1919 hat das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die Akte "Einsteins Relativitätstheorie" angelegt. Sie wurde 1961 vom Autor wiederentdeckt und zusammen mit anderen inzwischen identifizierten Einstein-Akten aus deutschen Archiven zum Quellmaterial für dieses faszinierende Buch. Die Neuauflage kommentiert aufgrund akribischer Studien von 1600 Akten Einsteins FBI-Akte der Jahre 1950 - 1955 und legt bisher unbekanntes Material zu Einsteins angeblichen Kontakten zur KPD und Komintern vor. Neu ist auch die gründliche Studie zu Einsteins Mitarbeit in der Völkerbund-Kommission, die sich auf Archivstudien in Genf stützt.
Das Buch zeichnet das Einsteinbild in der Politik und der Wissenschaftspolitik Deutschlands nach. Der Bogen spannt sich von seiner Berufung als Forscher nach Berlin über seine Rolle, nach dem 1. Weltkrieg den "Boykott der deutschen Wissenschaft" durch das Ausland überwinden zu helfen, bis zu seiner Rolle als Zielscheibe der Angriffe gegen die "jüdische Physik" im Inland. Es füllt damit eine wichtige Lücke in der Einsteinliteratur und trägt Neues zum besseren Verstehen für Einsteins rigorosen Bruch mit Deutschland bei.
Das Buch zeichnet das Einsteinbild in der Politik und der Wissenschaftspolitik Deutschlands nach. Der Bogen spannt sich von seiner Berufung als Forscher nach Berlin über seine Rolle, nach dem 1. Weltkrieg den "Boykott der deutschen Wissenschaft" durch das Ausland überwinden zu helfen, bis zu seiner Rolle als Zielscheibe der Angriffe gegen die "jüdische Physik" im Inland. Es füllt damit eine wichtige Lücke in der Einsteinliteratur und trägt Neues zum besseren Verstehen für Einsteins rigorosen Bruch mit Deutschland bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.1999Als die Sonne sich verfinsterte, ging Einsteins Stern auf
Und ein Abglanz seines Ruhms sollte auf Deutschland fallen: Siegfried Grundmann über ein Exempel auswärtiger Kulturpolitik
Albert Einstein hatte ein deutsches Leben - bei aller Abneigung gegenüber dem deutschen Wesen. Als Fünfzehnjähriger, 1894, verließ er das Land, zwanzig Jahre später, von den Koryphäen der deutschen Wissenschaft als Genie anerkannt, wurde er nach Berlin berufen: Der "Einspanner", wie er sich selbst gelegentlich bezeichnete, bekam eine einzigartige Position als bezahltes Mitglied der Preussischen Akademie und als Professor ohne Lehrverpflichtungen. Kaum zurück in Deutschland, brach der Weltkrieg aus: Die allgemeine Kriegsbegeisterung, auch und gerade unter seinen Kollegen, war ihm fremd; er empfand den Krieg vom ersten Tage an als einen Ausbruch kollektiven Wahns, später als eine Form europäischen Selbstmordes. Er verhielt sich abseits, grübelte, schuf seine allgemeine Relativitätstheorie und hoffte auf einen baldigen Frieden, dann wohl auch auf eine deutsche Niederlage. Das Ende des Wilhelminismus erlebte er als Befreiung, hoffend, daß die deutsche Republik die Stätte einer neuen Kulturnation sein würde.
Genau vor achtzig Jahren wurde Einstein weltberühmt, und zwar (in Einsteins Worten) als "die Existenz der von der Theorie geforderten Lichtablenkung von dem englischen Astronomen Eddington bei der Sonnenfinsternis vom 30. Mai 1919 photographisch festgestellt" wurde. Jetzt wurde er als der zweite Kopernikus oder Newton gefeiert. Die Zeit war günstig: Der internationale Charakter der Wissenschaft schien bestätigt, und Einstein selbst, Schweizer Bürger und bekannter Kriegsgegner, konnte auch in den alliierten Ländern als neuer Held gefeiert werden. Das geschlagene Deutschland konnte Einstein gut gebrauchen. In den frühen Jahren der Weimarer Republik begab er sich auf viele Reisen innerhalb Europas, aber auch in Amerika und Asien, und das Auswärtige Amt bemerkte, wie gut man mit ihm "Kulturpolitik" treiben konnte. Im Lande selbst wurde er gefeiert - und gehaßt; für Antisemiten war er eine bevorzugte Zielscheibe.
Siegfried Grundmanns Buch will den "Platz Einsteins in der deutschen Politik" untersuchen, hauptsächlich aufgrund der Akten verschiedener Ministerien. Grundmann will, daß die zitierten Akten für sich selbst sprechen, seine eigenen Wertungen und Kommentare wollte er kurz halten. Die Originaltexte stammen von den Berufungsverhandlungen vor dem Kriege und aus den Polizeiakten während des Krieges. Das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat im November 1919 eine eigene Akte "Einsteins Relativitätstheorie" begonnen - ein Zeichen von ministerieller Akribie, denn erst Tage zuvor war Eddingtons Feststellung bekannt geworden. Grundmann benutzte außerdem die vielen Akten des Auswärtigen Amtes und verschiedene Akten aus dem Dritten Reich, die sich mit Ausbürgerung und Enteignung befassen. Archivforschungen haben auch neues Material ergeben, wie zum Beispiel die Korrespondenz mit Hugo Krüss, einem wichtigen Wissenschaftspolitiker im kaiserlichen und republikanischen Deutschland, und mit Wilhelm Solf, der in den zwanziger Jahren deutscher Botschafter in Tokio war.
Grundmann ergänzt Aktenauszüge mit Material aus gedruckten Quellen, um Einsteins Leben in den historischen Kontext zu stellen. Es kommt zu einer Art Mini-Biographie von Einstein in Deutschland, die im Vergleich zu Standardwerken wie Albert Fölsings Biographie wenig Neues bietet. Grundmann bestätigt und belegt, daß Einstein den Krieg verabscheute, daß er in den ersten Jahren der Republik, oft im Einverständnis mit Walther Rathenau, durch Auslandsreisen dem Renommee des wissenschaftlich boykottierten Landes viel Nutzen brachte, und daß er politisch stets links stand, mit Sympathie für die Verfolgten der Welt, gelegentlich auch für die Sowjetunion. Als Hitler an die Macht kam, befand Einstein sich in den Vereinigten Staaten; sofort griff er Intoleranz und Unterdrückung an. Selbst seine engsten Freunde und Kollegen wie Max Planck bedauerten seine Angriffe von außen; im Frühjahr 1933 hofften ja noch viele Nicht-Nazis, daß sich das Regime mäßigen würde, glaubten, daß Angriffe auf das Vaterland von außen oder die sogenannte Hetzkampagne gegen Deutschland nur zur Radikalisierung des Regimes führen würden. Aber die Nationalsozialisten und Einstein haben einander sofort in ihren Vorurteilen bestätigt: Die Nazis sahen in Einstein die Verkörperung des jüdischen Ungeistes, der die arische Welt korrumpiere, und er sah in ihnen das deutsche Wesen in seiner brutalsten Form.
Grundmann beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit Einstein: Seine erste Anmerkung in diesem Buch erwähnt seine Dissertation, die auf den hier dokumentierten preußischen Akten basierte und 1967 unter dem Titel "Der deutsche Imperialismus, Albert Einstein und die Relativitätstheorie" veröffentlicht wurde. Preußische Akten aus dem Jahre 1919 vermitteln die Verbindung zwischen deutschem Imperialismus und Einstein. Im jetzigen Buch leiden Grundmanns historische Erklärungen an Fehlern und tendenziösen Obertönen. Kann man wirklich behaupten, im Kaiserreich sollten "Wissenschaft und Kultur . . . die Unterwerfung der übrigen Welt vorbereiten, festigen und verschleiern"? Als das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik schließlich 1917 gegründet wurde und Einstein, wie vorher verabredet, Direktor wurde, bringt Grundmann diesen Vorgang auf den Begriff "Einstein im Bunde mit Großindustrie und Bankkapital". Manche Fehler sind unpolitische Schnitzer, wie etwa die Behauptung, daß die Vereinigten Staaten den Versailler Vertrag nicht unterzeichnet hätten (gemeint ist wohl, daß der Senat ihn nicht ratifiziert hat), oder die Verwechslung von Völkerbund und Vereinten Nationen.
Gravierender sind Bemerkungen wie die Erklärung, daß Hindenburgs Wahl 1925 durch die Zersplitterung der Linken ermöglicht worden sei, da KPD und SPD ihre Feindschaft fortgesetzt hätten: "Der Haß zueinander war viel größer als der Haß auf die braune Bestie." Zumindest eine anachronistische und polemisch geformte Meinung. Einstein, so Grundmann, war der ideale Feind für die Nazis, denn sie wollten von Anfang an "Juden und Bolschewisten verfolgen und vertilgen". Sozialdemokraten bleiben unerwähnt in diesem Zusammenhang, aber dafür wird behauptet, daß am 27. Februar 1933 KPD und SPD "verboten" wurden. Verfolgt und beraubt wurden sie, aber nicht sofort verboten. Eingehend wird die Enteignung von Einstein geschildert: Er verlor sein geliebtes Landhaus in Caputh und sein kleines Vermögen - und dann die merkwürdige Bemerkung: "Der zu enteignende Reichstagsabgeordnete Pieck hatte nur 28 Mark auf dem Konto, Einstein dagegen war ein vergleichsweise reicher Mann." Ein merkwürdiger Vergleich. Grundmanns historische Sicht ist getrübt, das Buch ist dokumentenreich, ideenarm. Wenn er doch Einsteins herrlichen Rat völlig beherzigt hätte: In einer hier nicht erwähnten und auch sonst kaum bemerkten Rezension von Helmholtz' "Zwei Vorträge über Goethe" schrieb Einstein 1917: "Lieber Leser! Resümiert wäre profaniert. Selber lesen!"
Auch Forschungsbasis und Quellenangaben sind fragwürdig. Die Hauptveröffentlichung zu Einstein "The Collected Papers of Albert Einstein", deren erster Band 1986 erschien, der fünfte 1993 und der sechste 1996 (die beiden letzten Bände erschließen die Jahre 1902 bis 1917), wird überhaupt nicht erwähnt; statt dessen wird als Quelle für Briefe, die im fünften Band gedruckt sind, mysteriös auf Christie's, New York 1996, verwiesen. Bei einem so renommierten Verlag erstaunt die Wiederholungsmanie in den sechsundfünfzig Seiten der Anmerkungen.
Das Einstein-Bild hat keinen konstanten Wert; es wird relativiert durch neue Quellen und neue zeitgebundene Interessen. Zu Lebzeiten war er eine Art Legende, ein Symbol des Anstands; er war sich selbst bewußt, daß man ihn als "den Heiligen der Juden" betrachtete oder als den reinsten Verfechter humanistischer Werte. In einer Randbemerkung benutzt Grundmann eine ähnlich pathetische Sprache: "Viele [Deutsche], die ehemals ,Hosianna' gerufen hatten, gehörten dann zu jenen, die dabei waren oder schwiegen, als es hieß: Kreuzigt ihn." Doch unser Bild von Einstein hat sich mittlerweile verdüstert. Heute gibt es eher eine kritische Sicht, und man schildert ihn als Sünder Frauen gegenüber, die er liebte und oft rücksichtslos behandelte. Es gibt keine Börse für steigende oder fallende Wertschätzung großer Menschen; hier gibt es keine "Futures", nur das Wissen, daß wohl auch in Zukunft Einstein als der berühmteste Wissenschaftler unseres Jahrhunderts betrachtet werden wird, gefeiert und verfolgt, von den Wirren der Zeit unmittelbar betroffen. FRITZ STERN
Siegfried Grundmann: "Einsteins Akte". Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik. Springer Verlag, Heidelberg 1997. XVI, 536 S., 69 Abb., geb., 58,- DM.
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Und ein Abglanz seines Ruhms sollte auf Deutschland fallen: Siegfried Grundmann über ein Exempel auswärtiger Kulturpolitik
Albert Einstein hatte ein deutsches Leben - bei aller Abneigung gegenüber dem deutschen Wesen. Als Fünfzehnjähriger, 1894, verließ er das Land, zwanzig Jahre später, von den Koryphäen der deutschen Wissenschaft als Genie anerkannt, wurde er nach Berlin berufen: Der "Einspanner", wie er sich selbst gelegentlich bezeichnete, bekam eine einzigartige Position als bezahltes Mitglied der Preussischen Akademie und als Professor ohne Lehrverpflichtungen. Kaum zurück in Deutschland, brach der Weltkrieg aus: Die allgemeine Kriegsbegeisterung, auch und gerade unter seinen Kollegen, war ihm fremd; er empfand den Krieg vom ersten Tage an als einen Ausbruch kollektiven Wahns, später als eine Form europäischen Selbstmordes. Er verhielt sich abseits, grübelte, schuf seine allgemeine Relativitätstheorie und hoffte auf einen baldigen Frieden, dann wohl auch auf eine deutsche Niederlage. Das Ende des Wilhelminismus erlebte er als Befreiung, hoffend, daß die deutsche Republik die Stätte einer neuen Kulturnation sein würde.
Genau vor achtzig Jahren wurde Einstein weltberühmt, und zwar (in Einsteins Worten) als "die Existenz der von der Theorie geforderten Lichtablenkung von dem englischen Astronomen Eddington bei der Sonnenfinsternis vom 30. Mai 1919 photographisch festgestellt" wurde. Jetzt wurde er als der zweite Kopernikus oder Newton gefeiert. Die Zeit war günstig: Der internationale Charakter der Wissenschaft schien bestätigt, und Einstein selbst, Schweizer Bürger und bekannter Kriegsgegner, konnte auch in den alliierten Ländern als neuer Held gefeiert werden. Das geschlagene Deutschland konnte Einstein gut gebrauchen. In den frühen Jahren der Weimarer Republik begab er sich auf viele Reisen innerhalb Europas, aber auch in Amerika und Asien, und das Auswärtige Amt bemerkte, wie gut man mit ihm "Kulturpolitik" treiben konnte. Im Lande selbst wurde er gefeiert - und gehaßt; für Antisemiten war er eine bevorzugte Zielscheibe.
Siegfried Grundmanns Buch will den "Platz Einsteins in der deutschen Politik" untersuchen, hauptsächlich aufgrund der Akten verschiedener Ministerien. Grundmann will, daß die zitierten Akten für sich selbst sprechen, seine eigenen Wertungen und Kommentare wollte er kurz halten. Die Originaltexte stammen von den Berufungsverhandlungen vor dem Kriege und aus den Polizeiakten während des Krieges. Das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat im November 1919 eine eigene Akte "Einsteins Relativitätstheorie" begonnen - ein Zeichen von ministerieller Akribie, denn erst Tage zuvor war Eddingtons Feststellung bekannt geworden. Grundmann benutzte außerdem die vielen Akten des Auswärtigen Amtes und verschiedene Akten aus dem Dritten Reich, die sich mit Ausbürgerung und Enteignung befassen. Archivforschungen haben auch neues Material ergeben, wie zum Beispiel die Korrespondenz mit Hugo Krüss, einem wichtigen Wissenschaftspolitiker im kaiserlichen und republikanischen Deutschland, und mit Wilhelm Solf, der in den zwanziger Jahren deutscher Botschafter in Tokio war.
Grundmann ergänzt Aktenauszüge mit Material aus gedruckten Quellen, um Einsteins Leben in den historischen Kontext zu stellen. Es kommt zu einer Art Mini-Biographie von Einstein in Deutschland, die im Vergleich zu Standardwerken wie Albert Fölsings Biographie wenig Neues bietet. Grundmann bestätigt und belegt, daß Einstein den Krieg verabscheute, daß er in den ersten Jahren der Republik, oft im Einverständnis mit Walther Rathenau, durch Auslandsreisen dem Renommee des wissenschaftlich boykottierten Landes viel Nutzen brachte, und daß er politisch stets links stand, mit Sympathie für die Verfolgten der Welt, gelegentlich auch für die Sowjetunion. Als Hitler an die Macht kam, befand Einstein sich in den Vereinigten Staaten; sofort griff er Intoleranz und Unterdrückung an. Selbst seine engsten Freunde und Kollegen wie Max Planck bedauerten seine Angriffe von außen; im Frühjahr 1933 hofften ja noch viele Nicht-Nazis, daß sich das Regime mäßigen würde, glaubten, daß Angriffe auf das Vaterland von außen oder die sogenannte Hetzkampagne gegen Deutschland nur zur Radikalisierung des Regimes führen würden. Aber die Nationalsozialisten und Einstein haben einander sofort in ihren Vorurteilen bestätigt: Die Nazis sahen in Einstein die Verkörperung des jüdischen Ungeistes, der die arische Welt korrumpiere, und er sah in ihnen das deutsche Wesen in seiner brutalsten Form.
Grundmann beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit Einstein: Seine erste Anmerkung in diesem Buch erwähnt seine Dissertation, die auf den hier dokumentierten preußischen Akten basierte und 1967 unter dem Titel "Der deutsche Imperialismus, Albert Einstein und die Relativitätstheorie" veröffentlicht wurde. Preußische Akten aus dem Jahre 1919 vermitteln die Verbindung zwischen deutschem Imperialismus und Einstein. Im jetzigen Buch leiden Grundmanns historische Erklärungen an Fehlern und tendenziösen Obertönen. Kann man wirklich behaupten, im Kaiserreich sollten "Wissenschaft und Kultur . . . die Unterwerfung der übrigen Welt vorbereiten, festigen und verschleiern"? Als das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik schließlich 1917 gegründet wurde und Einstein, wie vorher verabredet, Direktor wurde, bringt Grundmann diesen Vorgang auf den Begriff "Einstein im Bunde mit Großindustrie und Bankkapital". Manche Fehler sind unpolitische Schnitzer, wie etwa die Behauptung, daß die Vereinigten Staaten den Versailler Vertrag nicht unterzeichnet hätten (gemeint ist wohl, daß der Senat ihn nicht ratifiziert hat), oder die Verwechslung von Völkerbund und Vereinten Nationen.
Gravierender sind Bemerkungen wie die Erklärung, daß Hindenburgs Wahl 1925 durch die Zersplitterung der Linken ermöglicht worden sei, da KPD und SPD ihre Feindschaft fortgesetzt hätten: "Der Haß zueinander war viel größer als der Haß auf die braune Bestie." Zumindest eine anachronistische und polemisch geformte Meinung. Einstein, so Grundmann, war der ideale Feind für die Nazis, denn sie wollten von Anfang an "Juden und Bolschewisten verfolgen und vertilgen". Sozialdemokraten bleiben unerwähnt in diesem Zusammenhang, aber dafür wird behauptet, daß am 27. Februar 1933 KPD und SPD "verboten" wurden. Verfolgt und beraubt wurden sie, aber nicht sofort verboten. Eingehend wird die Enteignung von Einstein geschildert: Er verlor sein geliebtes Landhaus in Caputh und sein kleines Vermögen - und dann die merkwürdige Bemerkung: "Der zu enteignende Reichstagsabgeordnete Pieck hatte nur 28 Mark auf dem Konto, Einstein dagegen war ein vergleichsweise reicher Mann." Ein merkwürdiger Vergleich. Grundmanns historische Sicht ist getrübt, das Buch ist dokumentenreich, ideenarm. Wenn er doch Einsteins herrlichen Rat völlig beherzigt hätte: In einer hier nicht erwähnten und auch sonst kaum bemerkten Rezension von Helmholtz' "Zwei Vorträge über Goethe" schrieb Einstein 1917: "Lieber Leser! Resümiert wäre profaniert. Selber lesen!"
Auch Forschungsbasis und Quellenangaben sind fragwürdig. Die Hauptveröffentlichung zu Einstein "The Collected Papers of Albert Einstein", deren erster Band 1986 erschien, der fünfte 1993 und der sechste 1996 (die beiden letzten Bände erschließen die Jahre 1902 bis 1917), wird überhaupt nicht erwähnt; statt dessen wird als Quelle für Briefe, die im fünften Band gedruckt sind, mysteriös auf Christie's, New York 1996, verwiesen. Bei einem so renommierten Verlag erstaunt die Wiederholungsmanie in den sechsundfünfzig Seiten der Anmerkungen.
Das Einstein-Bild hat keinen konstanten Wert; es wird relativiert durch neue Quellen und neue zeitgebundene Interessen. Zu Lebzeiten war er eine Art Legende, ein Symbol des Anstands; er war sich selbst bewußt, daß man ihn als "den Heiligen der Juden" betrachtete oder als den reinsten Verfechter humanistischer Werte. In einer Randbemerkung benutzt Grundmann eine ähnlich pathetische Sprache: "Viele [Deutsche], die ehemals ,Hosianna' gerufen hatten, gehörten dann zu jenen, die dabei waren oder schwiegen, als es hieß: Kreuzigt ihn." Doch unser Bild von Einstein hat sich mittlerweile verdüstert. Heute gibt es eher eine kritische Sicht, und man schildert ihn als Sünder Frauen gegenüber, die er liebte und oft rücksichtslos behandelte. Es gibt keine Börse für steigende oder fallende Wertschätzung großer Menschen; hier gibt es keine "Futures", nur das Wissen, daß wohl auch in Zukunft Einstein als der berühmteste Wissenschaftler unseres Jahrhunderts betrachtet werden wird, gefeiert und verfolgt, von den Wirren der Zeit unmittelbar betroffen. FRITZ STERN
Siegfried Grundmann: "Einsteins Akte". Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik. Springer Verlag, Heidelberg 1997. XVI, 536 S., 69 Abb., geb., 58,- DM.
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"Ein spannender, kurzer Titel, ein spannendes und großes Buch. Es profitiert von den Archivfunden, die dem Autor schon in Jahr 1961 in Merseburg gelangen.Nach dem Aufspüren weiterer Dokumente, ist die gesamte Causa nachzulesen - das Feiern und Fördern eines Pioniers, aber auch das Verfolgen, ja Verjagen. Nach dem Ersten Weltkrieg als erklärter Pazifist und berühmter Kopf noch gut zu präsentieren, wird Einstein von den Nationalsozialisten bald als "Volksschädling" behandelt; schließlich geht es um die "deutsche Physik" seines Widersacher Philipp Lenard - und in diesem Kampf bornierter Konkurrenten und Bürokraten gegen einen unschlagbaren Gelehrten." (Rheinischer Merkur) "[...] ein differenziertes Bild über den politischen Einstein." (Die Welt, 24.5.2004) "Grundmann deckt in seinem lesenswerten Buch Einsteins Leben seit der Zeit Kaiser Wilhelms II. und der Arbeit an der Allgemeinen Relativitätstheorie ab. Es ist unter anderem mit vielen, mitunter seitenlangen und einigen bisher nicht publizierten Briefen sowie Abschriften von Dokumenten angereichert." (Ärzte-Zeitung, Forschung und Praxis-Wissenschaftsbeilage 2005, Seite 11)