Woran kann man glauben? Darf der moderne Mensch auf Erlösung hoffen? Hat Jesus noch eine besondere Bedeutung?
Es sind grundlegende Fragen an das Christentum von heute, die der amerikanische Religionssoziologe Peter L. Berger in seinem neuen Buch stellt. Er hinterfragt aus einer skeptischen Grundhaltung heraus die wesentlichen Aussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses und stellt diese in einen Diskurs mit verschiedenen Strömungen innerhalb der Theologie und mit Positionen moderner Denker von Sigmund Freud bis Simone Weil.
In Bergers kritischer und anregender Auseinandersetzung mit Grundfragen des Christentums schimmern stets seine ganz persönlichen Antworten durch, die zeigen, wie man als moderner Mensch und kritischer Christ in einer pluralen Gesellschaft dennoch glauben kann.
Dieser Titel ist die Übersetzung des in den USA und in Großbritannien erfolgreichen Buches "Questions of Faith" (Blackwell Publishers, 2004).
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Der Religionssoziologe Peter L. Berger bringt Gott zur Raison
Religion ist eine hoch-politische Angelegenheit geworden. Auskünfte über den Islam sind derzeit sehr gefragt. Wie aber steht es mit dem Christentum? Der Religionssoziologe Peter L. Berger klärt uns auf.
Es war nicht alles schlecht: Fällt auch die Erfolgsbilanz von vierzig Jahren "real existierendem Sozialismus" in Ostdeutschland sonst eher mager aus, in puncto Entkirchlichung hat er, wie man sich auch im Jahr 2007 leicht überzeugen kann, anständige Arbeit geleistet. Das schaffen wohl nur die Deutschen. Denn diesen Befund zu generalisieren und abendländisch müde von einer Krise des christlichen Glaubens zu sprechen, entspräche ganz und gar nicht dem europäischen oder globalen Befund: Das Christentum ist, besonders dynamisch in einer pfingstlerischen Variante, auf dem Vormarsch.
Aufgabe des Religionssoziologen ist es, diesen Befund - und andere, wie eine bunte kirchenfreie postmoderne "Spiritualität" oder die alltägliche Begegnung des Christentums mit anderen Religionen - darzustellen sowie Gründe, Bedingungen und Konsequenzen zu analysieren. Wenn er sich aber von dem Phänomen herausfordern lässt, selbst zu sagen, was er glaubt und hofft, verlässt er den Schutz der eigenen Profession.
Peter L. Berger, einer der international führenden Vertreter seines Faches seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts und heute Professor emeritus der Boston University, hat mit dem vorliegenden Band, der 2003 auf Englisch erschien, diese Grenze bewusst überschritten. Es geht also (leider) nicht um Hilfestellung der Soziologie für die Theologie. Auch so könnte Interdisziplinarität ja einmal laufen. Nein, Berger will ein Stück "Laientheologie" liefern, in Form einer Kommentierung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Früher nannte man das "Katechismus" oder "Kurzgefasste Dogmatik". In unserer globalisierten Zeit, die durch vielfältige und auch religiöse Wahlmöglichkeiten, ja den "Zwang zur Häresie" (so der Titel einer früheren Monographie Bergers) bestimmt ist, kann der Gestus des Autors aber nicht das einfache Dekretieren oder das Ehrfurcht gebietende "Wir" von Tradition und Institution sein. Kommentierung bedeutet nicht nur Wahrnehmung und Übernahme, sondern auch Auseinandersetzen und Verwerfen. "Nein danke!" und "Uninteressant" lauten denn auch wiederholt die abschließenden Stellungnahmen zu dieser oder jener Aussage aus Bekenntnis oder Bibel.
Die Provokation wirkt etwas altbacken, aber sie macht, wie das Buch insgesamt, immerhin deutlich, dass jeder für sein Glauben oder Nichtglauben selbst einstehen muss und kann. Gerade für westliche Intellektuelle, die nach Feierabend gelegentlich gern in den Wonnen des Mysteriums, der Tradition oder der lateinischen Liturgie baden, vielleicht keine ganz überflüssige Erinnerung. Das alles schmeckt sehr protestantisch, und Berger bekennt sich auch gleich zu Beginn zu einem liberalen (eher lutherischen als reformierten) Protestantismus à la Schleiermacher. Fernsehpredigerfanatismus, Puritanismus, religiös verbrämter Imperialismus oder wie man sich in Europa sonst "typisch" amerikanisches Christentum vorstellen mag - von alldem aber findet sich bei Berger nichts. Kriterien zur Auswahl aus dem Angebot der Tradition sind neben einer gewissen logisch-intellektuellen Plausibilität besonders der "Nexus" zwischen Tradition und eigener Wahrnehmung ("Ja, ja - das passt!"), der Glaube an das Gute in Gott ("Glauben heißt, auf den letzten Wert der Freude zu setzen") und der Blick auf die absehbaren gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen dieser oder jener Haltung. Was bleibt auch anderes übrig, solange man sich nicht auf eine revelatio specialissima berufen kann? Es ist die große Redlichkeit der in diesem Buch vorgeführten Subjektivität, dieser Versuchung nicht einmal im Ansatz zu erliegen.
Bei seinen Lesern setzt Berger ausdrücklich nur ein "Interesse" für Religion voraus: "Religion impliziert, dass die Wirklichkeit für den Menschen einen Sinn ergibt. Es ist der wagemutigste Gedanke, den die Menschen je gedacht haben." Theologie ist viel zu großartig, als sie allein dem Gespräch zwischen Fachleuten und Funktionären des Glaubens zu überlassen. Tatsächlich wird das Buch vor allem die erreichen, die sich mit der ihnen vertrauten christlichen Tradition kritisch, aber fair auseinandersetzen wollen. Es handelt sich um eine Apologie. Dabei sucht die Darstellung immer wieder das Gespräch mit der Theologie als Wissenschaft, sowohl mit den Klassikern wie Origenes, Augustin, Luther, Barth, Bultmann oder Tillich als auch mit neueren Ansätzen wie demjenigen John Hicks.
Im Laufe der Darstellung erliegt der westliche Protestant Berger dann aber doch zwar nicht dem Charme des Papstes, wohl aber dem von orthodoxer Theologie und Liturgie und begründet dies mit dem stärker "therapeutischen" als "juristischen" Ansatz der ostkirchlichen Soteriologie. Das wirkt ein bisschen lebensblass und ist nach eigener Angabe auch hauptsächlich aus John Meyendorffs Darstellung "The Orthodox Church" von 1962 geschöpft. Ob etwa ein junger Grieche des Jahres 2007 bei dem Stichwort "Orthodoxie" spontan an schuldarme Lebensfreude denken würde?
Ein besonderes Augenmerk gilt jüdischen Positionen zum "Gottesgedanken nach Auschwitz", den Berger mit viel theologischer und menschlicher Sensibilität nicht einfach durch eine Leidenschristologie gerettet sieht. Elie Wiesels Zeugnis vom Gott, der am Galgen des KZ stirbt, taugt nicht zur bequemen Affirmation christlicher Theologie. Theodizee - das Bekenntnis zur Gerechtigkeit Gottes - kann nach dem Holocaust überhaupt nur mehr ein "Stammeln" sein.
Die Ergebnisse der kritischen und zunächst ganz überwiegend protestantischen Bibelwissenschaft seit dem achtzehnten Jahrhundert - "ein Akt beeindruckenden intellektuellen Mutes" - werden zwar immer wieder beschworen, doch ist der theologisch hoch gebildete Autor auf diesem Ohr tatsächlich merkwürdig taub. So werden die zum Teil unser historisches Wissen umwälzenden Ergebnisse der letzten dreißig Jahre Exegese wenig zur Kenntnis genommen und jedenfalls in ihrer systematisch-theologischen Bedeutung nicht erfasst; dass dies auch im Haus der Fachtheologie gelegentlich passiert, ist keine Entschuldigung und kein Trost. Die Entwicklung der Trinitätslehre entnimmt Berger einfach aus Harnacks Dogmengeschichte: Wozu dann all die Mühen, mag da ein junger Patristiker fragen.
Für die Entwicklung der frühen Christologie wird - was Register und Literaturverzeichnis gnädig verschweigen - auf Wilhelm Boussets "Kyrios Christos" von 1913 verwiesen, das "immer noch eine zuverlässige Quelle scheint" - Unsinn! Ein Verlag mit theologischem Lektorat hätte an solchen Stellen gerade aus Respekt vor dem Autor eingreifen müssen, ebenso wie bei manchen Übersetzungsschnitzern wie den "Apostelvätern", "Antinomianismus", dem wiederholt angerufenen "jüdischen Recht" (es geht um das Gesetz, die Tora) oder dem "bischöflichen Gottesdienst" (gemeint ist der anglikanische - "episcopal" - Gottesdienst).
Für "politisch Korrektes", "Feministisches" und dergleichen hat Berger wenig Sympathie. Vor dem "Weltethos" schaudert es ihm. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Religion als Trittleiter für Moral ihm ein brüchiges und in manchen Konsequenzen fatales Konstrukt wäre. Die Ethik Jesu scheint ihm wenig Originelles zu enthalten; die Anwendung der Bergpredigt als Programm gesellschaftlichen Handelns sieht er als gemeingefährlich an. Bei aller Sympathie für das sich damit aussprechende theologische Interesse: "Religion" - die christliche seit ihren Anfängen - ist eben immer auch "für Moral gemacht" (H. Grönemeyer); und neben seinen Bildungsbemühungen hat das Christentum zu allen Zeiten vor allem durch seine Diakonie als gewaltfreie Glaubenspraxis angezogen.
Gewiss, der christliche Glaube induziert auch für den Autor durchaus eine Ethik: In einem Exkurs "Über christliche Moral" mustert Berger daraufhin einige politische und gesellschaftliche Problemfelder: Sklaverei, Todesstrafe, während etwa das Gebiet der Sexualmoral den Protestanten nicht umzutreiben scheint. Doch "ein spezifisch christliches din" (das arabische Wort für Religion und Gesetz) gibt es nicht. Und wie der Theologe Frederick Neumann dargelegt habe, trete das Gewissen des Individuums nicht als Normgeber auf - "tu das" oder "tu das nicht!" -, sondern als freundlicher Berater: "Sieh dir das an." Von so viel zurückhaltender Höflichkeit in Bezug auf Verhaltensnormen könnten der Gott vom Sinai, der Gottessohn auf dem Berg, aber auch der Denker aus Königsberg, viel lernen.
In der Tat ist Bergers Gott einer voll Menschenfreundlichkeit und Liebe. Ohne die Annahme eines satanisch-universalen Widersachers kommt ein solcher Glaube, will er der Erde treu bleiben, nicht aus. Und Berger ist konsequent, und an diesem Punkt sehr biblisch und traditionell. Die Weltgeschichte ist ein Kampf, erst das Eschaton bringt den Sieg des Guten. Ganz wie Paulus in 1. Korinther 15 denkt Berger den Widersacher in eins mit dem Tod als dem "letzten Feind". Nicht nur der gewaltsame und vorzeitige, sondern auch der sogenannte "natürliche" Tod ist ein Skandal, der nicht nur den Menschen, der sein Schicksal ahnt - "wie er es befürchtet hatte von Anbeginn" (P. Roth) -, sondern die ganze Schöpfung betrifft.
Zu Recht wird in diesem Zusammenhang an den schwäbischen Theologen Karl Heim (1874 bis 1958) erinnert, einen frühen, heute zu wenig beachteten Wegbereiter eines Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Ein Glaube, der das Individuum ernst nimmt und trösten will, muss sich einfach an die Auferstehung (in welcher Form auch immer) klammern. In dieser Weigerung, in den Tod einzuwilligen, und sei der Betreffende auch "alt und lebenssatt", wirkt die Argumentation des Buches so jugendlich, wie sie sonst oft mit abgeklärtem, mildem Humor einnimmt.
Wer einmal wieder, wie vielleicht zuletzt mit siebzehn, sich seinen christlichen Glauben "zurechtlegen" will, findet in Berger einen offenen, kompetenten und humorvollen Dialogpartner. So sollen Großväter sein.
HERMUT LÖHR
Peter L. Berger: "Erlösender Glaube?" Fragen an das Christentum. Aus dem Amerikanischen von Dorte Huneke und Joachim Kalka. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2006. 220 S., br., 19,95 [Euro].
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Paul M. Zulehner in: Stimmen der Zeit 2/2009
"Wer einmal wieder, wie vielleicht zuletzt mit siebzehn, sich seinen christlichen Glauben "zurechtlegen will, findet in Berger einen offenen, kompetenten und humorvollen Dialogpartner."
Hermut Löhr in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung 8/2007
"Berger bringt in höchst lesenswerter Form die traditionellen Antworten mit denen der modernen Theologie und moderner Denker ins Gespräch."
Buchhändler heute, 5/2007
"[...] eine luzide Antwort, die auf einer kreativen Spannung zwischen Glauben und Skepsis beruht!"
Theo-Web 6/2007
"Das Buch empfiehlt sich Lesern, die zu glauben nur glauben; aber auch solchen, die nicht mehr zu glauben glauben."
Neue Zürcher Zeitung, Dezember 2006
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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