Cascais in der Gegenwart ist nicht mehr das, was es einmal war: ein glamouröser Ort, wo die Reichen sich zum Spiel trafen und die Mächtigen große Politik machten. Eliete, eine gewöhnliche Portugiesin in ihren Vierzigern, hat ihr ganzes Leben dort verbracht, hat die Tragödie ihres Vaters erlebt, der mitten in der Nelkenrevolution einen tödlichen Autounfall erlitt, die Spannungen zwischen ihrer verwitweten Mutter und ihrer Großmutter, die den einzigen Sohn verlor, die Armut, die erst endete, als Portugal Teil der EWG wurde. Wir erleben den inneren Monolog einer Frau, die ihre besten Jahre hinter sich hat. Einsam und unverstanden inmitten von Menschen, die sie liebt, für die sie sorgt, begibt sie sich auf die Suche nach Leidenschaft und landet doch nur bei online arrangiertem Geschlechtsverkehr. Doch da geschieht etwas: Die Großmutter lüftet in ihrer fortschreitenden Demenz ein Geheimnis, das Elietes Leben über das Unmittelbare hinaushebt: Der tote Vater war Sohn des Diktators Salazar. Mit Eliete hat Cardoso nicht bloß einen Portugal-Roman geschrieben, sondern einen großen Gesellschaftsroman, der weit über die Grenzen ihres Landes hinaus Gewicht hat, ein Buch, das zwischen schockierender Ehrlichkeit und entwaffnender Selbstironie pendelt und doch immer eine drängende Frage verfolgt: Woher kommt diese große Verirrung, in der wir alle leben, die Einsamkeit, die Verunsicherung, der Verlust des Selbstverständlichen? Einzelschicksal und kollektive Geschichte verweben sich auf ebenso zwanglose wie brillante Weise in diesem komplexen Roman, dessen Sprache so leicht daherkommt, und der einmal mehr zeigt, dass Cardoso eine der großen portugiesischen Erzählerinnen der Gegenwart ist.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Über die portugiesische Salazar-Diktatur weiß man hierzulande wenig, stellt Rezensent Dirk Fuhrig in seiner Besprechung eines Romans fest, in dem diese nahe Vergangenheit - die Diktatur wurde erst 1974 durch eine Demokratie ersetzt - immer noch eine Rolle spielt, war doch der Vater der Protagonistin Eliete selbst Revolutionär. Das ist im Buch aber eher Hintergrundrauschen, so Fuhrig, im Vordergrund stehe vielmehr Elietes Versuch, über eine Dating-App dem Alltagstrott zu entkommen. Das ist für ihn eine Neuorientierung in Dulce Maria Cardosos Schaffen: Statt nur retrospektiv zu schreiben, wendet sie sich hier auch der Gegenwart in amüsant-spöttischer Satire zu - eine die portugiesische Gegenwartsliteratur bereichernde Weiterentwicklung, findet Fuhrig, der diesen "köstlichen Roman" nur empfehlen kann, was nicht zuletzt auch der "feinsinnigen" Übersetzung von Steven Uhly zu verdanken sei, wie er schließt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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