Überall wird im öffentlichen Diskurs heute auf Befindlichkeiten Rücksicht genommen: Es werden vor Gefahren wie »expliziter Sprache« gewarnt, Schreibweisen mit Binnen-I empfohlen, dritte Klotüren installiert. Es scheint, als habe der Kampf um die korrekte Bezeichnung und die Rücksicht auf Fragen der Identität alle anderen Kämpfe überlagert. Robert Pfaller, Autor des Bestsellers »Wofür es sich zu leben lohnt«, fragt sich in »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur«, wie es gekommen ist, dass wir nicht mehr als Erwachsene angesprochen, sondern von der Politik wie Kinder behandelt werden wollen. Steckt gar ein Ablenkungsmanöver dahinter? Eine politische Strategie? Es geht darum, als mündige Bürger wieder ernst genommen zu werden - doch dann sollten wir uns auch als solche ansprechen lassen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2017Ein Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht?
Die Dinge wieder beim Namen nennen: Robert Pfaller wütet gegen Genderwahn und Antidiskriminierung
"Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Menschen mit der größten Selbstverständlichkeit in Armut und Aussichtslosigkeit getrieben werden und in der man zugleich Erwachsene vor Erwachsenensprache warnt. Das eine hängt offenkundig mit dem anderen zusammen: Denn es sind dieselben Mächte, die das eine und das andere vorantreiben." Könnte es tatsächlich sein, dass die ganze Antidiskriminierungs-, Gleichstellungs-, Gender- und Queer-Politik nur ein riesiges Ablenkungsmanöver ist? Eine Verschwörung der Profiteure von Neoliberalismus und Austeritätspolitik?
Robert Pfaller, Autor dieser starken Thesen, ist Professor für Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Volkswirtschaftler mögen sich hier mit Grausen abwenden, aber als Philosoph kann man Pfaller seine empirisch unterkomplexe Attacke auf den Kapitalismus durchgehen lassen. Wer ihm in der Ausgangsthese nicht folgen kann, braucht dieses Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen. Pfallers Stärke liegt in Anklage und Provokation. Differenzierung, statistische Belege, Zahlen oder der historische Vergleich sind seine Sache nicht. Ob in den Vereinigten Staaten oder Volkswirtschaften wie Griechenland, Großbritannien oder Deutschland - die "Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse" sei überall eklatant. Über routinierte Forderungen nach Umverteilung von oben nach unten kommt der Autor nicht hinaus.
Pfallers Stärken liegen in seinem Erregungspotential: Solange Sozialbudgets gekürzt werden, die Reichen immer reicher werden und die Armen gegeneinander ausgespielt werden, sei es albern, politisches Engagement in der Forderung nach eigenen Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht zu erschöpfen. So eine Polemik muss man sich erst einmal trauen - in Berlin-Kreuzberg etwa sind Leute schon für weniger politische Inkorrektheit aus dem Kiez gejagt worden. Aber was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Sollen Schwule nicht heiraten dürfen, solange es immer noch Hartz IV-Empfänger gibt?
Pfaller behauptet, die Postmoderne zeichne sich - anders als die Moderne - durch ihre Politiken der Ungleichheit aus. Nicht mehr der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Teil des gesellschaftlichen Reichtums solle befriedigt werden, sondern lediglich ihrer spezifischen Empfindlichkeit eine symbolische Anerkennung widerfahren. Pfaller qualifiziert sich damit als Verschwörungstheoretiker, auch wenn dieses Theorem unter dem Etikett Verblendungszusammenhang des Kapitalismus schon länger herumspukt. Natürlich war der Kapitalismus demnach nie so blöd, einfach nur Ungleichheit zu erzeugen. Er kaschierte sie durch immer neue Masken.
Pfaller spießt deren jüngste Erscheinung in Form der Diversitätspolitik auf: Die neoliberale Gesellschaft fördere nicht die Ärmeren und Ärmsten, damit diese möglichst so gut wie alle Übrigen leben könnten. Sie fördere vielmehr immer nur Ausnahmen, um alle Übrigen getrost verkommen zu lassen. Dabei ist es doch so einfach: "Wenn man mit den Kämpfen der Diversität beginnt", so Pfaller, komme man niemals zur Gleichheit. Beginne man aber "mit der Gleichheit und gelangt zu einer Lösung, bleibt auch von den Problemen der Diversität nichts mehr übrig".
Wer die Ungleichheit und den davon profitierenden Rechtspopulismus stoppen wolle, müsse sich der Frage stellen, ob die Empörung der verarmenden Bevölkerungsgruppen einen Ausdruck finden kann - und zwar einen anderen als den der rechtspopulistischen Parteien. Zuerst müsse man dafür die Dinge wieder beim Namen nennen. Darum Pfallers Plädoyer für die titelgebende "Erwachsenensprache". Das Durchforsten von Kinderbüchern nach diskriminierenden Begriffen wie "Negerkönig" oder die Kennzeichnung literarischer Texte mit Warnungen seien Ermunterungen zur Empfindlichkeit, die die Erwachsenen infantilisiere und entsolidarisiere.
Wer sich ständig durch das Besondere diskriminiert fühlt, vergesse die Falschheit des Allgemeinen. Was wiederum von den Profiteuren dieser Falschheit beabsichtigt ist. Pfallers Anklage schwingt sich am Ende zu dem Urteil auf, dass es die infamen Sozialdemokraten und Grüne gewesen seien, die sich mit ihren wirtschaftlichen Reformen zum willfährigen Erfüllungsgehilfen der Neoliberalen gewandelt hätten. Ihre an sich begrüßenswerte Diversitäts- und Minderheitspolitik sei darum auch nur ein Täuschungsmanöver gewesen.
Das Problem von Pfallers Anklageschrift liegt darin, dass er auf die Diversitäts-Verfechter einschlägt, obwohl er doch den Kapitalismus treffen wolle. Political Correctness und Anerkennungs-Politik seien nur Masken der neoliberalen Umverteilung nach oben, während die Mehrheit der Menschen verarme. Natürlich geht Pfaller mit solchen Vorwürfen das Risiko ein, dass "der Kapitalismus" oder "die neoliberalen Eliten" davon ohnehin nicht erschüttert werden, während die in ihrem Feminismus- und Genderwahn Verblendeten es ihm übelnehmen werden, wenn er ihre "Empfindlichkeitspolitiken" für Luxussorgenproduktion erklärt, die in ihren Zielen lächerlich sei. "Größtes Pathos für kleinstes Pipifax" überschreibt Pfaller das Kapitel über die "postmodernen Pseudopolitiken" an den amerikanischen Universitäten. Es ist zu bezweifeln, dass er noch einmal eine Einladung zum Vortrag dorthin bekommt.
GERALD WAGNER
Robert Pfaller:
"Erwachsenensprache". Über ihr Verschwinden
aus Politik und Kultur.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2017.
256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Dinge wieder beim Namen nennen: Robert Pfaller wütet gegen Genderwahn und Antidiskriminierung
"Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Menschen mit der größten Selbstverständlichkeit in Armut und Aussichtslosigkeit getrieben werden und in der man zugleich Erwachsene vor Erwachsenensprache warnt. Das eine hängt offenkundig mit dem anderen zusammen: Denn es sind dieselben Mächte, die das eine und das andere vorantreiben." Könnte es tatsächlich sein, dass die ganze Antidiskriminierungs-, Gleichstellungs-, Gender- und Queer-Politik nur ein riesiges Ablenkungsmanöver ist? Eine Verschwörung der Profiteure von Neoliberalismus und Austeritätspolitik?
Robert Pfaller, Autor dieser starken Thesen, ist Professor für Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Volkswirtschaftler mögen sich hier mit Grausen abwenden, aber als Philosoph kann man Pfaller seine empirisch unterkomplexe Attacke auf den Kapitalismus durchgehen lassen. Wer ihm in der Ausgangsthese nicht folgen kann, braucht dieses Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen. Pfallers Stärke liegt in Anklage und Provokation. Differenzierung, statistische Belege, Zahlen oder der historische Vergleich sind seine Sache nicht. Ob in den Vereinigten Staaten oder Volkswirtschaften wie Griechenland, Großbritannien oder Deutschland - die "Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse" sei überall eklatant. Über routinierte Forderungen nach Umverteilung von oben nach unten kommt der Autor nicht hinaus.
Pfallers Stärken liegen in seinem Erregungspotential: Solange Sozialbudgets gekürzt werden, die Reichen immer reicher werden und die Armen gegeneinander ausgespielt werden, sei es albern, politisches Engagement in der Forderung nach eigenen Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht zu erschöpfen. So eine Polemik muss man sich erst einmal trauen - in Berlin-Kreuzberg etwa sind Leute schon für weniger politische Inkorrektheit aus dem Kiez gejagt worden. Aber was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Sollen Schwule nicht heiraten dürfen, solange es immer noch Hartz IV-Empfänger gibt?
Pfaller behauptet, die Postmoderne zeichne sich - anders als die Moderne - durch ihre Politiken der Ungleichheit aus. Nicht mehr der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Teil des gesellschaftlichen Reichtums solle befriedigt werden, sondern lediglich ihrer spezifischen Empfindlichkeit eine symbolische Anerkennung widerfahren. Pfaller qualifiziert sich damit als Verschwörungstheoretiker, auch wenn dieses Theorem unter dem Etikett Verblendungszusammenhang des Kapitalismus schon länger herumspukt. Natürlich war der Kapitalismus demnach nie so blöd, einfach nur Ungleichheit zu erzeugen. Er kaschierte sie durch immer neue Masken.
Pfaller spießt deren jüngste Erscheinung in Form der Diversitätspolitik auf: Die neoliberale Gesellschaft fördere nicht die Ärmeren und Ärmsten, damit diese möglichst so gut wie alle Übrigen leben könnten. Sie fördere vielmehr immer nur Ausnahmen, um alle Übrigen getrost verkommen zu lassen. Dabei ist es doch so einfach: "Wenn man mit den Kämpfen der Diversität beginnt", so Pfaller, komme man niemals zur Gleichheit. Beginne man aber "mit der Gleichheit und gelangt zu einer Lösung, bleibt auch von den Problemen der Diversität nichts mehr übrig".
Wer die Ungleichheit und den davon profitierenden Rechtspopulismus stoppen wolle, müsse sich der Frage stellen, ob die Empörung der verarmenden Bevölkerungsgruppen einen Ausdruck finden kann - und zwar einen anderen als den der rechtspopulistischen Parteien. Zuerst müsse man dafür die Dinge wieder beim Namen nennen. Darum Pfallers Plädoyer für die titelgebende "Erwachsenensprache". Das Durchforsten von Kinderbüchern nach diskriminierenden Begriffen wie "Negerkönig" oder die Kennzeichnung literarischer Texte mit Warnungen seien Ermunterungen zur Empfindlichkeit, die die Erwachsenen infantilisiere und entsolidarisiere.
Wer sich ständig durch das Besondere diskriminiert fühlt, vergesse die Falschheit des Allgemeinen. Was wiederum von den Profiteuren dieser Falschheit beabsichtigt ist. Pfallers Anklage schwingt sich am Ende zu dem Urteil auf, dass es die infamen Sozialdemokraten und Grüne gewesen seien, die sich mit ihren wirtschaftlichen Reformen zum willfährigen Erfüllungsgehilfen der Neoliberalen gewandelt hätten. Ihre an sich begrüßenswerte Diversitäts- und Minderheitspolitik sei darum auch nur ein Täuschungsmanöver gewesen.
Das Problem von Pfallers Anklageschrift liegt darin, dass er auf die Diversitäts-Verfechter einschlägt, obwohl er doch den Kapitalismus treffen wolle. Political Correctness und Anerkennungs-Politik seien nur Masken der neoliberalen Umverteilung nach oben, während die Mehrheit der Menschen verarme. Natürlich geht Pfaller mit solchen Vorwürfen das Risiko ein, dass "der Kapitalismus" oder "die neoliberalen Eliten" davon ohnehin nicht erschüttert werden, während die in ihrem Feminismus- und Genderwahn Verblendeten es ihm übelnehmen werden, wenn er ihre "Empfindlichkeitspolitiken" für Luxussorgenproduktion erklärt, die in ihren Zielen lächerlich sei. "Größtes Pathos für kleinstes Pipifax" überschreibt Pfaller das Kapitel über die "postmodernen Pseudopolitiken" an den amerikanischen Universitäten. Es ist zu bezweifeln, dass er noch einmal eine Einladung zum Vortrag dorthin bekommt.
GERALD WAGNER
Robert Pfaller:
"Erwachsenensprache". Über ihr Verschwinden
aus Politik und Kultur.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2017.
256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jens Bisky kennt den Kulturtheoretiker Robert Pfaller als zuspitzenden, anekdotenreichen Ich-starken Gegenwartsanalytiker. Wenn der Autor das Warnen vor Erwachsenensprache und die neoliberale Entsolidarisierung zusammendenkt, vor der Zerstörung des öffentlichen Raumes und der Veranchlässigung der sozialen Frage zugunsten von Identitätspolitik warnt und für Ironie und Distanz als Mittel gegen die Infantilisierung trommelt, spürt Bisky gleichermaßen notwendige Ideologiekritik und kulturkritisches "Professorenlamento". Ob sich aus der von Pfaller geforderten Gleichheit als Basis tatsächlich alles weitere ergebe, vermag Bisky nicht zu sagen. Den Nachweis, dass echte Solidarität durch radikale Sprachregelungswut oder auch Radikalfeminismus und dergleichen eher verhindert als befördert wird, bleibt ihm der Autor schuldig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Erwachsenheit statt Empfindlichkeit, Belastbarkeit statt Verletzlichkeit meint hier eine lebenserprobte Kunst der Selbstdistanzierung. Sie darf als Errungenschaft souveräner, aufgeklärter Menschen gelten René Scheu Neue Zürcher Zeitung 20180110