Studienarbeit aus dem Jahr 1995 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Technische Universität Darmstadt (Sprach- und Literaturwissenschaft), Veranstaltung: Literatur des "Fin de siecle", Sprache: Deutsch, Abstract: Als Hugo von Hofmannsthals Einakter "Elektra" 1903 uraufgeführt wurde, war die Ablehnung der Kritiker nahezu einhellig: das Stück, das Richard Strauß als Libretto für seine Oper verwendete und dessen Wirkung durch eine am Rande der Tonalität schwebende Vertonung noch steigerte, sei ein greuliches Gemisch von viehischer Sinnlichkeit, Perversität, Verrücktheit und Rachedurst, so die einen; für die anderen, wie Paul Goldmann, war es nur "die Verirrung eines Talents". Hofmannsthal habe "die griechische Tragödie nicht nur total verändert, sondern auch alle poetischen Schönheiten aus ihr entfernt, ohne eine neue Poesie an Stelle der alten zu setzen"; für ihn war das Stück hybrid, ein literarisches Unding, das das Herz eigentümlich kalt lasse und, statt das Gemüt der Zuschauer zu bewegen, schockiere und abstoße: Hofmannsthal schildert den Mord, ohne erst viel mit den Gründen des Mordes sich abzugeben. Gewiß, es wird gesagt, daß Elektra ihre Mutter haßt. Aber das alles wird nur kurz angedeutet; man hört es kaum in dem Lärm, der das Drama erfüllt. Vom Augenblick an, da das Stück anfängt, beginnt Elektra zu schreien, und sie schreit unentwegt bis zum Schluß. Elektra, deren Klagen bei Sophokles mit dem Sange der Nachtigall verglichen werden, ist bei Hofmannsthal ein keifendes Weib geworden. Und ihre Wut berührt um so abstoßender, als man gar nicht recht begreift, warum sie eigentlich gar so wütend ist. So wird in diesem Drama gehaßt um des Hasses, gemordet um des Mordes willen. Elektra schreit nach Blut, und sie schreit nicht allein aus Haß, sie scheint nach Blut zu schreien, weil sie das Blut liebt. An die Stelle der Psychologie tritt die Perversität. [...] Und diese Kollektion widerlicher Ausartungen, diese Orgie des Sadismus nennt sich eine Nachdichtung nach Sophokles!