Mit „Erzählungen aus dem Nachlass“ findet die vierbändige Werksausgabe von Christine Lavant ihren Abschluss, die in den letzten vier Jahren im Göttinger Wallstein Verlag erschien. Während Band 1 ihre „Zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte“ versammelte, präsentierte Band 2 die „Zu Lebzeiten
veröffentlichten Erzählungen“ und im Band 3 folgten die „Gedichte aus dem Nachlass“. Der Abschlussband…mehrMit „Erzählungen aus dem Nachlass“ findet die vierbändige Werksausgabe von Christine Lavant ihren Abschluss, die in den letzten vier Jahren im Göttinger Wallstein Verlag erschien. Während Band 1 ihre „Zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte“ versammelte, präsentierte Band 2 die „Zu Lebzeiten veröffentlichten Erzählungen“ und im Band 3 folgten die „Gedichte aus dem Nachlass“. Der Abschlussband enthält nun eine Auswahl aus der literarischen Prosa der österreichischen Schriftstellerin (1915-1973), die zu ihren Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde - insgesamt vierzehn Erzählungen und ein Erzählfragment; dazu einen Anhang mit lebensgeschichtlichen Dokumenten. Nur zwei Erzählungen sind schon früher in Einzelausgaben erschienen.
Wie viel Prosa Christine Lavant tatsächlich geschrieben hat, ist nicht sicher. Insgesamt sind rund vierzig Erzählungen in den wenigen Jahren von 1945 bis zum Anfang der 1950er Jahre entstanden. Es muss jedoch einiges mehr gewesen sein als das, was in ihrem Nachlass und in diversen Sammlungen aus dem Bekannten- und Freundeskreis überliefert ist. Wahrscheinlich hat sie einige Manuskripte selbst vernichtet.
Herausgegeben wurde der Abschlussband von den beiden Literaturwissenschaftlern Klaus Amann und Brigitte Strasser. Ziel der Ausgabe war es, die Lavant’schen Texte sprachlich und formal möglichst exakt, d.h. so nahe am Original wie möglich, wiederzugeben. In einem umfangreichen Nachwort geht Klaus Amann auf einige Erzählungen aus dem Nachlass ein und beleuchtet außerdem Lavants Eigenart und Stärke als Prosaautorin.
Den Auftakt des Bandes macht die Erzählung „Das Wechselbälgchen“. Die 1998 posthum veröffentlichte Erzählung beschreibt mit großer Eindringlichkeit die Ausgrenzung einer unehelichen Tochter einer Bauermagd aus der dörflichen Gemeinschaft. Lavant verarbeitete in dieser Erzählung eigene schmerzliche Erfahrungen, die auch in anderen Erzählungen wie „Der Taschendieb“ immer wieder anzutreffen sind. Die vierzehn Erzählungen sind von recht unterschiedlicher Länge - von vier Seiten („Eine Mutterstube“) bis zu 140 Seiten („Das Sieben-Rosen-Tuch“). Aber immer sind Krankheit, Armut, Außenseitertum, Glauben und Hoffnung Lavants Themen. So vererbt in „Das Sieben-Rosen-Tuch“ eine fromme Mutter, die im Sterben liegt, an ihre sieben Töchter die christlichen Tugenden: Tüchtigkeit, Sparsamkeit, Frohsinn, Güte, Frömmigkeit und Schweigsamkeit. Für die jüngste Tochter bleibt nur das abgenutzte Tuch mit den sieben Rosen, das vor Armut schützen soll.
Besonders aufschlussreich am Ende des Bandes die beiden autobiografischen Dokumente sowie das Interview für den Österreichischen Rundfunk aus dem Jahr 1968, in dem sie bekannte, dass sie lieber Lyrik als Prosa geschrieben hat: „Vor allem, ich brauch nicht so viel Geduld dazu, gell? Man ist rascher damit fertig.“ Die beiden Prosabände der Edition beweisen jedoch, dass Lavant auch eine exzellente Prosaschriftstellerin war.