Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Orientalistik / Sinologie - Japanologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sprache: Deutsch, Abstract: Erinnern ist ein Prozess der Selektion. Im Vergleich zum Vergessen stellt er eher die Ausnahme als die Regel dar. Daraus kann man die grundsätzliche Frage ableiten, unter welchen Bedingungen erinnert wird oder anders gesagt: Weshalb bestimmte Ereignisse im Gedächtnis bleiben und andere nicht. Von Interesse ist dabei auch die weiterführende Problemstellung, wie sich Vergangenheit, die sich zunächst in Form von Gedächtnis, d.h. als von subjektiven Erinnerungen geprägtes Gebilde darstellt, zu einer allgemein akzeptierten Historiographie entwickelt. Zunächst wird die Arbeit in das Konzept von Gedächtnis als Produkt von Erinnern und Vergessen einführen, um anschließend genauer auf den Unterschied zwischen Gedächtnis und Geschichte einzugehen. Hauptsächlich gestützt ist dieser erste Teil auf die Arbeit von Assmann (2007), in der ältere Ansätze der Gedächtnisforschung aufgegriffen, verarbeitet und zusammen gefasst sind. Anschließend wird dieser theoretische Rahmen auf die Konstruktion von Geschichte in Japan angewendet. In der seit Jahrzehnten hitzig geführten Debatte um das japanische Geschichtsbild lassen sich exemplarisch die Spannungen zwischen Geschichte als objektivierter Historiographie und Geschichte im Sinne eines identitätsstiftenden Gedächtnisses beobachten. Die sog. Patriotismus-Debatte stellt sich als ein Versuch der Konservativen dar, die japanische Vergangenheit für die Durchsetzung von politischen Zielen zu instrumentalisieren, indem Geschichte durch Gedächtnis ersetzt werden soll. Eine aktuelle Ausprägung dieser Debatte ist im jüngsten Wiederaufflammen des Streites um Schulbücher zu erkennen. Spätestens seit den 1980er Jahren ist dieser Streit ein Feld der Auseinandersetzung zwischen der geschichtsrevisionistischen Rechten und Vertretern einer an objektivierten Fakten ausgerichteten Geschichtswissenschaft. Diese Arbeit wird sich auf einen Teilaspekt dieses Streites beziehen, namentlich auf die Ereignisse während der Schlacht um Okinawa. Im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gedächtnis wird in dieser Arbeit auch die Frage angesprochen, ob sich ein nationales Gedächtnis herausbilden kann, wenn das kollektive Gedächtnis eines Teils der Bevölkerung demjenigen widerspricht, das ein anderer Teil der Gesellschaft als allgemein gültig postuliert und mit Hilfe der Regierung als nationales Gedächtnis von oben zu oktroyieren versucht.