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Konrad Sziedat untersucht erstmals systematisch die Hoffnungen, die westdeutsche Linke seit 1980 in die Transformationsprozesse im "Ostblock" setzten. Ausgehend von der Unterstützungskampagne "Solidarität mit Solidarnosc" kann er mit den Möglichkeiten der historischen Netzwerkanalyse zeigen, wie Linke unterschiedlichster ideologischer Orientierung wiederholt zu gemeinsamen Aktionen zusammenfanden. Auch verdeutlicht er an der Historischen Semantik von Begriffen wie "Sozialismus", "dritter Weg" und "Zivilgesellschaft" Erwartungen und Enttäuschungen westdeutscher Linker bis Mitte der 1990er…mehr

Produktbeschreibung
Konrad Sziedat untersucht erstmals systematisch die Hoffnungen, die westdeutsche Linke seit 1980 in die Transformationsprozesse im "Ostblock" setzten. Ausgehend von der Unterstützungskampagne "Solidarität mit Solidarnosc" kann er mit den Möglichkeiten der historischen Netzwerkanalyse zeigen, wie Linke unterschiedlichster ideologischer Orientierung wiederholt zu gemeinsamen Aktionen zusammenfanden. Auch verdeutlicht er an der Historischen Semantik von Begriffen wie "Sozialismus", "dritter Weg" und "Zivilgesellschaft" Erwartungen und Enttäuschungen westdeutscher Linker bis Mitte der 1990er Jahre. Der tiefgreifende Wandel der Linken im späten 20. Jahrhundert wird damit in den größeren Zusammenhang des mittel- und osteuropäischen Umbruchs eingebettet.


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Autorenporträt
Konrad Sziedat, Historiker, München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2020

Als die linke Welt in Unordnung geriet
Die westdeutsche Linke und das "irritierende" Phänomen einer Gewerkschaft in Polen

In der Bundesrepublik war das Ende des "roten Jahrzehnts" mit sozialdemokratisch geführten Regierungen schon 1979 absehbar. Weltpolitisch deuteten sich signifikante Wandlungen im sowjetischen Machtbereich an, wo die UdSSR ganz offensichtlich den Willen zur Macht verlor. Die unabhängige polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc wurde zwar bekämpft, aber die Brutalität fehlte, mit der 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei die Opposition niedergeknüppelt worden war. Welche Konsequenzen zog die westdeutsche Linke aus diesen Veränderungen? Während sich manche kommunistische Kadergruppen mit den Regimes im Ostblock identifizierten und die linksliberale Öffentlichkeit mit "Zurückhaltung und Distanz" auf die als irritierend wahrgenommene Solidarnosc reagierte, gab es auch andere Tendenzen. Der Verfasser der vorliegenden Studie, einer in München entstandenen Dissertation, widmet sich nicht zuletzt der westdeutschen Initiative "Solidarität mit Solidarnosc", deren Kampagne bislang wenig Beachtung gefunden hat.

Zu den rund 60 namentlich bekannten Fürsprechern zählten linke Sozialdemokraten wie Iring Fetscher, Peter von Oertzen und Carola Stern, aber auch versprengte Linke vom Sozialistischen Büro und diverse trotzkistische und maoistische Gruppen. Von den Grünen gehörten Joschka Fischer, Petra Kelly, Otto Schily und Antje Vollmer dazu. Die disparate linksorientierte Hilfsallianz konnte zudem auf Unterstützung von DDR-Dissidenten wie Wolf Biermann, Rudolf Bahro und Stefan Heym zählen. Sie setzten auf eine blockfreie und friedensbewegte Entwicklung, ohne den Sozialismus aufgeben zu wollen. Immer häufiger wurde ein "dritter Weg" für Europa beschworen, eine recht unbestimmte Formel, die allerdings den Vorteil hatte, für manche Linksliberale, Linkssozialisten und Grüne der ersten Generation den kleinsten gemeinsamen Nenner einer Zusammenarbeit zu bilden. Den mächtigen Einfluss der polnischen katholischen Kirche, der quer zur eigenen Ideologie stand, blendeten die linken Solidarnosc-Unterstützer, die ernüchtert aus der "mythologischen Sonderwelt" (Gerd Koenen) ihrer Utopien erwachten, allerdings lieber aus.

In der Zeit des neuen sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow erlahmte die ohnehin bescheidene Initiative "Solidarität mit Solidarnosc"; manche der Linkssozialisten sahen in Gorbatschow zunächst einen Erneuerer, bevor sie schließlich auch diese übersteigerten Hoffnungen auf einen geläuterten Sozialismus Moskauer Prägung fahren lassen mussten.

Die Formel eines "dritten Weges" war umso verführerischer, als er auch nach dem Fall der Mauer und dem Ende des SED-Regimes für orientierungslose und zersplitterte Linkssozialisten ein Rezept für die Zukunft zu sein versprach. Sie deuteten den Zusammenbruch des Herbsts 1989 als Zeichen für eine "friedliche Revolution" und waren umso enttäuschter, als sich die Ostdeutschen in Wahlen für einen anderen Weg entschieden: "Was ist das für eine Revolution, die auf Knien in die Weltbank führt?", klagte hilflos die enttäuschte linke Grüne Jutta Ditfurth auf einer Veranstaltung. Die Ergebnisse der ersten gesamtdeutschen Wahlen führten bei einem Leser der linken "taz" gar zum Vorschlag, "den 3. Oktober unter Vollnarkose zu verbringen".

Zahlreiche Linksintellektuelle in der Bundesrepublik stimmten in diesen Tenor ein. Der Schriftsteller Günter Grass sprach von dem "Schnäppchen namens DDR". Sein Fazit lautete: "Hässlich sieht diese Einheit aus." Jürgen Habermas kritisierte in einem Artikel der "Zeit", der viel darüber verrät, wie ungelegen ihm der ganze Vorgang war, einen "pausbäckigen D-Mark-Nationalismus" und eine angebliche "Anschluss"-Mentalität, ein Vorwurf, der, wie der Verfasser - ein ausgezeichneter Kenner der historischen Netzwerkanalyse - hervorhebt, auf Seiten der Linken "auffällig häufig" erhoben wurde. Auch Grüne befürchteten "nationalistische Großmachtallüren" einer durch die DDR vergrößerten Bundesrepublik. Sie hatten es sich, dem herrschenden Zeitgeist gemäß, bereits in der Zweistaatlichkeit bequem gemacht und wurden in ihrer Erwartungshaltung ebenfalls bitter enttäuscht. Bot der von Bürgerrechtlern und Dissidenten im November 1989 verfasste Aufruf "Für unser Land" eine sozialistische Alternative? Nicht wirklich - seine Wirkung verpuffte endgültig, als selbst Apparatschiks wie der neue Politbüro-Vorsitzende Egon Krenz unterschrieben.

Die folgenden Jahre waren nicht einfacher und hatten für viele Linke den Charakter einer Nabelschau. Mit dem Begriff "Sozialismus" war nicht mehr viel Staat zu machen - er wurde, wie der Verfasser detailliert nachzuzeichnen versteht, zunehmend durch das neue Schlüssel- und Zauberwort der "Zivilgesellschaft" ersetzt.

Die Linken mussten den fortwährend enttäuschten Erwartungen einen Sinn geben, was eine erhebliche Anpassungsleistung erforderlich machte. Konnte man angesichts der fortwährenden ideologischen Niederlagen seinen bisherigen Lebens- und Politisierungsweg überhaupt noch als folgerichtigen Lernprozess darstellen? Die Antworten fielen unterschiedlich aus. Der Grüne Fücks behalf sich mit selbstironischen Distanzierungen, die bei den damals undogmatischen Grünen akzeptabel waren. Andere, wie der Parade-Linke aus dem Parteivorstand der SPD, Peter von Oertzen, der sich weiterhin stolz einen Marxisten nannte, wandten sich hingegen vehement gegen "Renegaten" und warben weiter unbeirrt für einen "dritten Weg zwischen Kapitalismus und Stalinismus": Es wimmle geradezu von "Ex-Marxisten, Ex-Leninisten, Ex-Maoisten", die nun das Ende des Sozialismus verkündeten. Von Oertzen hingegen sah keinen Grund für Resignation und wandte sich gegen das Narrativ von 1989 als dem Jahr der "Enttäuschung." Mit dieser Hartnäckigkeit gerieten er und manche seiner Mitstreiter erst recht ins politische Abseits - eine weitere Facette in der anregenden Studie von Sziedat. Am Schluss wird der Verfasser geradezu fatalistisch: Desillusionierung vollzieht sich, wie er für seinen Untersuchungsgegenstand des deutschen linken Milieus zeigt, in einem prozesshaften Charakter, "denn auf Enttäuschung folgte stets neue Erwartung, die wiederum enttäuscht werden konnte". Nichtsdestotrotz zeigte gerade dieser tiefgreifende Wandel, ausgelöst durch die Vorgänge in Mittel- und Osteuropa, dass die Geschichte der westdeutschen Linken wesentlich durch die Umbrüche der 1980er und 1990er Jahre bestimmt war.

JOACHIM SCHOLTYSECK

Konrad Sziedat: Erwartungen im Umbruch. Die westdeutsche Linke und das Ende des "real existierenden Sozialismus".

De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2019. 357 S., 54,95 [Euro].

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"ein ausgezeichneter Kenner der historischen Netzwerkanalyse" mit einer "anregenden Studie", die zeigt, "dass die Geschichte der westdeutschen Linken wesentlich durch die Umbrüche der 1980er und 1990er Jahre bestimmt war" (Joachim Scholtyseck, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2020, S. 7)

"Die vielfältigen Einordnungsmöglichkeiten belegen den hohen Stellenwert der Arbeit, sowohl für die Wissenschaft als auch für die an Zeitgeschichte interessierte breite Öffentlichkeit (...) Das Buch kann somit nur wärmstens für die Lektüre empfohlen werden." (Dagmara Jajesniak-Quast, H-Soz-Kult, 16.06.2020)

"eine einleuchtende und herausragende Analyse", "ungemein anregend" und "sehr gut geschrieben" (Ilko-Sascha Kowalczuk, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 68 (2020), H. 7/8, S. 682-684)

"eine gut lesbare Darstellung komplexer transnationaler Diskussions-Prozesse, deren Enden - schon allein durch die teils weiterhin aktiven Protagonist_innen - bis in die Gegenwart reichen. Insbesondere bei der anstehenden Erforschung der 1990er Jahre, dem Aufstieg der Grünen zu Regierungspartei und dem Siegeszug marktoptimistischer Ideen innerhalb der Sozialdemokratie, wird Sziedats Buch wohl viel gelesen und zitiert werden." (Nikolai Okunew, sehepunkte, 15.10.2022)

"ein methodisch anspruchsvoller, interessant zu lesender sowie mit einem akribischen Anhang ausgestatteter Beitrag zum Verständnis einer ganzen Kohorte westdeutscher Linker, die bis heute von Bedeutung ist." (Thorsten Holzhauser, Historische Zeitschrift 317 (2023), S. 260-261)

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