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Bret Easton Ellis legt einen Vampir auf die Couch / Von Walter Klier
Vor einigen Jahren hat der 1964 geborene amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis mit seinem Roman "American Psycho" auch in Europa einiges Aufsehen erregt. In diesem Roman unternahm er den ernsthaften Versuch, die Schauergeschichte in die Moderne hinüberzuretten, also vom Übersinnlichen zu reinigen und auf eine rein materialistische Basis zu stellen. Wie es sich für Amerika gehört, konnte das Monster in dieser New Yorker Börsenmakler-Geschichte also nur ein Massenmörder sein, der auf mirakulöse Weise unentdeckt bleibt, obwohl er am laufenden Band die abscheulichsten - und bis in abscheulichste Detail geschilderten - Morde begeht. Die unwahrscheinliche Folgenlosigkeit seiner Handlungen hilft mit, eine Spannung aufzubauen, die wiederum dem Leser zur Entschuldigung dient, die widerwärtigsten Passagen zu überblättern.
Dem Helden (und, wie immer bei Ellis, Ich-Erzähler) Patrick Bateman wird der eigene Irrsinn schließlich zuviel. Allem Anschein nach ignoriert die Welt seine Untaten, nicht einmal gerüchteweise scheint jemand davon etwas gehört zu haben, daß hier ständig Leute massakriert werden, und als er gegen Ende des Buches jemandem seine Untaten gesteht - jemandem, der ihn wie üblich mit jemand anderem verwechselt -, ist der nicht beeindruckt, im Gegenteil. Er glaubt es einfach nicht, schlimmer noch, er behauptet, mit dem angeblichen Mordopfer kürzlich noch zu Abend gegessen zu haben - was für das ganze Buch die Variante offenläßt, Batemans Wahnsinn spiele sich allein in dessen Einbildung ab.
"American Psycho" steckt zwar bis obenhin voller kulturpessimistischer Klischees (die Anonymität der modernen Großstadt) und ist hölzern und schematisch erzählt; trotz aller Einwände bleibt es noch ein höchst bemerkenswerter Roman der achtziger Jahre - der einem ziemlich genau im Gedächtnis bleibt, den man aber nicht unbedingt wieder lesen möchte. Eine der Ästhetik der Moderne innewohnende Schwäche wird weniger in als nach diesem Buch offenbar: daß nämlich der allgemeine Überbietungswettbewerb, das kompromißlose Streben nach der krassesten Wirkung relativ rasch an das Ende der Sackgasse führt.
Der Prosaband "Die Informanten", nach "American Psycho" erschienen, nimmt sich nun wie eine etwas bläßliche Aufwärmung zum größeren Werk aus. Wir befinden uns in Los Angeles und Umgebung, in einem Milieu der braungebrannten, von Drogen und Naturkost lebenden jungen Menschen, die meist beim Film arbeiten oder dort arbeiten wollen; manche von ihnen haben sehr reiche Eltern, manche haben selber eine Menge Geld. "So lief das eine Woche lang, sagt Bruce, bis Lauren anfing, mit einem dreiundzwanzigjährigen Immobilientycoon auszugehen, der etwa zwei Milliarden schwer ist. (. . .) Und dann kehrte Marshall nach SoHo ins Loft seines Exfreunds zurück, weil sein Exfreund, ein junger Kunsthändler, der etwa drei Millionen schwer ist, wollte, daß Marshall ihm drei funktionslose Träger in dem Loft in der Grand Street bemalt, in dem sie früher zusammen gewohnt hatten. Marshall ist etwa viertausend Dollar und ein paar Zerquetschte wert."
In der Art eines peniblen epischen Buchhalters registriert Ellis, mit demselben unbewegten Gesicht, das seine Figuren die meiste Zeit haben, was sie essen (Pizza mit Kaviar, Triscuits, "lauwarme Bratkartoffeln und harte, unten angekohlte Pancakes", sirupgetränkten Tofu, Joghurteis . . .), was sie trinken (Perrier, gespritzten Weißwein, Bloody Mary, "ein paar Kirs zuviel", "einen Stoli, pur auf Eis", "einen Wodka mit Eis", Champagner, Cola-Rum, Gin Tonic, Corona, Fruchtsaft, Tee . . .), was sie rauchen (Zigaretten, Joints, Beedies) oder sonstwie zu sich nehmen (Pot, Koks, Heroin, Demerol, Valium . . .).
Die Langeweile, der diese Leute ausgesetzt sind, ist "so monumental, daß man sich klein vorkommt", und der Leser liest in ständiger Furcht, sie könnte auch ihn erfassen. Merkwürdigerweise ist das gar nicht der Fall, man folgt all den Bruces, Lindas, Williams, Cheryls in ihre Bars und Diskotheken, auf ihre Parties, zu ihren vermischten hetero- und homosexuellen Abenteuern, auch sie vermögen die Langeweile nicht wirklich zu mildern, doch als nach einigen Vorwarnungen der schon vom Klappentext avisierte Vampir auftritt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Autor habe nun seine mit Designerinventar ausstaffierte Beckett-Welt selbst sattbekommen und präsentiert nun einen kleinen Aufguß von "American Psycho".
Allerdings fällt er, mit dem Vampir, ins traditionell, fast biedermeierlich Übersinnliche zurück. Zwar bringt es hübsche humoristische Effekte, den Vampir einem kalifornischen Psychiater auf die Couch zu legen und ihn aus einer Zeitung eine Sonnenauf- und -untergangstabelle ausschneiden und an die Wand heften zu lassen, letztlich verstärkt sich aber der Eindruck, hier werde das allgemeinere erzählerische Ziel, eine Welt mehr oder weniger wahrheitsgetreu darzustellen, der Suche nach knalliger Wirkung geopfert. Dabei gibt es schöne Momente, die einen das Scheitern des ganzen Projektes um so mehr bedauern lassen - etwa in der letzten der dreizehn Episoden des Buches, wo wir ein Paar bei einem Zoobesuch begleiten dürfen. "Ich wette, die Tiere da sind nicht besonders glücklich", sage ich, als wir uns einen Eisbär ansehen, der sich mit vom Chlor blau geflecktem Fell auf einen Tümpel mit einem künstlichen Eisberg zuschleppt. "Ach was", widerspricht Bruce. "Klar sind die glücklich." "Davon sehe ich aber nichts", sage ich. "Was erwartest du denn von ihnen? Wunderkerzen? Steptanz? Komplimente über deine schicke Bluse?"
In den selbergesteckten Grenzen seines engen epischen Konzepts ist Bret Easton Ellis von der Perfektion und Kälte eines Fotorealisten - den Leser (diesen Leser) läßt er schließlich kalt. Was bei ihm fehlt, sind emotionale Nuancen, Augenblicke der Rührung, Gedanken, Ausblicke auf eine weitere menschliche Realität, also all das, was etwa aus dem alten "Frankenstein" mehr macht als einen Genreroman.
Bret Easton Ellis: "Die Informanten". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Clara Drechsler. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995. 257 S., geb., 38,- DM.
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