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Bis heute muss der griechische Gott Dionysos herhalten, wenn von ihnen die Rede ist: Ekstasen sind wild, ihnen wohnt eine Energie inne, die fühlen kann, wer gerade entrückt ist, die aber nur allzu schwer in Worte zu fassen ist. Schamanen bewegen sich in Ekstase in unsichtbaren Welten, mittelalterliche Mystikerinnen vereinigten sich in ihr mit Gott, und der Rausch war und ist ein fester Bestandteil jeder Gesellschaft. Weil sie schwer kontrollierbar sind, sind Ekstasen bis heute verpönt – völlig verschwunden sind sie jedoch nie. Und kehren mit aller Macht zurück: Überraschenderweise begegnen wir…mehr

Produktbeschreibung
Bis heute muss der griechische Gott Dionysos herhalten, wenn von ihnen die Rede ist: Ekstasen sind wild, ihnen wohnt eine Energie inne, die fühlen kann, wer gerade entrückt ist, die aber nur allzu schwer in Worte zu fassen ist. Schamanen bewegen sich in Ekstase in unsichtbaren Welten, mittelalterliche Mystikerinnen vereinigten sich in ihr mit Gott, und der Rausch war und ist ein fester Bestandteil jeder Gesellschaft. Weil sie schwer kontrollierbar sind, sind Ekstasen bis heute verpönt – völlig verschwunden sind sie jedoch nie. Und kehren mit aller Macht zurück: Überraschenderweise begegnen wir ihnen heute nicht nur beim Rave oder bei schamanistischen Ritualen, sondern auch in Yogaklassen, Achtsamkeitsseminaren und Workshops, die die Leistungsfähigkeit im Job verbessern sollen. Und nicht zuletzt zeigt sich der neue Boom der Ekstatik in Krisenphänomenen wie einer martialischen Männlichkeit, in Massenbewegungen wie dem gewaltsamen Sturm aufs Kapitol in Washington oder den Protesten gegen die Coronamaßnahmen. Woher aber kommt diese neue Lust an der Ekstase? Es ist höchste Zeit, mit historischer Tiefenschärfe, kritischer Neugier, einem analytischen Blick auf die Gegenwart und kulturellem Respekt in medizinischen Labors, bei Hexen-Ritualen, Ayahuasca-Zeremonien und in der Clubkultur diesem menschlichen Grundbedürfnis nach Selbstüberschreitung nachzuspüren – um so eine Ethik für die Ekstasen der Gegenwart zu finden.

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Autorenporträt
Paul-Philipp Hanske, 1975 in Regensburg geboren, hat die Redaktionsagentur Nansen & Piccard mitgegründet, bei der er bis heute arbeitet. Benedikt Sarreiter, 1976 in München geboren, hat die Redaktionsagentur Nansen & Piccard mitgegründet, bei der er arbeitet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2023

Kontrollierte Abschiede vom Ich

Moderne Ekstasen: Zwei Bücher widmen sich auf ganz unterschiedliche Weise Techniken, andere als bloß normale Bewusstseinszustände zu kultivieren.

Von Helmut Mayer

Hin und wieder außer sich zu kommen ist ein tief liegender Wunsch, in allen Gesellschaften zu allen Zeiten bekannt. Entsprechend vielfältig sind die Mittel und Techniken, die dafür aufgewendet wurden und werden: Formen der Verausgabung, Einstimmung in Rhythmen, Atemtechniken, geistige wie körperliche Exerzitien der Fokussierung, dazu noch die direkt in die Chemie des Gehirns eingreifenden Mittel, die psychotropen Substanzen.

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben sich vor einigen Jahren in einem instruktiven Buch mit der Wiederentdeckung einiger solcher Substanzen befasst. Wiederzuentdecken waren diese Psychedelika - etwa LSD, Psilocybin und Meskalin -, weil sie ab den Sechzigerjahren dem von den Vereinigten Staaten angeführten "Krieg gegen die Drogen" zum Opfer gefallen waren. Womit nicht nur ihr privater Gebrauch kriminalisiert war, obwohl durch ihn weder physiologische Suchteffekte noch direkte körperliche Schädigungen eintreten, sondern auch alle mit ihnen verknüpften Forschungsprojekte, in denen es nicht zuletzt um therapeutische Anwendungen ging, eingestellt werden mussten.

Erst in den Neunzigerjahren wurden diese Forschungen mit Sondergenehmigungen vorsichtig fortgesetzt. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren haben sie deutlich an Fahrt aufgenommen, und die Ergebnisse der zahlreich gewordenen klinischen Studien zur Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sind vielversprechend. Entsprechend groß ist deshalb mittlerweile auch das wirtschaftliche Interesse von Biotech-Unternehmen, sich auf diesem Terrain einzurichten, das als weit gefächerter Zukunftsmarkt gilt: von strikt medizinischen Anwendungsformen bis zu vielfältigen Enhancement-Angeboten, die mehr psychische Ausgeglichenheit, Kreativität und Erfolg in Aussicht stellen. Was einst als Praxis einer unproduktiven Gegenkultur von Drop-outs verteufelt wurde, ist mit diesen Angeboten zu Formen der Selbstoptimierung geworden, die ihre Nutzer gerade richtig produktiv halten sollen.

Dieser Rollenwechsel der psychedelischen Erfahrungen ist eine Facette in der Geschichte der Weisen, außer sich zu kommen, die Hanske und Sarreiter nun vorlegen: Historisch weit ausholend, zurück bis zu antiken Berichten von Rasereien im Zeichen des Dionysos, ja sogar bis zu den aus Felsmalereien erschlossenen schamanistischen Praktiken im Jungpaläolithikum, und die Psychedelika nunmehr als einen von mehreren Wegen zu anderen Zuständen in den Blick nehmend.

Zentral ist dabei ein Konzept von Ekstasen, das eine reiche Phänomenologie auf zentrale Bestimmungsstücke bringen soll und dazu auch rezente neurowissenschaftliche Untersuchungen zum Effekt psychotroper Substanzen als Untermauerung verwendet: Sie sind demnach durch bestimmte Techniken hervorgerufene Bewusstseinszustände, die auf die Erfahrung eines absoluten Jetzt zielen, in der Vergangenheit wie Zukunft aufgehoben sind und damit auch das über die Zeit hinweg planende, die Welt taxierende Ich. Gleichzeitig ist darin die Verbindung zu einer anderen Wirklichkeit hergestellt, die in unterschiedlicher, aber meist emphatischer Weise als substantieller empfunden wird als die alltäglich bewältigte Normalität.

Mit diesem recht elastischen Begriff der Ekstase gerüstet, durchqueren die beiden Autoren das weite historische Terrain, um zuletzt im Kunterbunt der Gegenwart anzukommen. Es geht in diesem historischen Durchgang weniger um neue Einsichten als vielmehr um eine in vielen Facetten überzeugende Zusammenschau: vom Tanz über das Beten hin zu Bemerkungen über die Karriere von Yogatechniken im Westen, das Spektrum gegenwärtiger Spiritualitäten und Achtsamkeiten in allen Preisklassen und die neuen Tendenzen im Gebrauch von Psychedelika.

Der weite historische Bogen ist mit einer Diagnose verknüpft: Ekstasen als grundlegende Formen, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, seien in der hegemonialen westlichen Zivilisation, die nun einmal - hier hat Norbert Elias seinen naheliegenden Auftritt - auf zunehmende Selbstdisziplinierung ihrer Mitglieder und deren Ausrichtung auf planbare Zukunft hinauslief, in Nischen abgedrängt worden. Die jüngste Gegenwart allerdings stehe im Zeichen ihrer individuellen Kultivierung in vielfältiger Gestalt, wenn auch oft in "verdünnter" Form, was das Aufgehen in einer anderen Wirklichkeit betrifft.

Vielleicht hätte es den ganz großen historischen Bogen, der mit einigen Spekulationen über eine ursprüngliche Rolle von Ekstase-Techniken einhergeht, nicht unbedingt gebraucht, um diese Tendenzen der Gegenwart deutlich vor sich zu haben. Denn schon der durch die Psychedelika nahegelegte Vergleich zur Gegen- und Subkultur der Fünfziger- und Sechzigerjahre zeigt den Umschlag, auf den es Hanske und Sarreiter ankommt: Phänomene der Gegen- und Subkulturen geraten nun in den Mainstream.

Das mag, wie die Autoren glücklicherweise nur vorsichtig anklingen lassen, mit sich verdüsternden Zukunftshorizonten zu tun haben; nach dem etwas sehr einfachen Räsonnement, dass die Gegenwart kultiviert, wer der Zukunft in vieler Hinsicht nicht traut. Aber eine solche Diagnose führt schon deshalb nicht sehr weit, weil hier unter ekstatische Techniken nun auch sehr zurückgenommene Formen fallen, vom Microdosing bei den Psychedelika über Yogatechniken bis zu Achtsamkeitsritualen aller Art - Praktiken also, die man so wie jene im florierenden Fitness- und Wellnessbereich, in den sie hineinreichen, auch der Selbstsorge eines durchaus an seiner Zukunft arbeitenden Ichs zuordnen kann, wie selbstvergessen Exerzitium oder Work-out auch sein mögen.

Auf diese "verdünnten" Formen der Ekstatik schauen die Autoren durchaus nicht von oben herab. Transformative Erfahrungen, ob nun durch Trips oder gut eingeübte Meditationstechniken, müssen nicht jedermanns Sache sein, und auch die hedonistischen Varianten sind nicht zu verachten. Was sie allerdings mit Sorge betrachten, ist ein Zug ins Elitäre, der mit den einschlägigen marktförmigen Angeboten der Bewusstseinsindustrie einhergeht, schlicht durch die Zeit und das Geld, die es für sie braucht. Und dass es an die Substanz des ekstatischen Kerns gehen kann, den die Autoren hier immer noch wirksam sehen, lässt sich gut im Bereich der Psychedelika am Microdosing sehen, also der modisch gewordenen Einnahme psychotroper Substanzen in so geringer Dosierung, dass sicher kein Trip ausgelöst wird.

Haben die Studien recht, welche die berichteten positiven Wirkungen schlicht einem Placebo-Effekt zuordnen, wäre das nicht weiter von großer Bedeutung. Aber eine andere Studie führt den Nachweis, dass psychedelische Substanzen, ohne einen Trip auszulösen, trotzdem für erhöhte neuronale Plastizität sorgen - den sogenannten psychoplastogenen Effekt -, der sich plausibel mit antidepressiver Wirkung assoziieren lässt. Auf diesem Weg können aus Psychedelika also Psychoplastogene werden, die an der Zerstäubung des Ich vorbei therapeutische Wirkung entfalten: eine Variante, die den ekstatischen Kern herausoperiert.

Vermutlich ist nicht zu befürchten, dass eine solche Medikalisierung den Ton angeben wird. Aber klar ist, worauf sie setzen kann: die immer noch jederzeit leicht abrufbare Dämonisierung psychedelischer Substanzen jenseits tatsächlicher Risiken. Wobei Letztere - von den nicht antizipierbaren transformativen Erfahrungen selbst einmal abgesehen - vor allem die Folgen einer bis heute fehlschlagenden Prohibitionspolitik sind: Illegalität und der Wettlauf zwischen dem Verbieten von Substanzen und den daraufhin in Umlauf gebrachten neu entwickelten synthetischen Drogen bringt vor allem Gefahren für die Nutzer mit sich. Es ist einsichtig, dass die Autoren fordern, dieses Regime zu beenden - als eine Folgerung aus der übergreifenden Maxime, dass Ekstasen aller Spielarten, die bescheidenen wie die anspruchsvollen, sollen praktiziert werden können. Was nicht heißt, dass sie daran gleich große gesellschaftsreformerische Hoffnungen knüpfen, denn die ideologischen Verpackungen, mit denen die Angebote zur Intensivierung des Lebens daherkommen, auch darauf weisen sie hin, sind sehr verschiedener und auch oft obskurer Natur.

Diese nüchterne Einschätzung der im weiteren Sinn politischen Rolle von ekstatischen Praktiken unterscheidet Hanskes und Sarreiters Buch vom der Programmschrift über "Bewusstseinskultur", die der Philosoph Thomas Metzinger vorlegt. Auch bei ihm geht es um Bewusstseinszustände, die das Ich vorübergehend absentieren (mit dem eher grauslichen Wort "nicht-egoisch" belegt). Auf die Transformationserfahrungen kommt es dabei an, weswegen zu hohe Verdünnungen bei ihm nicht in Betracht gezogen werden: Bestimmte Psychedelika und anspruchsvolle Meditationspraktiken sind die exemplarischen Techniken, um sie zu erzeugen. Wobei der Autor, mit beiden gut bekannt, Letzteren den Vorzug gibt, ohne den Nutzen der Ersteren in Abrede zu stellen. Und groß sind die Hoffnungen, die er an ihre gesellschaftliche Etablierung auf breiter Front knüpft.

Denn die in solchen Bewusstheitszuständen erschlossene nichtbegriffliche Selbsterkenntnis soll bei ihm zu einer intellektuellen Redlichkeit der Selbstwahrnehmung führen, die einzig noch ermöglichen könne, die planetare Krise zu bewältigen: Da offenbar keine diskursiven Bemühungen, keine intellektuellen Einsichten erreichen könnten, dass das hinter ihr stehende fatale ökonomische Wachstumsmodell verabschiedet wird, bleibt bei Metzinger nun noch die Ich-lose Selbstbegegnung, um eine Revolution des Selbstverhältnisses zu erreichen und damit auch angemessenes Handeln auf den Weg zu bringen.

Der ekstatische Ich-Verlust als notwendiger Durchgangspunkt einer neuen Form der Bewusstseinskultur, die älteste wie neue Menschheitsfragen beantwortet, so lässt sich der nicht gerade klein zugeschnittene Grundgedanke resümieren. Herauszufinden ist dann, welche Bewusstseinszustände kultiviert werden sollen, nämlich im tiefen Möglichkeitsraum, der sich jenseits der Konsensrealität des routinierten Alltagsbewusstseins auftut und den Psychedelika oder Meditationspraktiken erschließen. Dort soll auch - eine heikle Übersetzung damit einhergehender Erfahrungen - das "reine Bewusstheits-Bewusstsein" sich erschließen, das eine viel tiefere Beziehung zu allen fühlenden Lebewesen stifte, als es alle Normalzustände erlauben. Jenseits von ihnen lockt hier viel: Die Angst vor dem Tod lässt sich durch den vorweggenommenen Ich-Zerfall temperieren, und eine aus den Tiefen des Bewusstseinsraums geschöpfte säkularisierte Spiritualität könnte die zerschlissenen Religionen mit ihrem fatalen Gepäck an Illusionen ablösen. Die "naturalistische Wende im Menschenbild" ließe sich redlich bewältigen und die an Profit orientierten Bewusstseinstechniken, denen wir in der monetarisierten Aufmerksamkeitsökonomie immer gnadenloser ausgesetzt sind, könnten durch solche ersetzt werden, die an Gemeinwohl und einer Förderung von geistiger Autonomie orientiert sind. Wie überhaupt ökonomisches durch geistiges Wachstum sich ersetzen ließe und eine dringend benötigte Form der Weisheit auf den Weg käme.

Mehr Erwartungen lassen sich an die Kultivierung von Zuständen der Ich-Auflösung eigentlich kaum knüpfen. Selbst wenn der Autor darauf Wert legt, den Konjunktiv zu benutzen, weil das Ganze ein "ergebnisoffener Vorgang" gesellschaftlicher Debatten über die einzuschlagenden Wege im Raum der zu fördernden Bewusstseinszustände und -techniken sein soll. Weder in der Herangehensweise noch in der Diktion, wohl aber in der Größe der durchscheinenden Erwartungen erinnert dieser Entwurf an einige der Hoffnungen, die Autoren wie Aldous Huxley oder Timothy Leary einst an Meskalin oder LSD knüpften.

So maßlos Metzingers aufs Ganze gehender Grundriss ist - und als gesellschaftlich ortloser Appell notgedrungen naiv -, so interessant ist er gerade deshalb in einigen seiner Facetten. Bei Hanske und Sarreiter findet sich kein Verweis auf das vor ihm schon vor Jahren aufgebrachte Konzept der Bewusstseinskultur. Was fast schade ist, denn ein Podium mit diesen beiden nüchternen Gegenwartsdiagnostikern in Sachen Ekstatik und dem in eine offene Zukunft stürmenden philosophischen Universalreformer - man stellt es sich ganz anregend vor.

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter: "Ekstasen der Gegenwart". Über Entgrenzung, Subkulturen und Bewusstseinsindustrie.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 351 S., geb., 28,- Euro.

Thomas Metzinger: "Bewusstseinskultur". Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise.

Berlin Verlag, Berlin/ München 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Andrian Kreye annonciert ein neues "Standardwerk" zur Geschichte der Ekstase mit diesem Buch der beiden Journalisten Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter. Leicht zu lesen ist das materialreiche Buch zwar nicht, warnt der Kritiker vor. Belohnt wird er allerdings nicht nur mit einem kenntnisreichen Streifzug vom griechischen Gott Dionysos bis zum Opioidrausch in den USA. Vielmehr erfährt er hier auch, dass die "Ekstasen der Gegenwart" durch Investoren wie Peter Thiel, die in synthetisch hergestellte Präparate investieren, zum neoliberalen Heilsversprechen geworden sind: Die versprochene Selbstoptimierung sehen die Autoren im Widerspruch zur "Ich-Auflösung der Ekstase", erklärt Kreye. Als Grundlagenwerk für Debatten über Sucht oder die Zukunft der Psychotherapie empfiehlt der Rezensent das Buch außerdem.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2023

Rausch und Rituale
Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben ein fantastisches Buch über die Geschichte der Ekstase geschrieben
YouTube, Hip-Hop und Marina Marina Abramovićs Kunstperformances kommen einem nicht zwingend in den Sinn, wenn man sich mit der Suche nach Spiritualität in der Ekstase beschäftigt. Rockmusik schon eher. Die Welle der Neo-Psychedelik mit ihren Selbsterfahrungsbeschleunigern wie Magic Mushrooms, Ayahuasca-Zeremonien und Schamanen sowieso. Aber genau dieser Horizont ist die Stärke des Buches „Ekstasen der Gegenwart“, das die Sehnsucht nach Erlösungsmechanismen im Rausch in einen erstaunlich tiefen historischen Kontext setzt.
Vor acht Jahren veröffentlichten Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter schon einmal ein Buch zum Thema. In „Neues von der anderen Seite – die Wiederentdeckung des Psychedelischen“ ging es vor allem um LSD, Psylocibin und all die anderen Dingen, die ein menschliches Gehirn in Zustände versetzen können, die ihm sonst verschlossen bleiben. Stichwort eins-mit-dem-Universum-sein. Im besten Falle bleiben Euphorie und Dankbarkeit, im schlimmsten die Psychose.
Damals waren sie ihrer Zeit voraus. In den vergangenen vier, fünf Jahren ist aus der Subkultur eine Branche geworden. Über 60 Firmen sind schon an der Börse, die solche Präparate herstellen. Oder herstellen wollen. Die Rechtsprechung ist in den meisten Ländern noch nicht bereit, die Therapie oder gar die Selbstoptimierung, geschweige denn das Freizeitvergnügen mit Substanzen zu erlauben, die auf den Verbotslisten ganz oben als „Drogen ohne derzeit anerkannten medizinischen Nutzen und mit hohem Missbrauchspotenzial“ geführt werden.
Schon einmal ist der Versuch gescheitert, die Heilwirkungen der Ekstase zu ergründen. In den Sechzigern gab der Psychologiedozent Timothy Leary nach seinen LSD- und Psylocibin-Experimenten an der Harvard University die Losung aus „Turn on, tune in, drop out“ (zu Deutsch in etwa „Reinpfeifen, einklinken, aussteigen“). Das aber wurde sowohl von der Hippiebewegung als auch vom Bürgertum als Kampfruf zur Gesellschaftsveränderung verstanden. Und das Bürgertum wusste die Veränderung des Status Quo schon immer zu bekämpfen. LSD wurde ab 1966 in Amerika, ein Jahr später auch in Deutschland verboten. Leary stieg erst zum Star der Gegenkulturen auf, wurde dann von den Behörden rund um den Erdball verfolgt und landete im Gefängnis. Von Learys schillernder Laufbahn vom Akademiker zum Staatsfeind mal abgesehen, war das aber auch das Ende jeder Diskussion um Nutzen und Heilkraft solcher Präparate.
„Ekstasen der Gegenwart“ ist allerdings kein Debattenbuch. Mit dem Bogen vom antiken Griechenland und seinem Ekstase-Gott Dionysos bis zur Spiegelung des Opioid-Rausches in den Beats der Trap Music des amerikanischen Südens liefern die beiden eine Bestandsaufnahme eines großen Menschheitsthemas. Da ist die „große Ausnüchterung“ in den Enthaltsamkeitsdogmen der westlichen Kultur. Die Immersions-Mechanismen der Kirchen. Die „Entgleisung als fester Bestandteil der abendländischen Feierkultur“. Die Prohibitions-Wellen der Moderne mit ihrem tödlichen „War on Drugs“. All das macht aus ihrer Kritik an den Lifestyle-Ekstasen der Gegenwart letztlich eine Analyse.
Im wirklichen Leben sind diese neuen Ekstasen schon ein Treppenwitz. In der Fernsehserie „Billions“ gibt es einen exemplarischen Handlungsstrang, in dem sich die beiden titelgebenden Milliardäre in Schwitzhütten und Klausurwochenenden einen Wettstreit liefern, wer denn die heftigsten psychedelischen Erfahrungen mit dem Miet-Schamanen erleben kann. Die Szene, in der sich der Superinvestor Bobby Axelrod in der Wildnis am Lagerfeuer mit dem Ayahuasca-Trank des Schamanen in Ekstase steigert, ist eine der lustigsten Szenen der Serie. „Ich bin ein Monster!“, ist da der Gipfel seiner Selbsterkenntnis. Da ist kein Funken Reue, sondern der Stolz, im System der Hedge Fonds und Aktienmärkte seinen Platz am allerobersten Ende der Nahrungskette und damit das Raub- als Totemtier gefunden zu haben.
Ob es nun ein böses Ende nehmen wird, dass Investoren wie Peter Thiel und Christian Angermayer die Präparate für die Ekstase nicht nur synthetisch herstellen, sondern auch patentieren lassen, spielt auch im Buch eine Rolle. Meinungen haben Hanske und Sarreiter sehr wohl. Gegen Ende unterscheiden sie etwa zwischen den traditionellen Ausnahmezuständen, in denen die Ekstatiker im Jenseits Zwecke für das Diesseits verfolgten. Was in der durchsäkularisierten Gegenwart der freien Marktwirtschaft keine Rolle mehr spielt.
Da werden Drogen zu Werkzeugen. „Gemäß dem Zeitgeist suchen die zeitgenössischen westlichen Tool-Ekstatiker nicht danach, jenseitige Kräfte zu beeinflussen“, schreiben Hanske/Sarreiter. „Ihnen stehen Ekstasen heute als Mittel der Selbstoptimierung zur Verfügung. Jede Zeit hat nun einmal ihre spezifischen Ekstasen.“ Sie drücken sich da nicht um Wertungen. „Wenn wir hier ein Plädoyer für die anderen, die autonomen, im eigentlichen Sinn zweckfreien Ekstasen aussprechen, hat das zwei Gründe“, heißt es da weiter. Die Egomanie der Selbstoptimierung stehe zum einen im Widerspruch zur Ich-Auflösung der Ekstase. Zum andere werde aus der Ekstase in diesem Kontext ein neoliberales Wettrennen um knapper werdende Mittel und Ressourcen.
Aber es gibt eben auch das Grundbedürfnis der Menschen nach diesen Entgrenzungen, das sie in der Gegenwart in den unzähligen Subkulturen und Praktiken suchen. In den sanften Ausformungen gehört da Yoga genauso dazu, wie die Suche nach dem „Flow“-Zustand in der Arbeit. Und auch Youtube und soziale Medien bedienen diese Mechanismen, wenn sie den Geist in die Tiefen eines sogenannten „Kaninchenbaus“ ziehen, wie die Sogwirkung solcher digitalen Plattformen so niedlich genannt wird. In direkter Anspielung auf „Alice im Wunderland“, Lewis Carrolls Roman von 1865, den die Hippiebewegung als eindeutige Parabel zu den Ausnahmezuständen eines psychedelischen Rausches mit all seinen Erkenntnismomenten sah. Und auch Marina Abramović passt in das Muster, wenn sie Rituale aus der Spiritualität in Performances verwandelt, die dem Kunstpublikum Erlebnisse verschaffen, die sie zwingen, ihre Rolle als überkultivierte Betrachter aufzugeben.
Leicht liest sich das alles nicht. Die Dichte, mit der die beiden ihr Wissen vermitteln ist enorm. Das aber ist auch der Grund, warum „Ekstasen der Gegenwart“ nicht nur ein Buch zu einer Debatte ist, die gerade erst anläuft. Hanske und Sarreiter liefern keine Argumente, sondern ein Wissensfundament, auf dem man die eigenen Argumente aufbauen kann. Denn wie das alles ausgeht, ist keineswegs abzusehen.
Sind die Ekstasen der Gegenwart nur neoliberale Scharlatanerie? Oder eben doch ein Aufbruch in eine neue Ära der Psychotherapie, die in den Sechzigerjahren an den Prohibitionsgesetzen scheiterte? Wo liegen die Wurzeln der Ekstase in den Menschen und ihrer Gesellschaft? Wo sind die Grenzen des Eskapismus, an denen die Verheerungen der Selbstmedikation und Suchtkrankheiten solche Debatten beenden? So gesehen ist „Ekstasen der Gegenwart“ ein Standardwerk, das jeder lesen sollte, der sich mit dem Thema auseinandersetzt. Und dann wahrscheinlich auch darüber streitet.
ANDRIAN KREYE
Sind die Ekstasen Scharlatanerie
oder Aufbruch in eine
neue Ära der Psychotherapie?
Paul-Philipp Hanske, Benedikt Sarreiter: „Ekstasen der Gegenwart. Über Entgrenzung, Subkulturen und Bewusstseinsindustrie“. Matthes & Seitz, Berlin, 2023. 351 Seiten, 28 Euro.
„Turn on, tune in, drop out“: Der Psychologe und LSD-Papst Timothy Leary 1967 im Golden Gate Park in San Francisco.
Foto: Robert W. Klein/ AP
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