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Erfolgreiche Vorgänger grüßen: Richard David Precht legt den ersten Band seiner "Geschichte der Philosophie" vor
Richard David Precht hat als Buchautor bisher einigen Erfolg gehabt, ist aber bei den Kritikern überwiegend durchgefallen. Psychologisiert allzu sehr, wer den Entschluss des promovierten Germanisten, nunmehr die Geschichte der abendländischen Philosophie in drei Bänden einer breiteren Leserschaft zu vermitteln, auch als Reaktion auf seinen Ruf deutet, bisher mit allzu leichtem Tornister durch die Welt des Geistigen spaziert zu sein?
Das Unternehmen hat erfolgreiche Vorgänger. Hans Joachim Störigs "Kleine Weltgeschichte der Philosophie" erreichte eine Auflage von einer Million Exemplaren, die Bände von Karl Vorländer dürften noch aus Studienzeiten auf einigen Regalen stehen, und Bertrand Russells einbändige "Philosophie des Abendlandes" nennt Precht selbst einen "fulminanten Klassiker".
Precht stellt sich die Aufgabe, keine Lehrgebäude zu referieren, sondern - mit einer Formulierung Kants - eine "philosophierende Geschichte der Philosophie" zu schreiben. Das bedingt Auswahl und Akzentuierung. Die vorgestellten Denker hätten nicht zuletzt immer wieder versucht, Sinnstiftung und Erklärung miteinander zu verbinden. Das kann man auf die Polarität von Mythos und Logos bringen, die je für sich nicht fruchten - aber auch auf den "Spagat zwischen der Poesie des Herzens und der Prosa der Verhältnisse"?
Nicht als erster sucht Precht das Denken in die sozialen und politischen Verhältnisse einzubinden, und in der Tat kann man weder die sogenannten Vorsokratiker noch Platon, Aristoteles oder die Stoiker abgetrennt von ihrer Lebenswelt verstehen. Diese Skizzen sind dem Autor allerdings reichlich grob geraten, und vieles ist auch einfach falsch. So waren die antiken Griechen nicht generell arbeitsscheu, Sparta war keine Militärdiktatur und die athenische Demokratie kein Spielball einflussreicher Clans und Familien, die sich durch Geschenke Gunst und Ämter kauften. Auch entschieden keineswegs in jedem Prozess wie in dem gegen Sokrates 501 Geschworene, und es ist besser, über die Gründe für die Christenverfolgungen im Römischen Reich nichts zu wissen als das, was hier angeführt wird.
Die Philosophie selbst ist bekanntlich diffizil. Als Nichtspezialist aus den Bruchstücken der frühesten Denker oder den so widersprüchlichen Schriften Platons schlau zu werden kann fast unmöglich erscheinen, und Prechts Ringen ist aller Ehren wert. Es dürfte aber kaum zwingend sein, aus Protagoras' Formel vom Menschen als Maß aller Dinge abzuleiten, dass demnach nicht die Qualität einer Aussage deren Wahrheitsgehalt bestimme, sondern allein die Quantität derjenigen, die ihr zustimmten.
Anregend ist Precht dann, wenn er intellektuelle oder performative Muster benennt, die sich bis heute erhalten haben, im "Fortsetzungsroman der immer gleichen großen Fragen in ihren jeweils neuen Zeitgewändern". Heraklit als Prototyp des selbstbewussten, der Welt entsagenden Durchblickers, damit zugleich Anfangspunkt für die Hybris der Philosophie. Parmenides, der als Erster nicht allein auf den Erkenntnisgegenstand blickt, sondern das Bewusstsein des Erkenntnissubjekts einbezieht. Platon mit seinem Anspruch, durch das Wort die Welt und vor allem die Welt dahinter freizulegen. Die Rolle der sinnlichen Wahrnehmung für die Erkenntnis oder der Natur für die Ethik. Oder das Verlangen nach absoluter Konsistenz bei einem Philosophen: "Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit ist etwas für schlichte Gemüter." Die Ethik: ein Herrschaftsgebiet der Ausnahmen über die Regel. Diogenes im Fass: Begründer der fortwirkenden Auffassung von Philosophie als Provokation. Epikur: Konzept der Philosophie als praktische Lebenshilfe.
Bisweilen gelingen dem Autor anschauliche Analogien; so charakterisiert er Platons Dialoge treffend als Verbindung von Weisheitslehre, Redekunst und Theater und nennt sie Retro-Talkshows, wie wenn sich Adorno mit John Ford und Billy Wilder über das Kino oder mit Sartre und Russell über die Gerechtigkeit austauschte. Oder: War für Platon die Welt eine große Kugel, so für Aristoteles ein Apothekerschrank mit vielen Fächern. Die Philosophie im Hellenismus: überwiegend Selbstoptimierung und Lebenshilfe oder Totalverweigerung und Hippietum, nachdem der Entwurf einer besseren Welt obsolet geworden war - wie bei den Achtundsechzigern.
Selbstverständlich weiß Precht, was er seinen lesenden Zuschauern auch schuldet. So wird der Manichäismus aktualisierend zum "neuesten Update aus dem abrahamitischen Religionsspeicher", gibt es Kalenderweisheiten - "Der Fluss des Lebens ist kein Kanal" - sowie subtile und weniger subtile Bekenntnisse. Die fallen allerdings erwartbar aus. Geld und Schulden sind tendenziell schlecht, die Deutsche Bank sollte sich schämen, das "eiserne Räderwerk des Kapitalismus" wird bemüht, Psychologie ist Mythologie ohne Götter, Augustinus hat die Menschen mit seiner Schuld- und Gnadenphilosophie über ein Jahrtausend lang der Herrschaft einer machtbesessenen Kirche unterworfen, durch die Erbsündenlehre zudem das Fleisch verteufelt und Millionen Menschen traumatisiert.
Das Mittelalter: auch sonst finster, fast nur intellektuelle Versteppung, mit Reichsbildungen durch kriminelle Horden. Und was unterscheide die IS-Schwadronen vom Terrorstaat Saudi-Arabien, außer dass dieser schon vor Jahrzehnte zu Ende brachte, was jene gerade erst versuchten?
Man findet aber auch interessante Diagnosen. Der radikale Skeptizismus der nachplatonischen Akademie erinnert Precht etwa an den französischen Poststrukturalismus: Arkesilaos' Ununterscheidbarkeit der Dinge entspreche Derridas Arbitrarität sprachlicher Ausdrücke. Die neuzeitliche Variante, unpolitisch und prätentiös, habe ihre Schüler "als Zyniker in Werbeagenturen und Feuilletons" verteilt. Vielleicht werden von einem öffentlichen Intellektuellen heute solche Leichthändigkeiten erwartet. Und wenn jemand wegen des Autors zu dem Buch greift und lesend etwas von den alten griechischen Denkern mitnimmt, ist zumindest kein Schaden entstanden.
UWE WALTER
Richard David Precht: "Erkenne die Welt". Geschichte der Philosophie I.
Goldmann Verlag, München 2015. 576 S., Abb., geb., 22,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
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