Studienarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, FernUniversität Hagen (Institut für neuere deutsche und europäische Literatur), Veranstaltung: Europäische Literatur der Neuzeit - Europäer in Italien, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Auseinandersetzung mit Vergangenheit ist ein wesentlicher Bestandteil der italienischen Reisewerke des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Reisenden sahen sich in Italien mit zahlreichen Überresten der römischen Antike und Kunstwerken späterer Epochen konfrontiert. Oftmals war die Besichtigung dieser (Kunst-)Zeugnisse leitendes Motiv der Italienreise im Sinne einer klassizistischen Bildungserfahrung, einer einfachen Bildungsreise oder der Vergegenwärtigung von Ruinenromantik. In dieser Seminararbeit wird die spezifische Weise untersucht mit der Heine in der Reise von München nach Genua Vergangenheit in Italien erfährt und konstruiert. Schon der erste Befund ergibt ein dynamisches und lebhafteres Bild von Vergangenheit als der oben skizzierte Rahmen traditioneller Reisewerke vorgibt: Historie spiegelt sich genauso im Steintext von völkerwanderungs-zeitlichen Trümmern als auch im Gesicht der Obstfrau in Trient, in dem sich die Spuren aller Zivilisationen Italiens finden. Dazu treten Geistererscheinungen historischer Persönlichkeiten, die vor dem Zapfenstreich und Betglocken einer christlich-österreichischen Realität fliehen und eine verlebendigte Reiterstatue von Cangrande, der sich dem Erzähler als Fremdenführer durch Verona anbietet. Diese im weitesten Sinne einer historischen oder kulturhistorischen Betrachtung des Landes zuzuordnenden Momente der Reise bilden aber nur eine Dimension der Konstruktion von Vergangenheit in der Reise von München nach Genua. Sie sind verwoben mit mythisch-mythologischen Motiven, die ihrem Wesen nach auf eine zeitlich nicht klar bestimmbare Vorvergangenheit verweisen und als dritte Komponente, die persönliche Vergangenheit des Erzählers, besonders virulent in der Erscheinung der tote Maria, der stetigen Begleiterin der Reise. Die komplexe Anlage von sich überlagernden Bildern der Vergangenheit entspricht nicht mehr dem einfachen Muster von Sehen und Beschreiben traditioneller Reiseliteratur. Vielmehr bilden auch die Aspekte der Vergangenheit in sich „harmonisch verschlungenen Fäden“, die die Kompositionstechnik der Reisebilder insgesamt auszeichnet — als feingliederiges Geflecht sprunghaft wirkender Gedankenverbindungen, als Medium von Fremd- wie Eigenreferenzen, als eine bisweilen die Grenzen von Zeit, Raum, Wirklichkeit und Traum nivellierenden Erzählung.