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Prüfungshöllen und Tretbootparadiese: Park Min-gyu schafft in einer Erzählungssammlung aus Wimmelbildern der südkoreanischen Leistungsgesellschaft ein Prosamosaik
Park Min-gyu formuliert mit dem in Korea bereits vor sechzehn Jahren erschienenen Erzählungsband mit Witz und Aberwitz eine Abrechnung mit der Leistungsgesellschaft seines Heimatlandes. Er skizziert dabei gleichwohl humanistische Porträts derjenigen, die auf der kapitalistischen Schnellstraße vom Entwicklungsland zur Hightech-Nation abgehängt wurden.
Die im Buch versammelten skurril-spacigen Wimmelbilder vom Prekariat erörtern den Platz des Menschen im Kosmos: im irdischen Alltagsgetriebe ebenso wie bei Begegnungen mit Extraterrestrischen. Sie behandeln, wie auch das Nachwort des Übersetzers Andreas Schirmer erhellt, die Globalisierung und solche koreanischen Gegenwartsphänomene wie Computerspielsucht, "Erziehungsfieber" und "Kranichväter" (wie man in Korea jene Männer nennt, die zurückbleiben, während Frau und Kind zwecks elitärer Schulausbildung in den Vereinigten Staaten) weilen. Selbstverloren und "supereinsam", versuchen Parks meist studentische Helden, in einer feindlichen Lebenswelt zu bestehen.
Eine seiner Erzählungen in der Sammlung heißt "Castella". Sie schildert die Hassliebe zwischen einem Studenten und seinem lärmenden Kühlschrank. Park schließt darin Exkurse zur Geschichte der Kühlung mit Kaltem Krieg, Dekadenz, Fäulnis und Kapitalismus kurz. Bald dient der Kühlschrank dem kältetechnikbesessenen Helden zur Entsorgung aller Übel und Überflüssigkeiten der Welt: In ihn stopft er den verschuldeten Vater, die Uni und die Vereinigten Staaten.
Die Episode "Bloß eine Giraffe" erzählt vom Jonglieren eines jungen Menschen mit seinen Teilzeitbeschäftigungen, darunter einem "Pushmann-Job", also dem als Drücker zur Rushhour in der U-Bahn von Seoul. Sie wird zum Sinnbild fürs "Menschheits-Schlachtfeld". Impressionen im Stile von Zola zeigen die U-Bahn als Bestie und eiserne Lunge: Menschen bilden von Kräften des Marktes getriebene Monsterwellen, bloße Manövriermasse an ökonomischen Knotenpunkten.
Die Titelerzählung "Entenbootweltbürger" wiederum handelt von Boatpeople und Wirtschaftsflüchtlingen besonderer Art. Ein Stausee in der Peripherie, auf dem Tretboote dümpeln, wird als Vergnügungspark beworben. Die Gäste sind Kunden eines nahe gelegenen Love-Hotels und "Menschen am Rand der Welt". Eines Tages ist der See voller fremdartiger Entenboote mit eingebauter Flugfunktion. Deren Insassen entpuppen sich als fliegende Migranten, Globalisierungsverlierer und visumslose Mitglieder eines "Entenboot-Weltbürgerverbands" aus Südamerika auf Arbeitssuche.
Verspiegelte Fremde, Ausbruchsphantasien, Machtasymmetrien zwischen Individuen und Staaten bilden Parks Grundtenor. Die Erzählung "Staatsexamenspension Spitzenplatz" hat das Dasein im legebatterieartigen winzigen Zimmer eines Prüflings zum Thema. Seit den neunziger Jahren werden solche Staatsexamenspensionen (Goshiwon) auch von Hilfsarbeitern und Tagelöhnern bewohnt. Park beschwört den prekären Mikroorganismus der Goshiwon als Sinnbild Koreas und die "Möbelstück-Existenz" der durch kafkaeske Korridore verbundenen Bewohner mit ihren Marotten. "Koreanisches Gütesiegel" wiederum bietet eine Revue auf Jugend und Revolte in der Entwicklungsdiktatur: Den braven Firmenangestellten Seokhyeon bringt ein Anruf seines einstigen Kameraden und Revoluzzers Giha aus dem Lot.
Giha, der die aktuelle Politik und den Weg ins Parlament ablehnt, ist der letzte Unangepasste. Der solitäre Kommunarde (seine Mitstreiter haben ihn längst verlassen) bittet Seokhyeon, zu ihm aufs Land zu kommen. Empathisch hört der sich dort Gihas Probleme an, kann ihm aber nicht mehr beistehen bei der Aufhebung von Haupt- und Nebenwidersprüchen in einer globalisierten Welt. Der Kamerad war "noch zu finden gewesen, aber das Banner flatterte nicht mehr im Wind".
STEFFEN GNAM
Park Min-gyu: "Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea".
Aus dem Koreanischen von Andreas Schirmer. Praesens Verlag, Wien 2020. 264 S., br., 22,30 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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