ein gemeinsames Trauma: Doug Johnstone schickt seine Detektivinnen durch Edinburgh
Meistens haben Detektive schon mit einem Job alle Hände voll zu tun. Doug Johnstone gibt seinen schottischen Privatdetektivinnen in "Eingefroren" gleich noch einen zweiten Beruf mit dazu: Die Frauen der Skelf-Familie führen nicht nur eine Detektei, im Untergeschoss ihrer Geschäftsräume befindet sich ebenfalls ein Bestattungsinstitut. Dass diese Kombination so schräg wie ungewöhnlich ist, fällt sogar jenen auf, welche die Frauen bei ihren Ermittlungen treffen. Immer wieder stellen sie sich in der Doppelrolle vor, immer wieder bringen die Befragten Befremden darüber zum Ausdruck. Worauf die Skelf-Frauen nur die Schultern zucken: "So ist das eben."
Wie es kam, dass die Familie sich dieser Doppelaufgabe widmet, und warum Männer im Leben dieser Frauen nur eine Nebenrolle spielen, das hat der schottische Schriftsteller Doug Johnstone in "Eingeäschert" (F.A.Z. vom 7. Februar 2022), dem ersten Teil dieser ebenfalls im Polar Verlag erschienenen Reihe, erzählt. Und da das Wissen um vieles, was im ersten Teil geschah, eine Voraussetzung ist, um die Motive und Gemütslagen seiner Figuren im zweiten Teil zu verstehen, rekurriert er in den ersten Kapiteln immer wieder auf das Vergangene. Diese rückblickartigen Einschübe versucht der Autor zwar jeweils organisch ins Geschehen zu weben - er lässt seine Figuren in Gesprächen die zurückliegenden Verwicklungen referieren und so die nötigen Informationen zum Verständnis des Geschehens liefern -, doch wirken diese Stellen dadurch hölzern und behäbig.
Weiß man dann aber, dass Großmutter Dorothy, Mutter Jenny und Tochter Hannah alle noch schwer traumatisiert sind, weil Craig, Jennys Ex-Mann und Hannahs Vater, die Frauen mit einem Messer angegriffen hat, mit der Absicht, sie umzubringen - was zu schweren körperlichen wie seelischen Verletzungen führte -, zieht einen die Handlung recht schnell ins Geschehen.
Und das beginnt wie ein Actionfilm: Während einer Beerdigung rast ein Wagen verfolgt von Polizeiautos über den Friedhof, überfährt um ein Haar Dorothy und kommt erst zum Halt, als er ins offene Grab kracht. Schwarzen Humor beherrschen die Schotten bekanntlich. Der Mann am Steuer lässt dabei sein Leben. Einen Ausweis hatte er nicht dabei, dafür einen Hund, den Dorothy Einstein tauft und bei sich aufnimmt. Natürlich will sie herausfinden, was es mit dem unbekannten Toten auf sich hat.
Enkeltochter Hannah stolpert derweil in einen anderen Todesfall hinein. Einer ihrer Professoren an der Universität soll Selbstmord begangen haben, mit der gleichen Säure, über die Schrödinger in seinem berühmten Katzen-Gedankenexperiment sprach. Und dann ist da noch der Fall einer verschwundenen Vierzehnjährigen, die von ihrer Mutter und dem Stiefvater davongelaufen ist, um ihren leiblichen Vater zu suchen. Und natürlich meldet sich auch Craig aus dem Gefängnis wieder.
Johnstone treibt die Handlung in kurzen Kapiteln voran. Damit man zwischen den vielen parallel verlaufenden Strängen nicht die Übersicht verliert, trägt jedes Kapitel den Namen der jeweiligen Frau, der es folgt. So gelingt es ihm auch, jeder Figur Tiefe mitzugeben. Recht schnell hat man ein Gespür für die unterschiedlichen Charaktere dieser drei Generationen. Den stärksten Auftritt hat Dorothy, die bei ihren Ermittlungen mehrmals mit der Tatsache spielt, dass sie älter als siebzig Jahre ist und ihr Gegenüber sie deswegen für tatterig, skurril und harmlos hält.
Wie wenig das zutrifft, zeigt sich, wenn Dorothy sich in ihrer Freizeit hinters Schlagzeug klemmt: "Sie hatte das Trommeln immer als eine Übung in Achtsamkeit benutzt, bevor es das Wort überhaupt gab, sie fühlte sich als Teil von etwas Größerem, wenn sie sich der Musik hingab." Je länger man Dorothy bei ihren Ermittlungen folgt, desto stärker merkt man, wie sehr eine schlagzeugspielende siebzigjährige Detektivin dem Krimigenre bislang gefehlt hat.
Im Handlungsstrang, der der jüngsten Skelf-Frau Hannah folgt, lässt Johnstone hingegen einige Themen seiner eigenen Unikarriere einfließen - bevor er sich dem Schreiben widmete, erwarb er einen Doktortitel in Kernphysik. So diskutiert Hannah beispielsweise mit ihrer Therapeutin nicht nur die Auswirkungen, die der brutale Angriff ihres Vaters auf ihre Psyche hatte, sie flicht immer wieder philosophische Betrachtungen über Quantenmechanik und die Vielweltentheorie ein - Themen, die spätestens seit den Multiversen der Marvel-Comicverfilmungen und Serien wie Alex Garlands "Devs" in der Popkultur angekommen sind.
Dementsprechend erklärt Johnstone sie hier nicht ausführlich, sondern deutet sie nur als Ideen an, mit denen die junge Generation - also Menschen wie Hannah - mittlerweile vertraut ist. Sie sind ein Aspekt von Hannah, die ansonsten, wie jede Frau dieser Familie, vorführt, dass Detektiv- und Trauerarbeit mitunter eng beieinanderliegen. MARIA WIESNER
Doug Johnstone: "Eingefroren". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Polar Verlag, Stuttgart 2023.
400 S., geb., 26,- Euro.
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