Der neue Roman von Gabriel García MárquezIn Erinnerung an meine traurigen Huren erzählt Gabriel García Márquez eine Geschichte über die Liebe, das Alter und den Sinn des Lebens: Zu seinem 90. Geburtstag schenkt sich ein alter Mann, der sein Leben lang nur käufliche Liebe gekannt hat, in einem Bordell eine Nacht mit einer Jungfrau. In dieser Nacht, der noch viele folgen sollten, betrachtet er verzaubert die schlafende Schöne und empfindet zum ersten Mal in seinem Leben Liebe. Frauen haben im Leben des alten Journalisten immer eine Rolle gespielt - seine schöne und gebildete Mutter, die ihm die klassische Musik und die Literatur nahe brachte; seine aufreizende Verlobte, die er sitzen ließ; all die vielen Huren, die er mehr nach dem Preis als nach ihren Reizen wählte, und schließlich Rosa Cabarcas, eine mit allen Wassern gewaschene Puffmutter, die ihm in der Nacht seines 90. Geburtstags Delgadina zuführt. Dieses von Rosa Cabarcas in Tiefschlaf versetzte schöne Mädchen löst in dem alten einsamen Mann, der mit dem Leben schon fast abgeschlossen hat, nie zuvor erfahrene Gefühle aus. Immer wieder zieht es ihn zu Delgadina, doch er weckt sie nie. Die Schlafende bringt ihn dazu, sich selbst besser zu verstehen; sie treibt den Liebenden in rasende Eifersucht und inspiriert den Journalisten zu hinreißenden Liebeselogen in der Lokalzeitung. Nach einem Jahr ist er ein anderer Mensch. Ein Roman voller Melancholie und Humor, voller Klugheit und Zärtlichkeit. Ein großes Thema der Weltliteratur, der alte Mann und das Mädchen, wird von García Márquez auf meisterhafte Weise karibisch variiert. Erinnerung an meine traurigen Huren ist eine Hommage an den japanischen Nobelpreisträger Yasunari Kawabata und seinen Roman Die schlafenden Schönen. Von Gabriel García Márquez erschien zuletzt vor zwei Jahren Leben, um davon zu erzählen, der erste Teil seiner Erinnerungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2005Esels ganzer Stolz
So bitte nicht: Der neue Roman von Gabriel García Márquez
Der große kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez hat nach zehn Jahren Pause einen neuen, heiß erwarteten Roman über sein ewiges Thema, die Liebe, geschrieben. Aber eigentlich sind es zwei Romane - zumindest sind zwei sehr unterschiedliche Lesarten möglich. Der erste Roman erzählt diese Geschichte: Ein alter, einsamer Mann wünscht sich zu seinem neunzigsten Geburtstag noch einmal eine Liebesnacht mit einem jungen Mädchen. Er hat sein Leben lang immer für Sexualität bezahlt, damit kennt er sich aus, nicht aber mit der Liebe. Als ihm nun eine Bordellbesitzerin das gewünschte junge Mädchen besorgt, findet er es schlafend vor: müde von der Arbeit für Mutter und Geschwister zu Hause, erschöpft von der Arbeit in der Fabrik. Der Alte betrachtet die schlafende Schöne, legt sich neben sie, erzählt ihr Geschichten. Das geht ein paar Nächte so, er bringt Geschenke, sie schläft. Er spielt Musik, sie schläft. Er fühlt zum erstenmal nicht (nur) Begierde, sondern eine große Zärtlichkeit einer Frau gegenüber. Und er ist leicht, glücklich, am Ende verliert er seine angebetete Delgadina zwar aus den Augen, aber sie ist um ihn, sie hat ihn verändert. Er hat keine Angst mehr vor dem Sterben, er hat die Liebe noch kennengelernt. Und wir lernen, daß das Alter nur außen, aber nie innen ist: "Innerlich spürt man es nicht, aber von außen sieht es alle Welt." Was für eine schöne Geschichte - und wie gekonnt aufgebaut, mit wieviel psychologischen und sprachlichen Feinheiten von einem grandiosen Nobelpreisträger erzählt.
Aber man kann die Geschichte auch so lesen: Ein lüsterner Alter, sein Leben lang Bordellgeher, will zu seinem neunzigsten Geburtstag eine Jungfrau haben. Die Bordellbesitzerin hat nur "Gebrauchtware", verspricht aber, sich umzuhören, und findet und liefert eine stark unterernährte Vierzehnjährige. Die wird gewaschen, parfümiert, rasiert, nackt und "verfügbar" auf ein Bett gelegt. "Vögele sie bis zu den Ohren mit diesem erstaunlichen Eselsschwanz", rät die Puffmutter, die minderjährige Mädchen jahrzehntelang anlernte und auspreßte, bis sie "diplomierte Huren"geworden waren. Der Alte kommt, versucht, mit dem Knie zwischen ihre Beine zu dringen, preßt sich nackt an sie, bedeckt ihren ganzen Körper mit Küssen. Sie schläft.
Er kommt jede Nacht, erinnert sich an Hunderte von Frauen, die er schon bestiegen hat, zum Beispiel seine nun auch alte Haushälterin Damiana - als sie sich einmal beim Wäschewaschen bückte, "streifte (ich) den Schlüpfer bis zu den Waden herunter und rammte sie verkehrt herum". Ihr gefiel das nicht, aber ihm, und so kam es, daß er über die nächsten zwanzig Jahre "einen monatlichen Ritt einkalkulierte, immer beim Wäschewaschen und immer verkehrt herum". Jahre später klagt Damiana, sie sei immer noch Jungfrau. Ihn interessiert das nicht. Er denkt an "grünäugige kleine Schlampen", bei denen er sich "zu erleichtern suchte", er sieht junge radfahrende Mädchen, "wie Rehe, schön und verfügbar, bereit, mir vor die Flinte zu laufen", und er schreit seine schlafende Schöne an: "Du Hure!", als er sie mit Goldkettchen vorfindet, die nicht von ihm stammen. Eine Frau, die mit jemand anderem schläft, ist also eine Hure, wenn man sie selbst benutzt, ist sie rein.
Der Autor will uns suggerieren, daß der geile Alte Liebe empfindet. Liebe für ein Mädchen, das sich aus Angst vor seiner Vergewaltigung (ihre Freundin ist bei einem ähnlichen Geschäft innerhalb von nur zwei Stunden verblutet) Nacht für Nacht schlafend stellt. Dieser Roman ist an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten und gehört in die Reihe der Altherrenphantasien von Nabokovs "Lolita" über Philip Roths "Das sterbende Tier" und den gräßlichen "Brasilien"-Roman des sonst so wunderbaren John Updike bis zu Charles Simmons' "Das Venus-Spiel", Martin Walsers "Der Augenblick der Liebe" oder Louis Begleys "Schiffbruch". Große alte Männer der Literatur, bewundernswerte Geschichtenerzähler lassen im Alter plötzlich noch mal - ja: die Sau raus und beschreiben, wovon sie heimlich unter der Bettdecke träumen. Immer geht es dabei um strammes junges Fleisch, und immer denkt man beim Lesen: Großer Gott, so genau hab' ich es doch gar nicht wissen wollen. Hier wird Liebe verwechselt mit Begierde, und die Begierde zielt immer auf Frischfleisch. Natürlich darf die Literatur alles. Natürlich darf García Márquez alles. Aber wir regen uns auf über Kinderpornographie und preisen gleichzeitig diesen Roman, den die Kritik mit Elogen wie "Eine virtuose Feier der Liebe und somit des Lebens" oder "Eine geheimnisvolle Poesie liegt über der Handlung" oder "Hohes Lied auf die Enthaltsamkeit" feiert, die Lüsternheit eines Greises mit prächtigem "Eselsschwanz" nach einem unterernährten vierzehnjährigen Mädchen, das er mit seinen Küssen vollsabbert, als große Literatur. Ich halte das auch dann, wenn man es als lateinamerikanisches Machogehabe abtut, immer noch für eine höchst verlogene Angelegenheit.
Gabriel García Márquez: "Erinnerung an meine traurigen Huren". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 160 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So bitte nicht: Der neue Roman von Gabriel García Márquez
Der große kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez hat nach zehn Jahren Pause einen neuen, heiß erwarteten Roman über sein ewiges Thema, die Liebe, geschrieben. Aber eigentlich sind es zwei Romane - zumindest sind zwei sehr unterschiedliche Lesarten möglich. Der erste Roman erzählt diese Geschichte: Ein alter, einsamer Mann wünscht sich zu seinem neunzigsten Geburtstag noch einmal eine Liebesnacht mit einem jungen Mädchen. Er hat sein Leben lang immer für Sexualität bezahlt, damit kennt er sich aus, nicht aber mit der Liebe. Als ihm nun eine Bordellbesitzerin das gewünschte junge Mädchen besorgt, findet er es schlafend vor: müde von der Arbeit für Mutter und Geschwister zu Hause, erschöpft von der Arbeit in der Fabrik. Der Alte betrachtet die schlafende Schöne, legt sich neben sie, erzählt ihr Geschichten. Das geht ein paar Nächte so, er bringt Geschenke, sie schläft. Er spielt Musik, sie schläft. Er fühlt zum erstenmal nicht (nur) Begierde, sondern eine große Zärtlichkeit einer Frau gegenüber. Und er ist leicht, glücklich, am Ende verliert er seine angebetete Delgadina zwar aus den Augen, aber sie ist um ihn, sie hat ihn verändert. Er hat keine Angst mehr vor dem Sterben, er hat die Liebe noch kennengelernt. Und wir lernen, daß das Alter nur außen, aber nie innen ist: "Innerlich spürt man es nicht, aber von außen sieht es alle Welt." Was für eine schöne Geschichte - und wie gekonnt aufgebaut, mit wieviel psychologischen und sprachlichen Feinheiten von einem grandiosen Nobelpreisträger erzählt.
Aber man kann die Geschichte auch so lesen: Ein lüsterner Alter, sein Leben lang Bordellgeher, will zu seinem neunzigsten Geburtstag eine Jungfrau haben. Die Bordellbesitzerin hat nur "Gebrauchtware", verspricht aber, sich umzuhören, und findet und liefert eine stark unterernährte Vierzehnjährige. Die wird gewaschen, parfümiert, rasiert, nackt und "verfügbar" auf ein Bett gelegt. "Vögele sie bis zu den Ohren mit diesem erstaunlichen Eselsschwanz", rät die Puffmutter, die minderjährige Mädchen jahrzehntelang anlernte und auspreßte, bis sie "diplomierte Huren"geworden waren. Der Alte kommt, versucht, mit dem Knie zwischen ihre Beine zu dringen, preßt sich nackt an sie, bedeckt ihren ganzen Körper mit Küssen. Sie schläft.
Er kommt jede Nacht, erinnert sich an Hunderte von Frauen, die er schon bestiegen hat, zum Beispiel seine nun auch alte Haushälterin Damiana - als sie sich einmal beim Wäschewaschen bückte, "streifte (ich) den Schlüpfer bis zu den Waden herunter und rammte sie verkehrt herum". Ihr gefiel das nicht, aber ihm, und so kam es, daß er über die nächsten zwanzig Jahre "einen monatlichen Ritt einkalkulierte, immer beim Wäschewaschen und immer verkehrt herum". Jahre später klagt Damiana, sie sei immer noch Jungfrau. Ihn interessiert das nicht. Er denkt an "grünäugige kleine Schlampen", bei denen er sich "zu erleichtern suchte", er sieht junge radfahrende Mädchen, "wie Rehe, schön und verfügbar, bereit, mir vor die Flinte zu laufen", und er schreit seine schlafende Schöne an: "Du Hure!", als er sie mit Goldkettchen vorfindet, die nicht von ihm stammen. Eine Frau, die mit jemand anderem schläft, ist also eine Hure, wenn man sie selbst benutzt, ist sie rein.
Der Autor will uns suggerieren, daß der geile Alte Liebe empfindet. Liebe für ein Mädchen, das sich aus Angst vor seiner Vergewaltigung (ihre Freundin ist bei einem ähnlichen Geschäft innerhalb von nur zwei Stunden verblutet) Nacht für Nacht schlafend stellt. Dieser Roman ist an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten und gehört in die Reihe der Altherrenphantasien von Nabokovs "Lolita" über Philip Roths "Das sterbende Tier" und den gräßlichen "Brasilien"-Roman des sonst so wunderbaren John Updike bis zu Charles Simmons' "Das Venus-Spiel", Martin Walsers "Der Augenblick der Liebe" oder Louis Begleys "Schiffbruch". Große alte Männer der Literatur, bewundernswerte Geschichtenerzähler lassen im Alter plötzlich noch mal - ja: die Sau raus und beschreiben, wovon sie heimlich unter der Bettdecke träumen. Immer geht es dabei um strammes junges Fleisch, und immer denkt man beim Lesen: Großer Gott, so genau hab' ich es doch gar nicht wissen wollen. Hier wird Liebe verwechselt mit Begierde, und die Begierde zielt immer auf Frischfleisch. Natürlich darf die Literatur alles. Natürlich darf García Márquez alles. Aber wir regen uns auf über Kinderpornographie und preisen gleichzeitig diesen Roman, den die Kritik mit Elogen wie "Eine virtuose Feier der Liebe und somit des Lebens" oder "Eine geheimnisvolle Poesie liegt über der Handlung" oder "Hohes Lied auf die Enthaltsamkeit" feiert, die Lüsternheit eines Greises mit prächtigem "Eselsschwanz" nach einem unterernährten vierzehnjährigen Mädchen, das er mit seinen Küssen vollsabbert, als große Literatur. Ich halte das auch dann, wenn man es als lateinamerikanisches Machogehabe abtut, immer noch für eine höchst verlogene Angelegenheit.
Gabriel García Márquez: "Erinnerung an meine traurigen Huren". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 160 S., geb., 16,90 [Euro].
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»Die Geschichte einer Liebe ohne Worte ... García Márquez erzeugt eine Spannung, die den Leser bis zum überraschenden Ende fesselt. ... Der Stil von Gabriel García Márquez ist brillant wie immer und gewinnt durch die Kürze dieses Romans an Intensität.«
El País
El País
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2004Der Esel und die Jungfrau
Gabriel García Márquez schwer erotische „Erinnerung an meine traurigen Huren”
Was ist der Weg des Menschen? Erst krabbelt er auf allen vieren, dann erhebt er sich zu aufrechter Zweibeinigkeit, um am Ende wieder einen Stock zu benötigen; so stolpert er dreibeinig dem Grab entgegen. Was ist der Weg des Mannes? Wenn Kinderbücher nicht auf eine gewisse Dezenz verpflichtet wären, könnten sie eine ähnliche Kurve, halb zurück an den Ursprung, zeigen: Am Anfang, während der Geschlechtsreife, beginnt der Mann mit einer Phase intensiver Selbstverwöhnung; darauf folgt die direkte Zuwendung zum Objekt der Begierde; am Ende gewinnt zwangsläufig, mit dem Schwinden von Können und Gelegenheiten, die Vorstellungskraft wieder die Oberhand: der Eros, der hitzig platonisch begonnen hatte, wird nun wiederum abgeklärt platonisch, mehr Vorstellung als Wille.
Da diese Spätphase nach einem langen Leben von Erfahrungen und Experimenten zu liegen pflegt - jedenfalls im heißen Lateinamerika -, stellt sich bei solcher altersweisen Vorstellungssexualität nahezu zwangsläufig eine gewisse wählerische Verfeinerung, aber auch begreifliche Hemmungslosigkeit des Geschmacks ein - das erotische Hausbrot will nicht mehr so recht munden, denn es geht ja nicht mehr im Ernst um Hunger, sondern um ein Gelüst. Also sollen, so meldet es jedenfalls die schöne Literatur vieler Länder, ganz alte Männer sich gern besonders heftig um ganz junge Mädchen bemühen, Greise um halbe Kinder.
Der Altersabstand des Helden von Gabriel García Márquez neuem Roman „Erinnerung an meine traurigen Huren” zu seiner letzten Geliebten beträgt genau 76 Jahre. Er ist neunzig, sie ist vierzehn. Er ist eine Grand Old Schachtel des hauptstädtischen Journalismus, berühmt durch eine „Sonntagsglosse”, die seit mehr als sechzig Jahren Woche für Woche erscheint und nicht mehr ist als eine harmlose Plauderei zu den unpolitischen Fragen des Lebens; sie näht Knöpfe an in einer Kleiderfabrik. Er hat das Gesicht eine Pferdes und, mit Verlaub, das „Geschlechtsorgan eines Esels”, ist also, um es mal mit einem Wort zu sagen, ein versauter dreckiger alter Bock; sie ist Jungfrau, duftend in der Reinheit knospender Weiblichkeit.
Er lebt in dem verfallenden Stadtpalazzo seiner Eltern, inmitten einer großen Bibliothek, welche die ganze Weltliteratur enthält; ob sie überhaupt schreiben kann, bleibt unklar. Es mag langweilig erscheinen, all diese achsensymmetrisch um die gedanklich leere Mitte angeordneten Oppositionen aufzuzählen - es ist nur halt immer so, dass der bonbonfarbigste, grellste Kitsch stets mit den kahlsten, eckigsten Grundrissen zu arbeiten pflegt: Ach, Hässliches, du hast so was Verlässliches.
Die Sache kommt in Gang, weil der greise Held sich zu seinem neunzigsten Geburtstag noch etwas gönnen möchte, nämlich eine unberührte Jungfrau. Klar findet er im lebensprallen Südamerika mühelos eine verständnisvolle Puffmutter, die ihm das Gewünschte besorgt. Vielleicht hätte sie das nicht für jeden getan - doch für einen alten Stammkunden legt sie sich ins Zeug. Denn, das erfahren wir so peu à peu, der hässliche geile Sonntagskolumnist war bei den Huren seiner Stadt ein beliebter Stammkunde: Seit er selbst im Alter von zwölf Jahren zum Manne gemacht wurde, indem eine pralle Prostituierte sich auf ihn setzte, vögelte er sich bis in sein achtes Lebensjahrzehnt ebenso regelmäßig wie wahllos durch den kleinen örtlichen Garten der Lüste. Es ging dabei, trauriger- aber auch einfacherweise, nie um Liebe, sondern nur um die Lust für sein eselsgleiches Organ.
Baldrianpillchen im Puff
Jetzt aber, mit neunzig: Kontrast, Kontrast! Auch im höchsten Alter ist noch neues Erleben, ist noch Entwicklung möglich. Wer befürchtet hatte, diesen Pferdesel in grauenhafter Brutalität ein allerzartestes Jungfernhäutchen durchstechen sehen zu müssen, der wird - angesichts der bitterschweren Tonlage der Erzählung allerdings kaum überraschend - eines Besseren belehrt. Im Stundenzimmer trifft der Sonntagsesel seine Maid schlafend an; ist es Schreck, ist es Flucht oder nur das Baldrianpillchen der klugen Puffmadam? Von einem Film feinsten frischen Mädchenschweißes umhüllt, liegt die kleine Delgadina im roten Licht auf ihrem Bett und schlummert holdselig atmend.
Hier nun gelangt der Roman an seinen Ideenkern. Der aktiv begehrende Intellektuelle redet mit dem stummen dämmernden Naturwesen, der Mann mit dem Mädchen, die Geilheit mit der Zartheit, das Alter mit der Kindheit. Sie verstehen einander prächtig, denn es ist die Kommunikation eines Sprechenden mit einer Wortlosen. Er legt sich neben sie - angetan nur mit einer Unterhose, auf der rote Lippenstift-Kussspuren aufgedruckt sind, ein passendes Geburtstagsgeschenk für so einen viven Neunzigjährigen - und redet auf sie ein. Natürlich hat er das dringlich unabweisbare Gefühl, dass das schlafende Ding ihn „versteht”.
Aus dieser Konstellation wird die letzte Besessenheit des Greisen - und, man ahnt es längst, seine allererste Liebe. Denn er hat ja nie geliebt, er hat immer nur gefickt. Der ewige Selbstverwöhner am fremden Objekt wird zum zarten, hingebungsvollen Verehrer. Sie schläft, er spricht - die Kommunikation klappt reibungslos. Nacht für Nacht kehrt nun Esel ein bei Jungfrau; er staffiert das öde Zimmerchen mit einem Väschen, Blumen, ein paar Bildern aus. Er legt sich neben die Schweißüberflossene, schamhaft in der Unterhose und erzählt ihr sein Leben, sein Denken. Sie döst einfühlsam zustimmend.
Und - wie nicht!!! - auch die Sonntagsglosse, welche Pferdesel bei seinem Neunzigsten fast schon eingestellt hätte, gewinnt, blüht auf, wird wieder Kult! Die Jugend der Stadt zwischen Hafenkaschemme und Stadtplatz reißt sie sich aus den Händen, das Radio verliest sie, alle Liebeskranken erkennen sich wieder in Esels allwöchentlichen Leidenschaftsbulletins. Die wortarme Verständigung mit dem Naturnymphchen führt zu einem unerwarteten Triumph der Wortgewalt. Wer mit dem Penis schreibt, hat keine Handschrift, ein jeder kann ihn verstehen! Es gibt Verwicklungen am Ende, damit überhaupt ein Ende ist: Mord im Puff, Gewitter, Schließung des Ladens, Rückkehr des Mädchens als aufgetakelte Frau, Ende der Liebe, Ende des Lebens, 91. Geburtstag!
Das Buch ist winzig wie ein Schnapsglas Sirup - allzu schwer, als dass mans könnt ertragen.
GUSTAV SEIBT
GABRIEL GARCÍA MÁRQUEZ: Erinnerung an meine traurigen Huren. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2004. 160 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Gabriel García Márquez schwer erotische „Erinnerung an meine traurigen Huren”
Was ist der Weg des Menschen? Erst krabbelt er auf allen vieren, dann erhebt er sich zu aufrechter Zweibeinigkeit, um am Ende wieder einen Stock zu benötigen; so stolpert er dreibeinig dem Grab entgegen. Was ist der Weg des Mannes? Wenn Kinderbücher nicht auf eine gewisse Dezenz verpflichtet wären, könnten sie eine ähnliche Kurve, halb zurück an den Ursprung, zeigen: Am Anfang, während der Geschlechtsreife, beginnt der Mann mit einer Phase intensiver Selbstverwöhnung; darauf folgt die direkte Zuwendung zum Objekt der Begierde; am Ende gewinnt zwangsläufig, mit dem Schwinden von Können und Gelegenheiten, die Vorstellungskraft wieder die Oberhand: der Eros, der hitzig platonisch begonnen hatte, wird nun wiederum abgeklärt platonisch, mehr Vorstellung als Wille.
Da diese Spätphase nach einem langen Leben von Erfahrungen und Experimenten zu liegen pflegt - jedenfalls im heißen Lateinamerika -, stellt sich bei solcher altersweisen Vorstellungssexualität nahezu zwangsläufig eine gewisse wählerische Verfeinerung, aber auch begreifliche Hemmungslosigkeit des Geschmacks ein - das erotische Hausbrot will nicht mehr so recht munden, denn es geht ja nicht mehr im Ernst um Hunger, sondern um ein Gelüst. Also sollen, so meldet es jedenfalls die schöne Literatur vieler Länder, ganz alte Männer sich gern besonders heftig um ganz junge Mädchen bemühen, Greise um halbe Kinder.
Der Altersabstand des Helden von Gabriel García Márquez neuem Roman „Erinnerung an meine traurigen Huren” zu seiner letzten Geliebten beträgt genau 76 Jahre. Er ist neunzig, sie ist vierzehn. Er ist eine Grand Old Schachtel des hauptstädtischen Journalismus, berühmt durch eine „Sonntagsglosse”, die seit mehr als sechzig Jahren Woche für Woche erscheint und nicht mehr ist als eine harmlose Plauderei zu den unpolitischen Fragen des Lebens; sie näht Knöpfe an in einer Kleiderfabrik. Er hat das Gesicht eine Pferdes und, mit Verlaub, das „Geschlechtsorgan eines Esels”, ist also, um es mal mit einem Wort zu sagen, ein versauter dreckiger alter Bock; sie ist Jungfrau, duftend in der Reinheit knospender Weiblichkeit.
Er lebt in dem verfallenden Stadtpalazzo seiner Eltern, inmitten einer großen Bibliothek, welche die ganze Weltliteratur enthält; ob sie überhaupt schreiben kann, bleibt unklar. Es mag langweilig erscheinen, all diese achsensymmetrisch um die gedanklich leere Mitte angeordneten Oppositionen aufzuzählen - es ist nur halt immer so, dass der bonbonfarbigste, grellste Kitsch stets mit den kahlsten, eckigsten Grundrissen zu arbeiten pflegt: Ach, Hässliches, du hast so was Verlässliches.
Die Sache kommt in Gang, weil der greise Held sich zu seinem neunzigsten Geburtstag noch etwas gönnen möchte, nämlich eine unberührte Jungfrau. Klar findet er im lebensprallen Südamerika mühelos eine verständnisvolle Puffmutter, die ihm das Gewünschte besorgt. Vielleicht hätte sie das nicht für jeden getan - doch für einen alten Stammkunden legt sie sich ins Zeug. Denn, das erfahren wir so peu à peu, der hässliche geile Sonntagskolumnist war bei den Huren seiner Stadt ein beliebter Stammkunde: Seit er selbst im Alter von zwölf Jahren zum Manne gemacht wurde, indem eine pralle Prostituierte sich auf ihn setzte, vögelte er sich bis in sein achtes Lebensjahrzehnt ebenso regelmäßig wie wahllos durch den kleinen örtlichen Garten der Lüste. Es ging dabei, trauriger- aber auch einfacherweise, nie um Liebe, sondern nur um die Lust für sein eselsgleiches Organ.
Baldrianpillchen im Puff
Jetzt aber, mit neunzig: Kontrast, Kontrast! Auch im höchsten Alter ist noch neues Erleben, ist noch Entwicklung möglich. Wer befürchtet hatte, diesen Pferdesel in grauenhafter Brutalität ein allerzartestes Jungfernhäutchen durchstechen sehen zu müssen, der wird - angesichts der bitterschweren Tonlage der Erzählung allerdings kaum überraschend - eines Besseren belehrt. Im Stundenzimmer trifft der Sonntagsesel seine Maid schlafend an; ist es Schreck, ist es Flucht oder nur das Baldrianpillchen der klugen Puffmadam? Von einem Film feinsten frischen Mädchenschweißes umhüllt, liegt die kleine Delgadina im roten Licht auf ihrem Bett und schlummert holdselig atmend.
Hier nun gelangt der Roman an seinen Ideenkern. Der aktiv begehrende Intellektuelle redet mit dem stummen dämmernden Naturwesen, der Mann mit dem Mädchen, die Geilheit mit der Zartheit, das Alter mit der Kindheit. Sie verstehen einander prächtig, denn es ist die Kommunikation eines Sprechenden mit einer Wortlosen. Er legt sich neben sie - angetan nur mit einer Unterhose, auf der rote Lippenstift-Kussspuren aufgedruckt sind, ein passendes Geburtstagsgeschenk für so einen viven Neunzigjährigen - und redet auf sie ein. Natürlich hat er das dringlich unabweisbare Gefühl, dass das schlafende Ding ihn „versteht”.
Aus dieser Konstellation wird die letzte Besessenheit des Greisen - und, man ahnt es längst, seine allererste Liebe. Denn er hat ja nie geliebt, er hat immer nur gefickt. Der ewige Selbstverwöhner am fremden Objekt wird zum zarten, hingebungsvollen Verehrer. Sie schläft, er spricht - die Kommunikation klappt reibungslos. Nacht für Nacht kehrt nun Esel ein bei Jungfrau; er staffiert das öde Zimmerchen mit einem Väschen, Blumen, ein paar Bildern aus. Er legt sich neben die Schweißüberflossene, schamhaft in der Unterhose und erzählt ihr sein Leben, sein Denken. Sie döst einfühlsam zustimmend.
Und - wie nicht!!! - auch die Sonntagsglosse, welche Pferdesel bei seinem Neunzigsten fast schon eingestellt hätte, gewinnt, blüht auf, wird wieder Kult! Die Jugend der Stadt zwischen Hafenkaschemme und Stadtplatz reißt sie sich aus den Händen, das Radio verliest sie, alle Liebeskranken erkennen sich wieder in Esels allwöchentlichen Leidenschaftsbulletins. Die wortarme Verständigung mit dem Naturnymphchen führt zu einem unerwarteten Triumph der Wortgewalt. Wer mit dem Penis schreibt, hat keine Handschrift, ein jeder kann ihn verstehen! Es gibt Verwicklungen am Ende, damit überhaupt ein Ende ist: Mord im Puff, Gewitter, Schließung des Ladens, Rückkehr des Mädchens als aufgetakelte Frau, Ende der Liebe, Ende des Lebens, 91. Geburtstag!
Das Buch ist winzig wie ein Schnapsglas Sirup - allzu schwer, als dass mans könnt ertragen.
GUSTAV SEIBT
GABRIEL GARCÍA MÁRQUEZ: Erinnerung an meine traurigen Huren. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2004. 160 Seiten, 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Nur einen in jeder Hinsicht kleinen Roman hat dieser große, nobelpreisdekorierte Garcia Marquez da fabriziert, konstatiert Iris Radisch, die auf den "traurigen Herrenreiter" nicht ganz so gut zu sprechen ist. Von der Bordell-Idylle "väterlicher Galan, junge Knospe" seiner Autobiografie sei die "Erinnerung an meine traurigen Huren" nur "zwei melancholische Tangoschritte" entfernt. "Melancholisch" ist der greise, aber noch arg virile Held, der sich zum 90. Geburtstag eine Jungfrau schenken will, weil er als mittelprächtiger Journalist gerne um das "Vertane und Versäumte" trauert. Neu, also "zwei Tangoschritte" von der Autobiografie entfernt, ist die Mischung aus "Machismus und Absurdismus", die Iris Radisch in der Geschichte ausgemacht hat: als der geriatrische Geile auf die ständig schlafende 14-jährige Kinderhure trifft, die ihm seinen Geburtstagswunsch erfüllen könnte, besteigt er sie wider Erwarten nicht, sondern schaut sie nur an. Der Alte erlebt seine "erste Liebe". Die Liebestheorie des Romans fasst die Kritikerin spöttisch so zusammen: "nur eine stumme Frau ist eine gute Frau". Aber am Ende ist sie doch gnädig mit dem großen Literaten. Die "kalkulierte Absurdität" des Büchleins schützt es trotz der "alterserotischen Folklore" letztlich davor, eine Verherrlichung des Alters zu werden, meint die Rezensentin, die erleichtert resümiert: "Zur zarten schlüpfrigen Liebesschnulze, zu der das Werk immer wieder beherzt Anlauf nimmt, fehlt ihm erfreulicherweise auf Dauer der Elan".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine Meditation auf den Tod und die Unlust, Abschied von dieser Welt zu nehmen.« Kirsten Knipp NZZ