Itamar Diskin, der in den USA lebt, und sein Bruder Boas treffen sich seit Jahren in Israel zur sogenannten Brüdernacht, in der sie sich betrinken und über ihre Familie und Itas Frauengeschichten reden. Beide sind inzwischen über sechzig, vertragen auch den selbstgebrannten Feigenschnaps nicht mehr
so gut. Ita, der ältere der beiden, ist nicht nur sehr schön, sondern auch sehr kurzsichtig.
Wir…mehrItamar Diskin, der in den USA lebt, und sein Bruder Boas treffen sich seit Jahren in Israel zur sogenannten Brüdernacht, in der sie sich betrinken und über ihre Familie und Itas Frauengeschichten reden. Beide sind inzwischen über sechzig, vertragen auch den selbstgebrannten Feigenschnaps nicht mehr so gut. Ita, der ältere der beiden, ist nicht nur sehr schön, sondern auch sehr kurzsichtig.
Wir Leser*innen begleiten Ita, den Ich-Erzähler, eine Nacht lang, in der er Boas von einer Nacht erzählt, die 20 Jahre zurückliegt. Allein seiner auffallenden Schönheit ist es zu verdanken, dass er sich in ein erotisches Abenteuer mit einer Frau verstrickt, die ihn von der Bar weg in sein Bett schleppt. Und diese Frau, die sich Sharon nennt, nimmt ihm seine Brille weg – in einem ihm fremden Haus, irgendwo inmitten eines Gewirrs aus Feldwegen, zwischen Zitrushainen, Gemüsebeeten und Avocadoplantagen.
Es war mein erstes Buch von Shalev und ich war sehr gespannt, denn seine Erzählkunst wird überall hoch gelobt. Und das zu recht, wie ich festgestellt habe. Man muss sehr aufmerksam beim Lesen bleiben, denn Itas Erzählungen über Sharon vermischen sich mit den direkten Erwiderungen seines Bruders, schweifen ab zu anderen Episoden seines Lebens, um unvermittelt wieder an die seltsame Nacht anzuknüpfen. Denn es gibt noch eine Frau in Itas Leben – oder besser gesagt, es gab sie – die ihm noch immer durch den Kopf spukt und jetzt auch durch seine Geschichten. Das lässt Boas nicht unkommentiert, mal witzig, bissig, mal ungeduldig und spöttisch. Ich mochte das sehr, wie Shalev das liebevolle Verhältnis der Brüder beschrieben hat, und es entlockte mir oft ein Schmunzeln.
Die ganze Unterhaltung wird immer wieder mit Szenen aus ihrer gemeinsamen Kindheit gemischt, ihre schwierige Beziehung zu ihren Eltern und der noch schwierigeren Beziehung zwischen Mutter und Vater. Dadurch entsteht eine komplexe Geschichte mit Zeitsprüngen, die Shalevs großes erzählerisches Talent zeigt, alle Fäden zusammenzuhalten, sodass man nie den Überblick verliert.
Es ist zwar eine Geschichte über einen Mann, der scheinbar unter seiner Schönheit leidet, aber es ist auch eine Geschichte über Beziehungen. Zwischen den Eltern an sich, zwischen den Eltern und Kindern und den Brüdern. Und nicht zuletzt zu seiner großen Liebe Michal.
Alles ist mit allem verknüpft, lässt sich nicht losgelöst voneinander betrachten. Und so greift es ineinander, wie auch Shalevs Erzählstränge.
Leider hatte ich so meine Probleme mit Sharon im Zusammenspiel mit Ita, bei dem mir keiner der beiden sympathisch war und dass die Spannung durch die Abschweifungen immer wieder abflachte. Aber das mag Geschmacksache sein und tut meinem Gesamteindruck keinen Abbruch.
Mein Fazit: Meir Shalev war ein grandioser Erzähler, der sein Handwerk in Perfektion beherrschte. Allein deshalb lohnt sich das Buch. Ich werde mir nun nach und nach seine älteren Werke zu Gemüte führen.