Glücklich oder unglücklich verliebt, Schicksalsschläge, Lebenskrisen, die Suche nach dem eigenen Weg, Menschen, die auf Abwege geraten sind: Es gibt keine Garantie im Leben, dass man von schlimmen Erfahrungen verschont bleibt. Das beschreiben diese fünf intensiven Erzählungen, die gleichzeitig von schwebender Leichtigkeit sind und am Ende immer harmonisch aufgelöst werden, denn sie zeigen: Gerade in der tiefsten Sackgasse lässt sich das Glück erfahren.
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buecher-magazin.deIn einer Sackgasse sitzt in Banana Yoshimotos Erzählband nur die Hauptfigur der Titelgeschichte. Sie sitzt dort buchstäblich wie sinnbildlich: Zum einen heißt so die Kneipe, in der sie arbeitet, zum anderen weiß sie nicht, wie es weitergehen soll, nachdem ihr Verlobter sie verlassen hat. Das Personal der anderen vier Erzählungen kommt durchaus gut voran. So entdecken zwei junge Menschen in einem Geisterhaus die Liebe, und eine Lektorin schließt nach einem traumatischen Erlebnis Frieden mit ihrer Mutter. Yoshimoto erzählt dies alles in ihrem üblichen Plauderton, der Geschlechtsakte und Giftattentate genauso unbeschwert verhandelt wie Brötchenbacken und Eintopfessen. Allen Erzählungen ist gemein, dass sie von Entscheidungen handeln. Bezeichnenderweise ist die unbefriedigendste dieser Geschichten die, deren Protagonistin als eine Kunstfigur entlarvt wird, deren Schicksal von einer emotionslosen Schriftstellerin gelenkt wird. Und dass diese Geschichte so unbefriedigend ist, mag System haben, denn Yoshimoto will vor allem eins sagen: Wir haben unsere Schicksale selbst in der Hand. Die schlechtesten Entscheidungen sind die, die gar nicht getroffen werden. Denn die führen in die Sackgasse.
© BÜCHERmagazin, Andreas Neuenkirchen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2018Aufgehäufte Ginkgoblätter
Glücksexerzitien: Banana Yoshimotos Erzählungen
Die 1964 geborene Japanerin Banana Yoshimoto sorgte Ende der achtziger Jahre mit am Mädchen-Manga orientierten Werken wie "Kitchen", "Tsugumi" oder "Dornröschenschlaf" für Aufsehen. Im späteren Werk sind die küchenphilosophischen Gedanken und popkulturellen Märchen über Lebensangst und Nostalgie, Narzissmus und das Moratorium der Jugend ausgereifter. So erweiterte der sehr persönliche Erzählband "Erinnerungen aus der Sackgasse" 2003 das Liebesleidmotiv um spirituell-buddhistische Themen. Jetzt ist er auf Deutsch erschienen. Diese Ratgeber- und Heilungsliteratur kreist kathartisch um Übersinnliches und Sinnlichkeit, Erkennen wahrer Bedürfnisse, Glücksexerzitien und Gedanken über Zeit und Zen.
Die postmoderne weicht einer nunmehr zenbuddhistischen Leere. Zwischen Traum und Trauma sind Yoshimotos junge Helden im Lebens- und Liebeslabyrinth Verirrte oder im Räderwerk der Leistungsgesellschaft Zerriebene. Sie erleiden oft einen Totalcrash des vorprogrammierten Lebens durch Initiationserfahrungen und Erleuchtungserlebnisse. In der Erzählung "Maamaaa!" überlebt eine Verlagsangestellte nur knapp einen Giftanschlag in der Firmenkantine. Angesichts dieser Grenzerfahrung lässt sie Kollateralschäden des Lebens und Liebesdefizite ihrer schwierigen Kindheit Revue passieren. Das nächtliche Krankenhaus ("Es schwebte in der Dunkelheit wie ein Muster aus pechschwarzen und hellerleuchteten Fenstern") ist ein selbstvergessenes Universum. Die Geschichte endet nach einem bittersüß-wahrhaftigen Traum mit dem Antidot der Tränen, von denen das Gift von Gestern und Gegenwart gemeinsam weggespült wird. Hingetuschte Sätze wie "Die Wolken waren langgestreckt, wie sanft mit breitem Pinsel gezogen" lassen die Schöpfung neu erspüren. Gerade Gedankenspiele wie der postume Trost, dass Hinterbliebene in der von ihr hinterlassenen Szenerie und im von ihr ausgehöhlten Raum, der "schimmerte und glänzte wie eine große Kostbarkeit", weiterleben würden, geben der Heldin neue Lebensenergie.
"Überhaupt nicht warm" entlarvt Scheinidyllen der Tradition. Für Yoshimoto typisch ist die spirituell hypersensible Freundesfigur, hier der Nachbarjunge der Erzählerin. Dieser Makoto erinnert in seiner tragischen Rolle an einen "Little Buddha". Als uneheliches Kind des Patriarchen einer alten Gschäftsfamilie ist er "überschüssig". Yoshimotos mehrfach in sich gespiegelte Prosa meditiert über die funkelnde Venus und Glühwürmchen, die Illusion des in fremden Häusern wärmer scheinenden Lichts, ausstrahlende Herzen und universelles Korrelieren allen Seins. Und auch die Parabel "Tomos Glück" behandelt innere und äußere Landschaften. Nach einem traumatischen Jugenderlebnis spürt Tomo die Augen einer Macht, die auf ihr ruhen. Von der regenerierenden Schutzkraft der belebten Natur (Glanz der Nacht, Wind und Fixsterne) wird die Heldin umfangen und "in den Arm genommen".
Banana Yoshimoto erweist sich als fintenreiche Entfesselungskünstlerin aus den Ränkespielen der Schicksalsfäden. In "Erinnerungen aus der Sackgasse" trifft die Heldin Mimi anlässlich eines Überraschungsbesuchs bei ihrem Verlobten auf dessen Geliebte. Statt gleich wieder heimzufahren, nimmt sie eine Auszeit in der ihr fremden Stadt, in einem Haus in einer Sackgasse, in dem sich eine Kneipe namens "Sackgasse" befindet. Die Geschichte über Anhaften und Loslassen, Hassen und Verzeihen lebt von Gesprächen mit dem Barkeeper Nishiyama, der seinerseits als Kind unter Hausarrest und Unterernährung litt.
In Häutungsprozessen der Herzen lernen Yoshimotos Helden, wieder verwundbar zu sein. Aus dem Blick in den Abgrund durch den "Filter des Kummers" in "dieser Stadt, in der ich ein Niemand bin", resultiert Selbstfindung, Abgrenzung und die befreiende Kraft der Achtsamkeit. Das Mysterium vergehender Zeit und Liebe wird in Bilder wie das der "stillen, goldenen Welt der schier endlos aufgetürmten Ginkgoblätter" gekleidet, durch die die Helden wie Kinder stapfen.
"Das Geisterhaus" erzählt eine Liebe in prekären Zeiten der Rezession zweier im Gastgewerbe tätiger junger Menschen. Verstorbene Stammgäste kehren als kulinarische Wiedergänger wieder. Die Non-Profit-Liebe zur Magie der Patisserie als Glücksrezept für ein erfülltes Leben wird Geschäftsgrundlage für eine Kommunion mit den Kunden. Trotz eines gewissen Ratgeberduktus beschwört Yoshimoto eine spirituelle Stufe, jenseits der die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, Individuum und Universum überwunden werden: "Auf den ersten Blick schlichte Menschenleben", schreibt sie, seien wir alle "Teil des gigantischen Flusses, der den Abenteuern auf den sieben Weltmeeren gleichkommt".
STEFFEN GNAM
Banana Yoshimoto: "Erinnerungen aus der Sackgasse". Fünf Erzählungen.
Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Mit einem Nachwort der Autorin. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 288 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Glücksexerzitien: Banana Yoshimotos Erzählungen
Die 1964 geborene Japanerin Banana Yoshimoto sorgte Ende der achtziger Jahre mit am Mädchen-Manga orientierten Werken wie "Kitchen", "Tsugumi" oder "Dornröschenschlaf" für Aufsehen. Im späteren Werk sind die küchenphilosophischen Gedanken und popkulturellen Märchen über Lebensangst und Nostalgie, Narzissmus und das Moratorium der Jugend ausgereifter. So erweiterte der sehr persönliche Erzählband "Erinnerungen aus der Sackgasse" 2003 das Liebesleidmotiv um spirituell-buddhistische Themen. Jetzt ist er auf Deutsch erschienen. Diese Ratgeber- und Heilungsliteratur kreist kathartisch um Übersinnliches und Sinnlichkeit, Erkennen wahrer Bedürfnisse, Glücksexerzitien und Gedanken über Zeit und Zen.
Die postmoderne weicht einer nunmehr zenbuddhistischen Leere. Zwischen Traum und Trauma sind Yoshimotos junge Helden im Lebens- und Liebeslabyrinth Verirrte oder im Räderwerk der Leistungsgesellschaft Zerriebene. Sie erleiden oft einen Totalcrash des vorprogrammierten Lebens durch Initiationserfahrungen und Erleuchtungserlebnisse. In der Erzählung "Maamaaa!" überlebt eine Verlagsangestellte nur knapp einen Giftanschlag in der Firmenkantine. Angesichts dieser Grenzerfahrung lässt sie Kollateralschäden des Lebens und Liebesdefizite ihrer schwierigen Kindheit Revue passieren. Das nächtliche Krankenhaus ("Es schwebte in der Dunkelheit wie ein Muster aus pechschwarzen und hellerleuchteten Fenstern") ist ein selbstvergessenes Universum. Die Geschichte endet nach einem bittersüß-wahrhaftigen Traum mit dem Antidot der Tränen, von denen das Gift von Gestern und Gegenwart gemeinsam weggespült wird. Hingetuschte Sätze wie "Die Wolken waren langgestreckt, wie sanft mit breitem Pinsel gezogen" lassen die Schöpfung neu erspüren. Gerade Gedankenspiele wie der postume Trost, dass Hinterbliebene in der von ihr hinterlassenen Szenerie und im von ihr ausgehöhlten Raum, der "schimmerte und glänzte wie eine große Kostbarkeit", weiterleben würden, geben der Heldin neue Lebensenergie.
"Überhaupt nicht warm" entlarvt Scheinidyllen der Tradition. Für Yoshimoto typisch ist die spirituell hypersensible Freundesfigur, hier der Nachbarjunge der Erzählerin. Dieser Makoto erinnert in seiner tragischen Rolle an einen "Little Buddha". Als uneheliches Kind des Patriarchen einer alten Gschäftsfamilie ist er "überschüssig". Yoshimotos mehrfach in sich gespiegelte Prosa meditiert über die funkelnde Venus und Glühwürmchen, die Illusion des in fremden Häusern wärmer scheinenden Lichts, ausstrahlende Herzen und universelles Korrelieren allen Seins. Und auch die Parabel "Tomos Glück" behandelt innere und äußere Landschaften. Nach einem traumatischen Jugenderlebnis spürt Tomo die Augen einer Macht, die auf ihr ruhen. Von der regenerierenden Schutzkraft der belebten Natur (Glanz der Nacht, Wind und Fixsterne) wird die Heldin umfangen und "in den Arm genommen".
Banana Yoshimoto erweist sich als fintenreiche Entfesselungskünstlerin aus den Ränkespielen der Schicksalsfäden. In "Erinnerungen aus der Sackgasse" trifft die Heldin Mimi anlässlich eines Überraschungsbesuchs bei ihrem Verlobten auf dessen Geliebte. Statt gleich wieder heimzufahren, nimmt sie eine Auszeit in der ihr fremden Stadt, in einem Haus in einer Sackgasse, in dem sich eine Kneipe namens "Sackgasse" befindet. Die Geschichte über Anhaften und Loslassen, Hassen und Verzeihen lebt von Gesprächen mit dem Barkeeper Nishiyama, der seinerseits als Kind unter Hausarrest und Unterernährung litt.
In Häutungsprozessen der Herzen lernen Yoshimotos Helden, wieder verwundbar zu sein. Aus dem Blick in den Abgrund durch den "Filter des Kummers" in "dieser Stadt, in der ich ein Niemand bin", resultiert Selbstfindung, Abgrenzung und die befreiende Kraft der Achtsamkeit. Das Mysterium vergehender Zeit und Liebe wird in Bilder wie das der "stillen, goldenen Welt der schier endlos aufgetürmten Ginkgoblätter" gekleidet, durch die die Helden wie Kinder stapfen.
"Das Geisterhaus" erzählt eine Liebe in prekären Zeiten der Rezession zweier im Gastgewerbe tätiger junger Menschen. Verstorbene Stammgäste kehren als kulinarische Wiedergänger wieder. Die Non-Profit-Liebe zur Magie der Patisserie als Glücksrezept für ein erfülltes Leben wird Geschäftsgrundlage für eine Kommunion mit den Kunden. Trotz eines gewissen Ratgeberduktus beschwört Yoshimoto eine spirituelle Stufe, jenseits der die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, Individuum und Universum überwunden werden: "Auf den ersten Blick schlichte Menschenleben", schreibt sie, seien wir alle "Teil des gigantischen Flusses, der den Abenteuern auf den sieben Weltmeeren gleichkommt".
STEFFEN GNAM
Banana Yoshimoto: "Erinnerungen aus der Sackgasse". Fünf Erzählungen.
Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Mit einem Nachwort der Autorin. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 288 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Was für ein Talent! Banana Yoshimoto schreibt wunderbar subtile, wundersam verstörende Bücher, in denen Japans Jugend endlich Stimme bekommt.« Stern Stern