Die internationalen Finanzmärkte sind zu einem einzigartigen Treibmittel des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels geworden. Einerseits haben sie ökonomische Wachstumsprozesse beschleunigt und Wohlstandsgewinne begünstigt, andererseits aber auch krisenhafte Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft hervorgebracht bzw. verstärkt. Inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass eine ganze Reihe sozialer, institutioneller und kultureller Faktoren einbezogen werden müssen, um die janusköpfige Gestalt der Finanzmärkte ebenso wie ihre politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Auswirkungen adäquat zu analysieren. Um die Leistungsfähigkeit der Soziologie bei der Analyse der Finanzmärkte eingehender zu diskutieren, sind in diesem Buch Beiträge aus diversen Feldern der soziologischen Forschung versammelt. Bei aller Unterschiedlichkeit des theoretischen und empirischen Zugangs besteht das Gemeinsame der vorliegenden Aufsätze in der Frage, welchen originären Beitrag die Soziologie zu einem besseren Verständnis zentraler Entwicklungstrends und Problemlagen der Finanzmärkte, ihrer Dynamiken und Krisen in modernen kapitalistischen Gesellschaften leisten kann. Mit dem Aufschwung der neueren Wirtschaftssoziologie seit den 1980er Jahren ist die Aufmerksamkeit des Faches wieder stärker auf Märkte und Unternehmen als soziologische Untersuchungsgegenstände gerichtet worden. Im Gegensatz zur klassischen, maßgeblich von Max Weber geprägten Frühphase der Wirtschaftssoziologie werden jedoch nicht nur die außerökonomischen Voraussetzungen des Ökonomischen untersucht. Zugleich sind in zahlreichen neueren Arbeiten die sozialen Strukturen von Märkten (zum Beispiel Netzwerke, Institutionen, Statushierarchien, sozio-kognitive Skripts) ins Blickfeld geraten. Von diesem wieder erwachten Interesse für wirtschaftssoziologische Fragen hat die Soziologie der Finanzmärkte zunächst nicht profitiert. Mehr noch: Die Finanzmärkte sind als Untersuchungsfeld vom Mainstream der Soziologie ignoriert worden. In jüngster Zeit haben jedoch drei Ereignisse das soziologische Interesse für Finanzmärkte geweckt: erstens der dramatische Kursverfall von Unternehmen der New Economy an den internationalen Finanzmärkten zur Jahrtausendwende ("Internetblase"), zweitens die globale Finanzmarktkrise ab 2007/08 mit ihren zum Teil dramatischen Auswirkungen auf Weltwirtschaft und Nationalstaaten sowie drittens die schwelende Eurokrise seit 2009, die scheinbare Selbstverständlichkeiten des europäischen Integrationsprozesses zur Disposition gestellt hat und mit massiven wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen einherging. Die soziologische Erforschung der Finanzmärkte ist damit aus zweierlei Gründen lohnenswert: Zum einen sind Finanzmärkte nicht nur ökonomisch relevante Institutionen, sondern in den letzten Jahrzehnten auch von großer Bedeutung für die Entwicklungsdynamik und den Wandel kapitalistischer Gesellschaften rund um den Globus geworden. Um diesen Wandel in seinen sozioökonomischen, aber auch sozialen, institutionellen und politisch-kulturellen Facetten erklären zu können, erscheint es gerade auch für die Soziologie unabdingbar, sich mit den Finanzmärkten auseinanderzusetzen. Zum anderen sind die vorherrschenden Erklärungsmodelle der orthodoxen ökonomischen Theorie soziologisch alles andere als überzeugend, um das hektische Auf und Ab der Kursbewegungen sowie die wiederkehrenden Blasen und Zusammenbrüche auf den Finanzmärkten wenigstens annäherungsweise zu erklären. Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Soziologie die Frage, welchen Beitrag sie zur Analyse moderner Finanzmärkte leisten kann.
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