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Diese Einsatzgeschichte der Bundeswehr erzählt von einer Armee im Einsatz, von Einsatzerfahrungen einzelner Soldatinnen und Soldaten und beleuchtet das Verhältnis des wiedervereinigten Deutschlands zum »Krieg«. Befinden sich deutsche Soldaten im Krieg? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben nicht nur die Streitkräfte, sondern auch den politischen Diskurs über diese Frage verändert. Schon in den 1990er Jahren begleitete das Ringen um eine deutsche Kriegsbeteiligung die Bundeswehr auf ihrem Weg von der »Armee der Einheit« zur »Armee im Einsatz«. Seitdem haben über 380.000 Soldatinnen und…mehr

Produktbeschreibung
Diese Einsatzgeschichte der Bundeswehr erzählt von einer Armee im Einsatz, von Einsatzerfahrungen einzelner Soldatinnen und Soldaten und beleuchtet das Verhältnis des wiedervereinigten Deutschlands zum »Krieg«. Befinden sich deutsche Soldaten im Krieg? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben nicht nur die Streitkräfte, sondern auch den politischen Diskurs über diese Frage verändert. Schon in den 1990er Jahren begleitete das Ringen um eine deutsche Kriegsbeteiligung die Bundeswehr auf ihrem Weg von der »Armee der Einheit« zur »Armee im Einsatz«. Seitdem haben über 380.000 Soldatinnen und Soldaten einen Auslandseinsatz absolviert. Zu dieser komplexen Einsatzgeschichte der Bundeswehr eröffnet der vorliegende Band Zugänge aus der Perspektive der Militärgeschichte, der Sozialwissenschaften sowie aus der Sicht von ausgewählten Zeitzeugen.
Autorenporträt
Oberstleutnant Dr. Jochen Maurer war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) und arbeitet jetzt im Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ralph Rotte bekommt mit den Beiträgen in diesem Sammelband von Jochen Maurer und Martin Rink einen Querschnitt der Wahrnehmungsweisen zu sicherheitspolitischen Fragen in Deutschland. Wissenschaftler, Militärs und Politiker betrachten laut Rotte das Paradoxe an Friedensmissionen (Wolfgang Knöbl), den Wandel deutscher Sicherheitspolitik (Klaus Neumann) oder die Darstellung des Militärs im Film (Gerhard Kümmel) beziehungsweise am Beispiel des Afghanistan-Einsatzes im TV (Philipp Fraund). Inwieweit die Darstellung und Wahrnehmung oberflächlich (TV) oder durchaus differenziert (Film) ist, vermitteln die Autoren dem Rezensenten, bevor Eberhard Zorn im Band ganz grundsätzlich fragt, ob Soldaten wirklich nötig sind.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2021

Wofür braucht Deutschland Soldaten?
Ein Plädoyer für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über ein wichtiges Thema

Nicht erst seit der Diskussion über die Erfolgsbilanz des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ist klar, dass die deutsche Gesellschaft ihre Streitkräfte und deren Angehörige insgesamt stiefmütterlich behandelt. Tatsächlich ist die Rolle und Funktion der Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges nie Gegenstand eines umfassenden Diskurses gewesen. Als Ursache hierfür wird unter anderem immer wieder die fehlende Bereitschaft zur Befassung mit dem Phänomen Krieg und Tod in einer nicht unmittelbar militärisch bedrohten Gesellschaft genannt, welche beispielsweise auf die Erfahrung zweier Weltkriege und des Holocausts, den Primat wirtschafts- und sozialpolitischer Themen oder die Entfremdung der Bundeswehr durch ihre sukzessive Verkleinerung und die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 zurückgeführt wird.

Die deutschen Berührungsängste mit dem Phänomen Krieg, während Bundeswehrsoldaten seit Mitte der 1990er-Jahre in "Out of area"-Einsätzen dienen, kämpfen und auch sterben sind das zentrale Thema des vorliegenden Sammelbandes. Ausgehend von den "semantischen Inkonsistenzen bei der Frage nach dem Krieg", gehen die zwanzig Beiträge von Wissenschaftlern, Militärs und Politikern auf verschiedene Art der Einsatzgeschichte der Bundeswehr und ihrer politisch-gesellschaftlichen Verortung nach.

Martin Rink widmet sich dem Begriff des Krieges vor dem Hintergrund des seit dem Ende des Kalten Krieges betonten Konzeptes des "Vernetzten Ansatzes" der Sicherheit, wobei unter anderem in Deutschland "die gewalttätige Seite des Ansatzes gern ausgeblendet wird". Er betont, dass Kriege "typologisch mehrdeutig und ihre Merkmale abhängig von der jeweiligen Deutungshoheit" sind. "Nicht, was der Krieg ist, erweist sich daher als ausschlaggebend, sondern, was die betroffenen Sprechergemeinschaften als solchen bezeichnen." Für die deutsche Diskussion macht er vier zentrale Aspekte aus, die bis heute eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Krieg erschweren beziehungsweise verzögern: die Selbststilisierung der Bundesrepublik als Friedensmacht, ihre militärische Zurückhaltung als "Bündnispartnerin par excellence", die historische und rechtliche Aufladung des Begriffs, welche die "Wahrscheinlichkeit einer ,Kriegsverdrängung'" erhöhe, und schließlich den (erst) seit der Jahreswende 2009/10 "erhöhten Grad an Ehrlichkeit gegenüber der deutschen Öffentlichkeit".

Wolfgang Knöbl untersucht die "Produktion von Paradoxien" in der Theorie und Praxis von Friedensmissionen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der eher ernüchternden Bilanz des Nation-Building durch westliche Staaten, etwa in Afghanistan. Er hält überzeugend fest, dass aufgrund der Komplexität jedes Einzelfalles ein eindeutiger Kriterienkatalog für humanitäre Interventionen illusorisch ist. Realistischerweise führe nicht jede massive Menschenrechtsverletzung zu einer militärischen Intervention. Zudem widersprächen sich das übliche Ziel eines "minimal stay" des Interventionisten und die Notwendigkeit eines langen Atems beim nachhaltigen Nation-Building inklusive der Bereitschaft, längerfristig die damit verbundenen Kosten zu tragen. Gleiches gilt hinsichtlich wünschenswerter Legitimation auf der Basis eines breiten internationalen Mandats, etwa der Vereinten Nationen, und der Effektivitäts- und Effizienzverluste von solchen Interventionen. Diese Paradoxien werden am Beispiel des Afghanistan-Einsatzes illustriert, was den Verfasser zu dem Schluss führt, dass viele Nation-Building-Konzepte von außen misslängen, "weil sich soziale und kulturelle Prozesse mindestens so schwer steuern lassen wie rein wirtschaftliche! ... Eine gehörige Portion Demut, Nüchternheit, Realismus sind also ... angebracht, sollte man sich wieder für eine ähnliche Intervention wie diejenige in Afghanistan entscheiden." Das ist freilich für die nähere Zukunft wohl mehr als unwahrscheinlich.

Dies unterstreicht auch der Beitrag von Philipp Münch, der den Begriff der Paradoxien für den deutschen Afghanistan-Einsatz aufgreift. Sein Fazit ist, dass mangels politischer und damit strategischer Zielvorgaben "die Logik des deutschen Afghanistan-Engagements wenig mit dem Land selbst und den sich hier stellenden militärischen Herausforderungen zu tun hatte". Vielmehr sei es vorwiegend um eigene Einstellungen und Interessen der politisch Verantwortlichen gegangen. So fokussierten die politischen Entscheidungsträger auf die "Entwicklung" des Landes und kooperierten mit lokalen Akteuren, auch wenn dies zu einer Schwächung und Delegitimierung der Zentralregierung und den "Prinzipien liberaler Staatlichkeit" führte. Ähnliches gilt für die Militärs: "Ohne klaren Auftrag wählten die verantwortlichen Truppenführer ihr Vorgehen gemäß den von ihnen verinnerlichten Grundsätzen klassischer, geländeorientierter Operationsführung", was den Aufständischen aber erst Angriffsmöglichkeiten eröffnete. "Um keine Verluste zu erleiden, mussten die Verantwortlichen mitunter Abkommen mit lokalen afghanischen Kommandeuren ... schließen, obwohl damit das proklamierte Ziel eines Staatsaufbaus unterlaufen wurde. Das Fehlen strategischer Ziele mündete somit in eine von niemandem geplante paradoxe, nicht zu beherrschende Eigenlogik des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan."

Klaus Naumann zeichnet die Determinanten des Wandels in der deutschen Sicherheitspolitik seit 1990 nach. Er konstatiert als Grundproblem "eine anhaltende Ungleichzeitigkeit zwischen den Führungsebenen", das erst durch die Anstrengungen zur "Transformation" der Bundeswehr, der zivil-militärischen Ausgestaltung des "vernetzten Ansatzes" und die Straffung der militärischen Führungsstruktur durch die Aufwertung des Generalinspekteurs abgeschwächt wurde. Angesichts der Legitimationsprobleme der Streitkräfte, die nicht zuletzt auf die Scheu der deutschen Politik vor einem klaren Bekenntnis zur Notwendigkeit auch von "hard power" zurückzuführen seien, besteht laut Klaus Naumann weiterhin das grundlegende Spannungsverhältnis der "Quadratur des Dreiecks" aus Politik, Militär und Öffentlichkeit.

Gerhard Kümmel zeichnet die Darstellung des Militärs im bundesrepublikanischen (vor allem Unterhaltungs-)Film als wesentlichem populären Medium nach. Seine Inhaltsanalyse der seit den 1950er-Jahren produzierten Kino- und Fernsehfilme mit militärischen Bezügen führt zu zehn unterschiedlichen Kategorien und dem Gesamtfazit, dass diese "identifizierten thematischen Kategorien auf eine differenzierte und pluralisierte Film- und Fernsehlandschaft verweisen und ein eine große Bandbreite abdeckendes mediales Bild der Bundeswehr zeichnen". Dies führt ihn im Gegensatz zum Tenor anderer Beiträge des Bandes zu dem Schluss, dass es um die zivil-militärischen Beziehungen in Deutschland "gar nicht so schlecht bestellt" sei.

Dem gegenüber konstatiert Philipp Fraund in seiner Betrachtung der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender über den Afghanistan-Einsatz, dass dieser in den Hauptnachrichten in ARD und ZDF in nur sehr geringem und oberflächlichem Maß thematisiert worden ist, während die Auslandsberichterstattung insgesamt in den vergangenen Jahren von "Human-Interest-Storys" ohne kritische Nachfragen oder vertiefte Hintergründe dominiert werde. Die schwierige Nachrichten- und Sicherheitslage vor Ort sowie die langsame und wenig sichtbare Pressepolitik der Bundeswehr tun hier ein Übriges. Im Endeffekt nimmt es laut Philipp Fraund so wenig wunder, dass die Medien gegenüber dem Thema Afghanistan-Einsatz zurückhaltend sind, während gleichzeitig eine ausführlichere Berichterstattung über die Auslandseinsätze der Bundeswehr wünschenswert wäre.

Ergänzend hierzu zeigen Markus Steinbrecher und Meike Wanner in ihrer empirischen Untersuchung der Bevölkerungsbefragungen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr auf, dass die öffentliche Wahrnehmung des Afghanistan-Einsatzes stark von dessen Erfolgsbewertung abhängt. "Allgemein sprechen sich die Befragten dafür aus, dass sich ihr Land international einbringt und engagiert; wird es konkreter und geht es um einen spezifischen Einsatz, sind sie jedoch skeptischer." Die "wohlwollende Skepsis" der Bevölkerung weise darauf hin, dass die Unterstützung der Bundeswehr auch in Kriegseinsätzen zwar nicht optimal, aber auch nicht hoffnungslos gering ist.

Nach mehreren persönlich beeindruckenden und aufschlussreichen Beiträgen zur Wahrnehmung des Afghanistan-Einsatzes aus der Perspektive verschiedener Dienstgrade von Bundeswehrangehörigen stellt abschließend der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, die Gretchenfrage "Wofür braucht Deutschland Soldaten? Wofür töten, wofür sterben?". Unter Verweis auf fragile und gescheiterte Staaten und transnationale Bedrohungen wie den Terrorismus des IS konstatiert er die Entstehung einer neuen Betroffenheit und eine stärkere Wahrnehmung der Sicherheitspolitik in der Öffentlichkeit. Dabei gesteht er zu, dass seit dem Ende der 1990er-Jahre der Auftrag und die Legitimation des Einsatzes der Bundeswehr auch unter den Soldaten kontroverser diskutiert werde, was sie aber unter Verweis auf die Innere Führung auch durften und konnten. Zugleich sei unstreitig, "dass auch eine Demokratie wehrhaft und verteidigungsbereit sein muss. Weiterhin unbestritten bleibt, dass dafür starke Streitkräfte notwendig sind. Und deren Soldatinnen und Soldaten müssen kämpfen können. Wer kämpft, setzt sich der Gefahr aus, in letzter Konsequenz selbst zu sterben oder selbst töten zu müssen. Wenn ein Staat Streitkräfte aufstellt, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und seine eigene Handlungsfähigkeit zu sichern, dann sind damit immer das Kämpfen, das Sterben und das Töten impliziert. Etwas anderes zu behaupten, wäre schlichtweg unseriös." Entsprechend verweist er nicht nur auf die Förderung der Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft, sondern mahnt auch eine gesellschaftliche Verantwortung an. "Eine Armee für die Gesellschaft muss eben auch eine Armee in der Gesellschaft sein."

In diesem Sinne stellt der Sammelband die vielschichtige und insgesamt noch immer schwierige Wahrnehmung sicherheitspolitischer Fragen einschließlich der Auseinandersetzung mit der Realität bewaffneter Konflikte und den Aufgaben der Bundeswehr in ihren vielfältigen und auch kritischen Facetten dar. Damit trägt er hoffentlich dazu bei, endlich den überfälligen, breiten, differenziert und rational geführten Diskurs über die deutsche Sicherheitspolitik und die Bundeswehr anzustoßen, zumal "militärische Macht zur Durchsetzung politischer Interessen seitens staatlicher oder halbstaatlicher Akteure nach Europa zurückgekehrt ist".

RALPH ROTTE

Jochen Maurer/Martin Rink (Hrsg.): "Einsatz ohne Krieg?". Die Bundeswehr nach 1990 zwischen politischem Auftrag und militärischer Wirklichkeit.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2021. 430 S., 45,- [Euro].

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