Dieser in den USA 1965 veröffentlichte, in Teilen unter dem Titel «Engel, Kif und neue Länder» auf Deutsch publizierte und nun zum ersten Mal vollständig und in neuer Übersetzung vorliegende autobiografische Roman erzählt von einem Schlüsseljahr in Jack Kerouacs Leben - der Zeit unmittelbar vor der Veröffentlichung von «On the Road» im September 1957. Nachdem er im Sommer 1956 zwei Monate allein als Feuerwächter auf dem Desolation Peak in den Cascade Mountains an der Grenze zu Kanada verbracht hat, stürzt sich Kerouac in Gestalt seines fiktionalen Alter Egos Jack Duluoz wieder in den wilden, aufregenden Trubel der Bars, Jazzclubs und Partys in San Francisco. Immer ebenso sehr Sucher wie Getriebener, nimmt er danach sein unstetes Leben als Tramp wieder auf, reist nach Mexico City, New York, Tanger, Paris und London. Er versucht, sich der Welt zu entziehen und das Göttliche zu finden, aber er scheitert immer wieder, und schlussendlich lautet seine Erkenntnis: «Halt den Mund und lebe, reise, abenteure, segne und bereue nichts!» «Engel der Trübsal» ist reinster, wesentlichster Kerouac.
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Rezensent Frank Schäfer spürt die Ernüchterung in jeder Zeile von Jack Kerouacs spätem Roman. Die reichlich hohle Realität hinter der spirituellen (Höhen-)Erfahrung am Desolation Peak im Staat Washington vermag ihm der Autor zu vermitteln. Dass Kerouacs Geschichte der Erfahrung der "totalen Leere", die zur Abkehr des Autors vom Buddhismus führte, bisher nur in Teilübersetzung vorlag, kann der Rezensent verstehen. Warum, bleibt allerdings sein Geheimnis. Liegt es an der vollkommenen Desillusionierung, von der der Text berichtet und an deren Ende den Dichter kein Seeidyll erwartet wie bei Thoreau, wie Schäfer erklärt, sondern der Alkohol?
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Sina schlägt Jan Schönherr für den nächsten großen Übersetzerpreis vor, so gut übersetzt habe dieser die Jubiläumsausgabe von Jack Kerouacs "Spätwerk", diesen existentialistisch-irrenden Flow von Kerouacs Sprache, an der die Gebrochenheit des Protagonisten noch viel deutlicher werde als auf Handlungsebene. Der Erzähler Jack Duluoz, Alter-Ego Kerouacs, so Sina, gibt sich nach einem desillusionierenden Isolationsaufenthalt als Feuerwächter auf einem Berg 1956 dem Alkohol, dem Sex und dem Buddhismus hin, umgeben von allerlei Freunden der Beat-Generation - William S. Burroughs und Allen Ginsberg begegnet der Kritiker hier etwa. Das "prekäre Schwanken", das der Erzähler dabei durchläuft, und die "ausufernde Polyphonie" der Sprache hat dabei nichts mehr von Walt Whitmans kollektivem "Gospel", sondern treibt vielmehr dem Wahnsinn entgegen, meint Sina. Was von Truman Capote als bloßes Mittippen kritisiert wurde, hat Größen wie Bob Dylan beeinflusst, weiß der Kritiker - und fasziniert scheinbar auch ihn.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022Der saftige Erlöser auf dem Goldhügel predigt Bebop
Gegen die Schreibschule: Jack Kerouacs Roman "Engel der Trübsal" erscheint zum hundertsten Geburtstag des Autors erstmals in einer deutschsprachigen Gesamtübersetzung
In jedem Beatnik steckt ein Bildungsbürger. Diesen Eindruck gewinnt man rasch bei der Lektüre des Romans "Engel der Trübsal" von Jack Kerouac, der 1965 im Original erschienen ist und nun erstmals in einer komplett neuen Gesamtübersetzung vorliegt. Blitzschnell wie die Töne in einem Solo von Charlie Parker folgen die Zitate, Anspielungen, Referenzen aufeinander; sie reichen vom alten China, den Weltreligionen und der griechisch-römischen Antike über Shakespeare, Goethe und Whitman bis zum Kino und Jazz, ja sogar "Mario und der Zauberer" huschen an einer Stelle vorbei. Kerouacs Roman, eine wilde Improvisation über dreitausend Jahre Menschheitsgeschichte, gibt dem Bebop eine Sprache.
Erschienen ist "Desolation Angels", so der Originaltitel, als der Hype um "On the Road" schon längst wieder abgeebbt war. Es war Kerouacs zwölfter Roman, und vier Jahre später, zerstört von Suff und Drogen, endete sein Leben. Obwohl er zum Zeitpunkt seines Todes beileibe kein alter Mann, sondern erst siebenundvierzig Jahre alt war, trägt "Engel der Trübsal" die Merkmale eines Spätwerks im engsten Wortsinne: Es ist ein distanzierter Rückblick in die euphorische Zeit unmittelbar vor Erscheinen von "On the Road" im Herbst 1957, seines bis heute ausstrahlenden Erfolgsromans - und ein Abgesang auf die romantische Idee, ebendort, also auf der Straße, ein höheres Dasein zu erlangen.
Auf der Straße, das heißt im Falle von "Desolation Angels" zunächst: auf dem Berg. Jack Duluoz, Erzähler des Romans und Alter Ego des Autors, befindet sich zu Beginn als Feuerwächter auf dem Desolation Peak, einem Berg an der amerikanisch-kanadischen Grenze. Was er in der Isolation sucht, ist Erleuchtung. Was er am Ende findet, ist nur ein "abgrundtiefes Nichts, schlimmer, nicht mal eine Illusion". Auch Kerouac befand sich im Sommer 1956 für dreiundsechzig Tage auf diesem Berg im Bundesstaat Washington. Vertraute wie Allen Ginsberg haben später festgestellt, dieser Aufenthalt sei - und zwar vor allem Ruhm, der ihm noch zuteilwerden sollte - der Anfang vom Ende gewesen.
Als wolle er vor seiner furchterregenden Einsicht flüchten, begibt sich Jack nach seinem Bergerlebnis auf einen langen und wilden Trip, zunächst nach San Francisco, von dort aus nach Mexico City, weiter bis New York, dann auf die andere Atlantikseite nach Tanger, Paris und London, schließlich erneut quer durch die Vereinigten Staaten und Mexiko bis nach New York, wo er sich am Ende zu bleiben entschließt. Um die entsetzliche Lücke zu schließen, die sich in ihm aufgetan hat, gibt sich Jack auf den Stationen seiner Reise dem Alkohol, dem Sex, der fernöstlichen Philosophie, der Exotik und dem Schreiben hin. Umgeben ist er dabei von einem Freundeskreis, der sich fast ausschließlich aus Vertretern der Beatbewegung zusammensetzt. Wem danach ist, der kann sie alle auf reale Vorbilder zurückführen: "Bull Hubbard" etwa trägt unverkennbar die Züge von William S. Burroughs; in "Irwin Garden" lässt sich Allen Ginsberg deutlich wiedererkennen. Zu retten vermögen sie Jack jedoch ebenfalls nicht; einzig ein Leben in "friedlichem Kummer" scheint ihm zuletzt noch möglich.
Vielleicht mehr noch als die Figuren ist der Stil ein wesentlicher Akteur in Kerouacs Roman. In ihm bildet sich Jacks prekäres Schwanken zwischen Rausch und Absturz, Ekstase und Selbstverlust ungebrochen ab. Auf eine Passage, die Sprachmaterial aus der buddhistischen Tradition und dem Taoismus montiert, folgt ein paar Seiten weiter die onomatopoetische Schilderung eines beängstigenden Berggewitters ("Zisch, zisch, sagt der Wind, bringt Staub und Blitzschlag näher"); an stark rhythmisierte, bisweilen wie das Fill-In eines Schlagzeugers wirkende Sätze ("Das ist die Beat Generation, der béat, der Beat der Welt, der heart-beat, Herz-Schlag, das ist geschlagen und am Boden sein") schließen sich Abschnitte vollkommener "Gagarede" an: "'Der saftige Erlöser wurde auf dem Goldhügel manoralisiert und reputatiert', sagte ich mir, wie ich mir oft ein Stückchen Sprache aus dem Hirn ziehe, um zu sehen, was es bedeutet."
Lustvoll verspielt ist diese ausufernde Polyphonie allerdings nur zeitweise. Vielmehr scheint Jack an den Stimmen, die in ihm zusammenkommen, schrittweise irre zu werden. Auch dies bringt sich in der sprachlich-typographischen Performance zum Ausdruck: "WER HAT EUCH GESAGT, RHADAMANTHYS SEI NOCH BEI VERSTAND? WER SCHREIBT FALSCH ÜBER DAS WER DAS WARUM DAS WAS WARTET ODING IIIII IIIIIIIIIO MODIIGRAGA NA PA RA TO MA NI" - so geht es noch einige Zeilen weiter. Begraben ist damit die Idee des amerikanischen Kollektivwesens, dessen feierlichen Gospel Walt Whitman in den "Leaves of Grass" gesungen hatte: "I am large . . . I contain multitudes." An seine Stelle tritt bei Kerouac das zerspaltene, wirr vor sich hin stotternde, am Wahn entlang hangelnde Subjekt der forcierten Moderne. Eine dunkle Enttäuschungsgeschichte ist "Engel der Trübsal" auch in dieser Hinsicht.
Truman Capote, der ein viel klassischerer Erzähler war, hat gegen Kerouacs Literatur den Vorwurf erhoben, sie sei nur "typing", aber kein "writing". An einer Stelle in "Engel der Trübsal" wird auf diesen Vorwurf mit Sarkasmus Bezug genommen: Damit kein Capote dieser Welt ihn jemals als "Schreibmaschine" diffamieren könne, zückt Jack zwischendurch seinen Stift und krakelt etwas auf die Seiten, um sie durch die "Etruskerzeichen seiner Handschrift" aufzuwerten. Sieht man vom Kult des Handschriftlichen ab, über den sich Jack lustig macht, hat Capote allerdings ziemlich treffsicher benannt, was Kerouac selbst als "spontane Prosa" bezeichnet hat. Er meinte damit die rauschhafte, ungehaltene Verschriftlichung der inneren und äußeren Erfahrungswelten, ein Verfahren, das sich scharf abgrenzt von den in "Desolation Angeles" ausdrücklich erwähnten "Schreibschulen", also den an Universitäten angebotenen Kursen im creative writing. Schule gemacht hat der Roman allerdings seinerseits (und ironischerweise) bei Bob Dylan: in seinem musikalischen Versepos "Desolation Row". Es lassen sich zahlreiche Überschneidungen zwischen Roman und Song ausmachen, etwa hinsichtlich der erwähnten historischen Personen und literarischen Figuren von Romeo und Einstein bis zu Noah und dem Phantom der Oper.
Was für eine Großtat Jan Schönherr mit seiner Übersetzung von Kerouacs Werk vollbracht hat, lässt sich aus den Beispielen nur erahnen. Das muss man erst einmal hinbekommen: einen "spontan" niedergeschriebenen, programmatisch vielstimmigen und nicht zuletzt von zahlreichen idiomatischen Wendungen und spezifischsten kulturhistorischen Details bestückten Roman so ins Deutsche zu übertragen, dass es nie, wirklich nie angestrengt oder behäbig wirkt. Die Übersetzung erhält den stilistischen Flow des Originals auf bewundernswerte Weise. Sollte also in nächster Zeit ein großer Übersetzerpreis zu vergeben sein: Jan Schönherr und seine "Engel der Trübsal" hätten ihn unbedingt verdient. KAI SINA
Jack Kerouac: "Engel der Trübsal". Roman.
Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022.
528 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegen die Schreibschule: Jack Kerouacs Roman "Engel der Trübsal" erscheint zum hundertsten Geburtstag des Autors erstmals in einer deutschsprachigen Gesamtübersetzung
In jedem Beatnik steckt ein Bildungsbürger. Diesen Eindruck gewinnt man rasch bei der Lektüre des Romans "Engel der Trübsal" von Jack Kerouac, der 1965 im Original erschienen ist und nun erstmals in einer komplett neuen Gesamtübersetzung vorliegt. Blitzschnell wie die Töne in einem Solo von Charlie Parker folgen die Zitate, Anspielungen, Referenzen aufeinander; sie reichen vom alten China, den Weltreligionen und der griechisch-römischen Antike über Shakespeare, Goethe und Whitman bis zum Kino und Jazz, ja sogar "Mario und der Zauberer" huschen an einer Stelle vorbei. Kerouacs Roman, eine wilde Improvisation über dreitausend Jahre Menschheitsgeschichte, gibt dem Bebop eine Sprache.
Erschienen ist "Desolation Angels", so der Originaltitel, als der Hype um "On the Road" schon längst wieder abgeebbt war. Es war Kerouacs zwölfter Roman, und vier Jahre später, zerstört von Suff und Drogen, endete sein Leben. Obwohl er zum Zeitpunkt seines Todes beileibe kein alter Mann, sondern erst siebenundvierzig Jahre alt war, trägt "Engel der Trübsal" die Merkmale eines Spätwerks im engsten Wortsinne: Es ist ein distanzierter Rückblick in die euphorische Zeit unmittelbar vor Erscheinen von "On the Road" im Herbst 1957, seines bis heute ausstrahlenden Erfolgsromans - und ein Abgesang auf die romantische Idee, ebendort, also auf der Straße, ein höheres Dasein zu erlangen.
Auf der Straße, das heißt im Falle von "Desolation Angels" zunächst: auf dem Berg. Jack Duluoz, Erzähler des Romans und Alter Ego des Autors, befindet sich zu Beginn als Feuerwächter auf dem Desolation Peak, einem Berg an der amerikanisch-kanadischen Grenze. Was er in der Isolation sucht, ist Erleuchtung. Was er am Ende findet, ist nur ein "abgrundtiefes Nichts, schlimmer, nicht mal eine Illusion". Auch Kerouac befand sich im Sommer 1956 für dreiundsechzig Tage auf diesem Berg im Bundesstaat Washington. Vertraute wie Allen Ginsberg haben später festgestellt, dieser Aufenthalt sei - und zwar vor allem Ruhm, der ihm noch zuteilwerden sollte - der Anfang vom Ende gewesen.
Als wolle er vor seiner furchterregenden Einsicht flüchten, begibt sich Jack nach seinem Bergerlebnis auf einen langen und wilden Trip, zunächst nach San Francisco, von dort aus nach Mexico City, weiter bis New York, dann auf die andere Atlantikseite nach Tanger, Paris und London, schließlich erneut quer durch die Vereinigten Staaten und Mexiko bis nach New York, wo er sich am Ende zu bleiben entschließt. Um die entsetzliche Lücke zu schließen, die sich in ihm aufgetan hat, gibt sich Jack auf den Stationen seiner Reise dem Alkohol, dem Sex, der fernöstlichen Philosophie, der Exotik und dem Schreiben hin. Umgeben ist er dabei von einem Freundeskreis, der sich fast ausschließlich aus Vertretern der Beatbewegung zusammensetzt. Wem danach ist, der kann sie alle auf reale Vorbilder zurückführen: "Bull Hubbard" etwa trägt unverkennbar die Züge von William S. Burroughs; in "Irwin Garden" lässt sich Allen Ginsberg deutlich wiedererkennen. Zu retten vermögen sie Jack jedoch ebenfalls nicht; einzig ein Leben in "friedlichem Kummer" scheint ihm zuletzt noch möglich.
Vielleicht mehr noch als die Figuren ist der Stil ein wesentlicher Akteur in Kerouacs Roman. In ihm bildet sich Jacks prekäres Schwanken zwischen Rausch und Absturz, Ekstase und Selbstverlust ungebrochen ab. Auf eine Passage, die Sprachmaterial aus der buddhistischen Tradition und dem Taoismus montiert, folgt ein paar Seiten weiter die onomatopoetische Schilderung eines beängstigenden Berggewitters ("Zisch, zisch, sagt der Wind, bringt Staub und Blitzschlag näher"); an stark rhythmisierte, bisweilen wie das Fill-In eines Schlagzeugers wirkende Sätze ("Das ist die Beat Generation, der béat, der Beat der Welt, der heart-beat, Herz-Schlag, das ist geschlagen und am Boden sein") schließen sich Abschnitte vollkommener "Gagarede" an: "'Der saftige Erlöser wurde auf dem Goldhügel manoralisiert und reputatiert', sagte ich mir, wie ich mir oft ein Stückchen Sprache aus dem Hirn ziehe, um zu sehen, was es bedeutet."
Lustvoll verspielt ist diese ausufernde Polyphonie allerdings nur zeitweise. Vielmehr scheint Jack an den Stimmen, die in ihm zusammenkommen, schrittweise irre zu werden. Auch dies bringt sich in der sprachlich-typographischen Performance zum Ausdruck: "WER HAT EUCH GESAGT, RHADAMANTHYS SEI NOCH BEI VERSTAND? WER SCHREIBT FALSCH ÜBER DAS WER DAS WARUM DAS WAS WARTET ODING IIIII IIIIIIIIIO MODIIGRAGA NA PA RA TO MA NI" - so geht es noch einige Zeilen weiter. Begraben ist damit die Idee des amerikanischen Kollektivwesens, dessen feierlichen Gospel Walt Whitman in den "Leaves of Grass" gesungen hatte: "I am large . . . I contain multitudes." An seine Stelle tritt bei Kerouac das zerspaltene, wirr vor sich hin stotternde, am Wahn entlang hangelnde Subjekt der forcierten Moderne. Eine dunkle Enttäuschungsgeschichte ist "Engel der Trübsal" auch in dieser Hinsicht.
Truman Capote, der ein viel klassischerer Erzähler war, hat gegen Kerouacs Literatur den Vorwurf erhoben, sie sei nur "typing", aber kein "writing". An einer Stelle in "Engel der Trübsal" wird auf diesen Vorwurf mit Sarkasmus Bezug genommen: Damit kein Capote dieser Welt ihn jemals als "Schreibmaschine" diffamieren könne, zückt Jack zwischendurch seinen Stift und krakelt etwas auf die Seiten, um sie durch die "Etruskerzeichen seiner Handschrift" aufzuwerten. Sieht man vom Kult des Handschriftlichen ab, über den sich Jack lustig macht, hat Capote allerdings ziemlich treffsicher benannt, was Kerouac selbst als "spontane Prosa" bezeichnet hat. Er meinte damit die rauschhafte, ungehaltene Verschriftlichung der inneren und äußeren Erfahrungswelten, ein Verfahren, das sich scharf abgrenzt von den in "Desolation Angeles" ausdrücklich erwähnten "Schreibschulen", also den an Universitäten angebotenen Kursen im creative writing. Schule gemacht hat der Roman allerdings seinerseits (und ironischerweise) bei Bob Dylan: in seinem musikalischen Versepos "Desolation Row". Es lassen sich zahlreiche Überschneidungen zwischen Roman und Song ausmachen, etwa hinsichtlich der erwähnten historischen Personen und literarischen Figuren von Romeo und Einstein bis zu Noah und dem Phantom der Oper.
Was für eine Großtat Jan Schönherr mit seiner Übersetzung von Kerouacs Werk vollbracht hat, lässt sich aus den Beispielen nur erahnen. Das muss man erst einmal hinbekommen: einen "spontan" niedergeschriebenen, programmatisch vielstimmigen und nicht zuletzt von zahlreichen idiomatischen Wendungen und spezifischsten kulturhistorischen Details bestückten Roman so ins Deutsche zu übertragen, dass es nie, wirklich nie angestrengt oder behäbig wirkt. Die Übersetzung erhält den stilistischen Flow des Originals auf bewundernswerte Weise. Sollte also in nächster Zeit ein großer Übersetzerpreis zu vergeben sein: Jan Schönherr und seine "Engel der Trübsal" hätten ihn unbedingt verdient. KAI SINA
Jack Kerouac: "Engel der Trübsal". Roman.
Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022.
528 S., geb., 26,- Euro.
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