Vor 25 Jahren, am 12. September 1990, fand in Belgien das letzte Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft statt. Sie gewann mit 2 : 0, nicht zuletzt dank ihres Trainers Eduard Geyer. Für ihn ist das heute ein Anlass zurückzublicken: auf Fußball und Leistungssport, auf menschliche und gesellschaftliche Entwicklungen im Osten Deutschlands. Und »Ede« Geyer nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Gespräch mit dem Sportjournalisten Gunnar Meinhardt klopft er nicht nur Sprüche, sondern äußert sich nachdenklich und kritisch, auch wenn er über die eigene Karriere spricht, die ihn vom Stürmer bei Dynamo Dresden (ab 1968) bis zum Trainer von Energie Cottbus (ab 1994) führte. Eduard Geyer war stets ein Mann der klaren Worte: »Es hat nicht viel funktioniert in der DDR, aber der Leistungssport hat funktioniert.«
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2015Verachtung und Verrat
Buchmesse in Frankfurt. Die Verlagsangebote zum Thema Fußball bilden einen Stapel auf dem Schreibtisch. Man muss nicht jedes lesen: "Eduard Geyer: Einwürfe", nicht auch das noch. Obwohl: Geyer war der letzte Trainer der DDR-Auswahl mit einem grandiosen Finale: 2:0 gegen WM-Teilnehmer Belgien am 12. September 1990, als in Moskau das Ende des Viermächtestatus in Deutschland besiegelt wurde, die Voraussetzung für die Einheit. Spannende Zeiten. Was hat er zum Spiel hinter den Kulissen zu sagen? Der frühere DDR-Oberligaspieler und Meistertrainer von Dynamo Dresden, der ehemalige Bundesligacoach (Cottbus), der bärbeißige Trainer des Ostens, der sich mächtig täuschte. Nie als Trainer vom Westen gewollt, trotz dieser Expertise: "wie man sich irren kann". So könnte auch das Urteil des geneigten Lesers mit sportpolitischem Interesse ausfallen. Die Retrospektive Geyers wird im Interview-Stil präsentiert, mit als Fragen verkleideten Stichworten. Sie führen zu Monologen, authentisch, aber oberflächlich. Bei den Streifzügen über das hochinteressante Spielfeld der vergangenen 25 Jahre führt kaum ein Anspiel in die Tiefe des nach wie vor dunklen Raumes. Es bleibt bei Gemeinheiten. Vorwiegend waren es Gemeinheiten des Westens, der Geldkofferträger wie dem fixen Osttalente-Aufkäufer Reiner Calmund aus Leverkusen: "So gemein konnten wir gar nicht denken, wie sich manche verhalten haben." Und wie gemein das war: "egoistisch", "rücksichtslos", "brutal", "schäbig". Klare Urteile Geyers, aber keine konkreten Beschreibungen der Verkaufs- und Ausverkaufsprozesse, des Versagens oder Zusammenspiels von Ost- wie Westfunktionären. Die Folgen beuteln den Ostfußball bis heute. Geyer gefällt sich im Bedauern. Dass etwa die Mauer eine Woche zu früh gefallen ist, ja, ernsthaft. Weil sechs Tage später - wegen des "Chaos" in den Köpfen seiner Spieler - die Qualifikation für die WM 1990 in Österreich verspielt wurde. Die Verachtung Geyers trifft aber auch eine Gruppe von 22 DDR-Auswahlspielern. Sie ignorierte seinen Ruf zum großen Finale gegen Belgien im Spätsommer 1990. Geyer, am 7. Oktober 71 geworden, sieht ihnen diesen Verrat halbwegs nach, weil sie, jung und verführt, nicht "durchblickten". Das ist großzügig. Man wüsste gerne, ob es auch umgekehrt so ist. Ob Geyer auch verziehen worden ist. 21 Jahre hat er als Inoffizieller Mitarbeiter (IM), nicht als Informeller, wie es falsch im Buch steht, für die Stasi gespitzelt, und zwar recht fleißig. IM "Jahn", dem junge Menschen anvertraut wurden, gab heikle Details weiter über: Seitensprünge, Alkoholkonsum und politische Haltungen. Er sieht das "kritisch", will "nichts abstreiten", kann leider "nichts rückgängig" machen. Nur "einfache Antworten" fallen ihm nicht ein. Und deshalb beendet Geyer das Thema nach eineinhalb von 255 Seiten "hier an dieser Stelle". Keine Widerrede. "Alles klar", sagt der Interviewer. Er war selbst mal IM. Alles klar.
ahe.
Besprochenes Buch: Eduard Geyer, Einwürfe Über Fußball, die Welt und das Leben in Gesprächen mit Gunnar Meinhardt, Verlag Neues Leben, Berlin, 272 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Buchmesse in Frankfurt. Die Verlagsangebote zum Thema Fußball bilden einen Stapel auf dem Schreibtisch. Man muss nicht jedes lesen: "Eduard Geyer: Einwürfe", nicht auch das noch. Obwohl: Geyer war der letzte Trainer der DDR-Auswahl mit einem grandiosen Finale: 2:0 gegen WM-Teilnehmer Belgien am 12. September 1990, als in Moskau das Ende des Viermächtestatus in Deutschland besiegelt wurde, die Voraussetzung für die Einheit. Spannende Zeiten. Was hat er zum Spiel hinter den Kulissen zu sagen? Der frühere DDR-Oberligaspieler und Meistertrainer von Dynamo Dresden, der ehemalige Bundesligacoach (Cottbus), der bärbeißige Trainer des Ostens, der sich mächtig täuschte. Nie als Trainer vom Westen gewollt, trotz dieser Expertise: "wie man sich irren kann". So könnte auch das Urteil des geneigten Lesers mit sportpolitischem Interesse ausfallen. Die Retrospektive Geyers wird im Interview-Stil präsentiert, mit als Fragen verkleideten Stichworten. Sie führen zu Monologen, authentisch, aber oberflächlich. Bei den Streifzügen über das hochinteressante Spielfeld der vergangenen 25 Jahre führt kaum ein Anspiel in die Tiefe des nach wie vor dunklen Raumes. Es bleibt bei Gemeinheiten. Vorwiegend waren es Gemeinheiten des Westens, der Geldkofferträger wie dem fixen Osttalente-Aufkäufer Reiner Calmund aus Leverkusen: "So gemein konnten wir gar nicht denken, wie sich manche verhalten haben." Und wie gemein das war: "egoistisch", "rücksichtslos", "brutal", "schäbig". Klare Urteile Geyers, aber keine konkreten Beschreibungen der Verkaufs- und Ausverkaufsprozesse, des Versagens oder Zusammenspiels von Ost- wie Westfunktionären. Die Folgen beuteln den Ostfußball bis heute. Geyer gefällt sich im Bedauern. Dass etwa die Mauer eine Woche zu früh gefallen ist, ja, ernsthaft. Weil sechs Tage später - wegen des "Chaos" in den Köpfen seiner Spieler - die Qualifikation für die WM 1990 in Österreich verspielt wurde. Die Verachtung Geyers trifft aber auch eine Gruppe von 22 DDR-Auswahlspielern. Sie ignorierte seinen Ruf zum großen Finale gegen Belgien im Spätsommer 1990. Geyer, am 7. Oktober 71 geworden, sieht ihnen diesen Verrat halbwegs nach, weil sie, jung und verführt, nicht "durchblickten". Das ist großzügig. Man wüsste gerne, ob es auch umgekehrt so ist. Ob Geyer auch verziehen worden ist. 21 Jahre hat er als Inoffizieller Mitarbeiter (IM), nicht als Informeller, wie es falsch im Buch steht, für die Stasi gespitzelt, und zwar recht fleißig. IM "Jahn", dem junge Menschen anvertraut wurden, gab heikle Details weiter über: Seitensprünge, Alkoholkonsum und politische Haltungen. Er sieht das "kritisch", will "nichts abstreiten", kann leider "nichts rückgängig" machen. Nur "einfache Antworten" fallen ihm nicht ein. Und deshalb beendet Geyer das Thema nach eineinhalb von 255 Seiten "hier an dieser Stelle". Keine Widerrede. "Alles klar", sagt der Interviewer. Er war selbst mal IM. Alles klar.
ahe.
Besprochenes Buch: Eduard Geyer, Einwürfe Über Fußball, die Welt und das Leben in Gesprächen mit Gunnar Meinhardt, Verlag Neues Leben, Berlin, 272 Seiten, 19,99 Euro
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