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Maja Haderlap hat mit ihrem Debütroman "Engel des Vergessens" den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Doch kann das Buch halten, was die hohe Auszeichnung verspricht?
Du wirst gehen / zurückkehren nicht sterben im Krieg." Diese trostbeschwörende Prophetie, die Peter Handke seinem Erstlingsroman "Die Hornissen" voranstellt, jener artifiziell-suggestiven Durchschreitung eines vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten slowenisch-kärtnerischen Dorfes, hallt unweigerlich nach, wenn Maja Haderlap sich nun, fünfundvierzig Jahre später, mit ihrem Romandebüt "Engel des Vergessens" ihrerseits auf eine Spurensuche in die leidvolle Geschichte der slowenischen Minderheit in Österreich begibt.
Auch in das Dorf Eisenkappel sind jene zurückgekehrt, welche die Qualen in den Konzentrationslagern überlebten oder den blutigen, entbehrungsreichen Partisanenkampf gegen die Eingliederung ins nationalsozialistische Reich. Doch der Tod bleibt allgegenwärtig. Wie ein unsichtbares Netz überzieht er das Leben und die Natur, die nur für das unwissende Auge idyllisch erscheint, er knüpft und sprengt die Beziehungen zwischen den Dorfbewohnern, schürt die Verwerfungen innerhalb der Familien. Kaum ein Gehöft, das nicht Schauplatz einer Deportation geworden ist. Bäume, an denen jene erhängt wurden, die gegen die nationalsozialistische Okkupation aufbegehrten, stehen als Mahnmale in der Landschaft. Die Natur offenbart die Wegmarken historischer Verheerungen, die sich im öffentlichen Diskurs noch immer nur am Rande niedergeschlagen haben. Vor allem aber sind es die Menschen selbst, die von den Erinnerungen an das Morden auch Jahrzehnte später in immer neue Tode getrieben werden. Nachrichten von Selbstmorden gehören wie selbstverständlich zum dörflichen Gespräch. Der Wald mag mit den Jahren dichter werden, ehemalige Lagerstätten der Partisanen und Kampfplätze überwuchern, die Erinnerung aber verwächst sich sehr viel schleichender.
Maja Haderlap, die mit einem Auszug aus dieser Archäologie, die gleichsam die einer Familie, einer Landschaft und eines Volkes ist, vor wenigen Tagen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, entfaltet ihre Erzählung aus dem schützenden Dunkel einer dörflichen Küche heraus. In ihr erscheinen die Gerüche nach Erde, Rauch und gesäuerter Luft der kindlichen Erzählerin genauso unmittelbar und nah wie der Körper der Großmutter, an dem sich das Mädchen festhält, während die Mutter in einer spröden Stummheit die kräftezehrenden Arbeiten auf dem Hof verrichtet. Eine beinahe archaisch-magische Welt, in der mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges die Rede vom Fernsehen bei den Nachbarn oder dem Moped der Mutter wie Fremdkörper anmuten. Die slowenischen Sätze, welche die in ebenjenem österreichisch-slowenischen Eisenkappel geborene Haderlap in ihrem auf Deutsch verfassten Roman von Zeit zu Zeit in den Text einfließen lässt, muten da an wie Zauberformeln.
Je mehr der Raum aber aus dem Dunkel heraustritt, je mehr das Kind von den Gesprächen der Erwachsenen und den Erzählungen der Großmutter deuten kann, desto mehr versteht es nicht nur die düstere Bedeutung jener Utensilien, welche die Großmutter trotzig in ihren Alltag integriert hat - wie den Löffel, den sie aus Ravensbrück mitbrachte, ein "Arbeitsbuch" mit Reichsadler auf dem Umschlag, in dem nun Notizen über die Bienenstöcke vermerkt werden. Das Kind lernt auch, die grausamen Signaturen der Landschaft zu deuten. Mehr und mehr begreift das Mädchen die fatale Dynamik, welche die Geschichte in die eigene Familie geschlagen hat. Vor allem in das Leben des Vaters, der zerrieben und zerschlagen ist von den Folterungen, die er als gerade einmal Zwölfjähriger erdulden musste, der hin und her geworfen wird von Angst und Wut und der von einer heillos verzweifelten Sehnsucht nach dem erlösenden Tod getrieben wird. Mit furchtbarer Regelmäßigkeit erwartet die Familie, dass er sich das Leben nimmt, wie so viele um ihn herum das tun. Und dann findet man ihn doch nur wieder mit der bereits geknüpften Schlinge, die ihm schlaff in der Hand hängt, oder unverletzt neben dem Gewehr liegend, dessen Lauf ins Nirgendwo gerichtet war.
So quälend das Leben für diesen Mann ist, so unerträglich ist er es selbst für all jene, die ihm nahe sind. Die stumme Traurigkeit seiner Frau wird da nur allzu verständlich. Besonders dann, wenn der Erzählerin klar wird, warum die Mutter eine Randfigur bleiben muss, die den Argwohn selbst ihres Mannes auf sich zieht: Sie ist von den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten verschont geblieben. Auf krude Weise wird das erfahrene Leid im dörflichen und familiären Gefüge zu einer moralischen Eintrittsbedingung in die Gemeinschaft.
Womöglich liegt es an ebendieser fatalen Abgeschlossenheit des Leidens, dass auch Maja Haderlap selbst in dieser unverkennbar autobiographisch grundierten Geschichte ihren Standpunkt, der gleichermaßen Standpunkt des Erzählens sein müsste, nicht recht gefunden hat. Nicht nur wechselt in den Szenen aus der Kindheit die Perspektive immer wieder unkontrolliert zwischen dem Situativen und den Schilderungen des Allgemeinen, der ritualisierten Abläufe von Hofleben und Natur. Irritierend sind auch die kurzen reflexiven, aus der Rückschau eingefügten Passagen, die das Suggestive der kindlichen Perspektive kreuzen. Im zweiten Teil des Romans, in dem die Erzählerin Abstand zu ihrem Elternhaus gewinnt und in Wien ein Studium der Theaterwissenschaft beginnt, bekommt der Ton etwas Notathaftes, so, als wäre die Autorin noch immer dabei, ihr Material zu sammeln, zu sortieren und nach einer angemessenen Darstellung zu suchen.
Dieses Suchen nach einer ihr und den Ereignissen gemäßen Sprache wird von Haderlap im Verlaufe des Romans immer wieder thematisiert. Dass ihr dabei ausgerechnet jene Bilder, in denen sie um poetische Dichte bemüht ist, verrutschen, verwundert gerade deshalb, weil die 1961 Geborene, die fünfzehn Jahre Chefdramaturgin des Klagenfurter Theaters war, bisher vor allem als Lyrikerin in Erscheinung getreten ist. "Ich fürchte", heißt es etwa, "dass sich der Tod in mir eingenistet hat, wie ein kleiner schwarzer Knopf, wie eine dunkle Spitzenflechte, die sich unsichtbar über meine Haut zieht." Und an anderer Stelle: "Hinter dem Rücken meiner Großmutter liegend ... schwebe ich in die Vergangenheit wie in einem Zeittropfen, der in meinem Kopf kreist."
Immerhin zeugen diese Bilder, deren Zentrum und Perspektive ins Trudeln geraten sind, gerade in ihrem Scheitern von der Unbedingtheit der Suche nach sprachlicher Vermittlung. Wohingegen der Sprache dort, wo der Autorin an Präzision gelegen scheint, etwas Kraftloses eigen ist, etwas elegisch, bisweilen ungelenk Zurückhaltendes, das umso mehr auffällt angesichts des emotionalen Furors der Menschen, von denen sie erzählt. Und auch natürlich angesichts der Wut oder des zornigen Schmerzes, der ebenso die Texte Handkes oder jene des Kärtnerslowenen Florjan Lipus durchzieht - Josef Winklers böse poetische Durchwirbelungen der Kärtner Politiksümpfe nicht zu vergessen.
Am Ende ihrer Spurensuche, der Jugoslawien-Krieg hat die Geschichte Sloweniens neuerlichen Eruptionen ausgesetzt, fährt die Erzählerin nach Ravensbrück. An jenen Ort, an den ihre Großmutter verschleppt wurde und "in dessen Magnetfeld sie lebte, an dem sie sich orientierte, der sie bestimmte und ihre Empfindungen nach sich zog". Wenn auch die Erzählerin hier keinen Trost finden mag, so findet sie doch zumindest die tröstende Gewissheit, die Erinnerungen und Fundstücke in eine Geschichte verwandeln zu können. Dass die Trümmer und Scherben, auf die sie während ihrer Suche gestoßen ist, ihr Erzählen ein wenig verletzender und scharfkantiger gemacht hätten, wäre zu wünschen gewesen.
WIEBKE POROMBKA
Maja Haderlap: "Engel des Vergessens". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 288 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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