Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Französische Philologie - Literatur, Note: 1,5, Technische Universität Berlin, Veranstaltung: Romanistik - Die Wirklichkeit der Literatur, Sprache: Deutsch, Abstract: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weckt der explosionsartige Wissenszuwachs in den Naturwissenschaften bei Schriftstellern die Befürchtung, sich mit der Literatur der falschen Sache verschrieben zu haben. Das Echo dieser Angst reicht bis weit ins 20. Jahrhundert. Es macht sich insbesondere auch in den Geisteswissenschaften bemerkbar, wie im Werk Levi-Strauss’, der, an die Fortschritte in der Phonologie anknüpfend, die Geisteswissenschaften den Naturwissenschaften weiter annähert. Ein frühes Kind dieser Angst ist der programmatische Naturalismus. Er will die exakte Wiedergabe des realen Gegenstands, unterscheidet sich vom Realismus aber erstens durch seine Stützung auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Zeit. Das dient der Literatur einerseits zur eigenen Legitimation, andererseits als heuristisches Prinzip, i. e. als Mittel zur wissenschaftlichen Analyse des Menschen und seines sozialen Körpers. Die Handlungsmodelle der Naturalisten sind demnach biologistisch-deterministisch: Die Herkunft, „die Gene“, die Natur determinieren das Individuum in seinem Verhalten. Zweitens geht der Naturalismus auf hässliche Wirklichkeit aus, während der Realismus die Wirklichkeit auf gesellschaftlich mittlerem Niveau darstellt. Drittens ist der Naturalismus im Gegensatz zum Realismus von sozialem Engagement getragen. Man denke an die Werke Hauptmanns im Gegensatz zu denen Fontanes. Trotz allem Beharren darauf, der Naturalismus sei als Darstellungsart, also formal zu verstehen, drängt sich insbesondere bei naturalistischen Dramen der Eindruck der Reproduktion von Welt auf. Indem diese Dramatik einen Ausschnitt des Lebens auf die Bühne bringen will, fördert sie die Illusion der Unmittelbarkeit; sie präsentiert im „Sekundenstil“ Handlungen in Echtzeit; und sie öffnet sich in der „phonographischen Methode“ allen Sprachformen. In konsequenter Weise bringt Arno Holz, Dichter und Theoretiker, den Naturalismus auf die Formel. „Kunst = Natur - x“ bedeutet: Kunst will exakte Wiedergabe, bleibt aber notgedrungen an die mentalen und medialen Bedingungen der Darstellung gebunden. Emile Zola greift inDer Experimentalromn(1880) euphorisch die Gedanken des Mediziners Claude Bernard auf, der der Medizin erstmals den Vorschlag macht, ihre Erkenntnisse auf experimentellem Wege zu gewinnen. Damit schreibt Zola dem Naturalismus sein erstes, bereits bei Flaubert angelegtes literarästhetisches Programm.