Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Achtung, diese Frauen schreiben uns an die Wand: Nicole Seifert rehabilitiert die vergessenen Autorinnen der Gruppe 47
Über die Gruppe 47 schien wissenschaftspublizistisch alles gesagt, nachdem 2016 Jörg Magenau mit "Princeton 66" in einem Abgesang das Feld von hinten aufgerollt hatte. Oder fehlt da was? Ja, sagt Nicole Seifert in ihrem Buch "Einige Herren sagten etwas dazu": die Autorinnen! Die Gruppe 47 ist ihr Bohrkern für eine überzeugende Analyse des misogynen und sexistischen Literatursystems im zwanzigsten Jahrhundert, das bis in die Gegenwart reicht. Doch das ist nicht das einzige spektakuläre Ergebnis.
Die zuvor gängige Benachteiligung von Autorinnen sollte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gelten, da Autorinnen in steigender Frequenz und mit steigendem Selbstbewusstsein publizierten. Dennoch entfielen im Lesekanon deutscher Gymnasien auch für diesen Zeitraum nur etwa zehn Prozent auf Autorinnentexte. Die Gründe dafür führen direkt zur Gruppe 47.
Zu deren Eintrittskarten gehörten die Kriegsteilnahme und deren Verklärung als Zwang oder Verführung. Einen regelrechten "linken Corpsgeist" wollte der absolutistisch über die Gruppeneinladungen herrschende Hans Werner Richter erzeugen, und so blieben Exilautoren als "Vaterlandsverräter" bis zum Schluss von den Treffen ausgeschlossen. Auch alliierte re-education verbat sich Richter, wie übrigens auch Wolfgang Borchert.
Die beredte "Rechtfertigungsprosa" (Johann Sonnleitner), mit der sich die Autoren - nicht nur die der Gruppe 47 - in Selbstmitleid ergingen und die sie mit ihrer (männlichen) Leserschaft verband, bedeutete ein grundsätzliches Ausschlusskriterium jener siebzehn von Seifert vorgestellten Autorinnen, die bei den Treffen der Gruppe 47 zwischen 1947 und 1967 ihre Texte vorlasen.
Nicht nur Ingeborg Bachmann fühlte sich 1958 "unter deutsche Nazis" gefallen, auch Ilse Aichinger, Tochter einer Jüdin, störte mit ihren Texten über die Opfer. Mit "Die größere Hoffnung" hatte sie 1947 den ersten Roman über KZs als Vernichtungslager der NS-Rassenpolitik verfasst. Ähnlich Ingeborg Drewitz, die 1955 "eins der ersten Theaterstücke, die sich mit der Judenvernichtung und den Konzentrationslagern befassten", schrieb.
Autorin für Autorin zeigt Seifert, dass deren Texte systematisch jene Auseinandersetzung mit dem Mitläufertum während der NS-Zeit und dem daraus resultierenden anhaltenden Antisemitismus in Deutschland und Österreich lieferten, die die Autoren verweigerten - ein Thema, das Richter bis zum Ende seines Lebens bagatellisieren sollte. Damit steht Ingeborg Bachmanns Verbindung von Faschismus und patriarchalem Sexismus in ihrem einzigen fertiggestellten Roman, "Malina", plötzlich nicht mehr solitär, sondern eingebettet in ein gemeinsames Bewusstsein ihrer Zeitgenossinnen. Mit diesem Innovationsbeweis der Autorinnen fordert "Einige Männer sagten etwas dazu" geradezu zur Revision des Kanons der Nachkriegsliteratur auf.
Auch weil diese Inhalte den Konsens der Gruppenteilnehmer störten, wurde statt über die Literatur der Autorinnen über ihre Körper "verhandelt": von verbalen bis zu massiven körperlichen Übergriffen, als etwa Aichinger in ihrem Zimmer nicht nur Heinrich Böll auf dem Sofa, sondern einen weiteren Teilnehmer nackt in ihrem Bett vorfand. Systematisch wurden sie in Männerphantasien und Frauenrollen eingehegt. Beginnend mit Ilse Schneider-Lengyel, in deren Hütte am Bannwaldsee bei Füssen Richter die Gruppe für deren erstes Treffen 1947 einquartierte, von ihr durchfüttern ließ und Schneider-Lengyel dafür mit der vollständigen Ausstreichung als Autorin bedachte.
In der Furcht, dass die Frauen "uns an die Wand" schreiben (Günter Grass), wurde "Bachmann als hilfloses, schusseliges Frauchen" diminuiert, Barbara König als "rachsüchtiges Raubtier" dämonisiert, Gisela Elsner zu "Kleopatra", Helga M. Novak eine "schöne Frau aus der Fischfabrik" und Renate Rasp die "ungeratene Tochter" genannt. Vor diesem Hintergrund ist die Distanzierung fast aller Autorinnen vom "Latzhosen"-Feminismus ihrer Zeit nicht nur pragmatische Strategie gegenüber einer patriarchalen Literaturkritik, sondern zunehmend verzweifelter Versuch, das Augenmerk von ihrem Geschlecht auf die Literatur zu lenken.
Vergeblich. Ihre Texte wurden verdrängt, die Anekdoten überdauerten bis hinein in die teils hämischen Nachrufe. Kritik und Literaturgeschichtsschreibung machten sie zu Varianten der misogynen Kernerzählung von der Frau, die aufbegehrt und untergeht. Monolithisch blieben nur Bachmann und Aichinger, Letztere sakrosankt durch ihre Ehe mit Günter Eich. Die Umdeutung der Literatur auf den Körper musste übrigens auch ein Mann über sich ergehen lassen: Als Paul Celan 1952 die "Todesfuge" las, verweigerte Richter die Auseinandersetzung mit dem Gedicht, indem er dem Holocaust-Überlebenden den "Tonfall von Goebbels" vorwarf.
Obgleich Seifert viel bestehende Forschung kompiliert, ist ihre systematische Verbindung von Militarismus und Sexismus ebenso überraschend wie bestechend. Darüber hinaus liefert "Einige Herren sagten etwas dazu" eine Einführung ins Werk der siebzehn Autorinnen, die Lust darauf macht, die zu Unrecht Vergessenen wiederzuentdecken. Es ist damit das Buch der Stunde für alle, die sich den misogynen Ausschlusskriterien der Kanonisierung im zwanzigsten Jahrhundert und deren persistierenden Strukturen entgegenstellen wollen. Darüber hinaus gelingt Seifert das Kunststück, dem breiten Lesepublikum eine Literaturwissenschaft nahezubringen, die gesellschaftliche Prozesse direkt erfahrbar macht. TINA HARTMANN
Nicole Seifert: "Einige Herren sagten etwas dazu". Die Autorinnen der Gruppe 47.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 352 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.