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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Musa Okwongas Roman über einen Exilanten
Die meisten Neuankömmlinge rühmen an Berlin die unbegrenzten Möglichkeiten aufzufallen. Neben dem vielen Schlechten, was es oft im selben Atemzug über diese Stadt voller graugekleideter Miesepeter zu sagen gibt, ist es vor allem ihre dagegen rebellierende Buntheit, die die Leute reizt. Musa Okwonga, der in London geborene Sohn ugandischer Oppositioneller des Idi-Amin-Regimes, ist aus einem anderen Grund nach Berlin gekommen. Er wollte nicht auffallen. Er wollte verschwinden.
Das ist erklärungsbedürftig. Also bietet Musa seinen Lesern das barrierefreie Du an, womit der Autor auch sich selbst das Du anbietet. Er durchstreift mit dieser Personalunion aus Autor, Erzähler und Leser das Berlin eines Mannes, der dem Übererfüllungsdruck eines Eton- Stipendiaten afrikanischer Herkunft entkommen möchte: nie zu genügen, ständig etwas beweisen zu müssen. In Berlin, wo angeblich niemand niemandem etwas beweisen muss, soll alles anders werden.
Und schon sitzt man unversehens mit Musa Okwongas Roman-Ich im Kiezcafé, isst dort entweder deutsches Schnitzel oder deutschen Blechkuchen. ("Diese Stadt bietet ja viele Fluchtmöglichkeiten, viele Laster - deins ist Zuckerguss.") Oder man stellt noch einmal fest, dass in Deutschland die Apotheken an Sonntagen geschlossen sind und man sich gefälligst vor dem Wochenende um seine Anti-Kater-Tabletten zu kümmern hat. Der Erzähler spielt Fußball und fühlt sich dabei seltsamerweise als Repräsentant von Uganda - einem Land, das er kaum kennt und in dem sein Vater Anfang der Achtzigerjahre ums Leben kam. Um seinen Schmerz über diesen Verlust zu vergessen, geht Okwongas Erzähler ausgiebig aus in Berlin. Er hat Sex mit allen möglichen Leuten beider Geschlechter. "Das Leben tanzt stets vorwärts" heißt eine Kapitelüberschrift. Und bis hierhin liest sich alles wie ein netter kleiner Selbstfindungstrip für Berlinanfänger. Doch schon im nächsten Kapitel ändert sich der Ton: "Heute versetzt dir Berlin einen Schlag in die Magengrube."
Der Erzähler wird auf dem nächtlichen Heimweg von zwei Frauen rassistisch beleidigt. Im Roman schildert er das tiefe Gefühl von Demütigung und Hilflosigkeit. Zu einem dunkelhäutigen Polizisten sagt er fassungslos: "Sie denken, wir sind Tiere, sagst du. Mein Gott, wie müde deine Stimme klingt."
Auch Berlin, soviel steht fest, ist kein Ort, an dem man als dunkelhäutiger Mann, auch nicht als prekär lebender Künstler, einfach verschwinden kann. Und so beginnt Musa Okwongas Erzähler seine grauen Ich-will-verschwinden-Pullover gegen knallbunte Ich-muss-auf-mich-aufmerksam-machen-Oberteile zu tauschen. Vielleicht kann man in Berlin nur verschwinden, indem man auffällt, denkt er: "Du verbringst viel Zeit damit, darüber nachzudenken, wie du in der weiteren Welt Spuren hinterlassen kannst." Die afroamerikanische Aktivistin Audre Lorde prägte dazu mal den Satz: "Dein Schweigen wird dich nicht beschützen." Und so teilt auch Okwongas Erzähler sich jetzt mit.
Immer wieder kehrt der Text zu seinem Hauptthema zurück. Die Liebe, die Suche nach ihr, die Angst, sie nie zu finden - Dating-Erfahrungen und Social-Media-Aktivitäten eines schwarzen Mannes im Berlin des 21. Jahrhunderts eingeschlossen.
Und schließlich geht es im Roman dann auch klassisch psychotherapeutisch um Selbstliebe, ohne die bekanntlich alles andere nichts ist. "Du bist es wert, gekannt zu werden", lautet die Überschrift eines weiteren Kapitels. Mit diesem Mantra, das dem Autor zur Mission wird, beginnt der Roman-Okwonga eine Therapie bei einem aus Afrika stammenden therapeutischen Heiler. Der verbindet nun das afrikanische Erbe, das nach einem schweren Familientrauma ruht und gleichzeitig an seinem Klienten nagt, mit dem Hier und Jetzt. "Wenn die Kernfamilie explodiert, ist Berlin der Fallout." Okwonga macht sich mithilfe von Doktor Oppong von West-Berlin auf in den Norden von Uganda, ans Grab seines Vaters, in den Wohnort seiner Mutter, zu seinen Onkeln und Cousins. Am Ende wird der Knoten platzen. "Und endlich bist du frei", heißt es auf der letzten Seite. Denn: "Es ging immer nur um Liebe."
Dieser kleine, fast skizzenhafte Roman wirft ein neues Licht auf das multikulturell geprägte Berlin unserer Tage, aber auch auf das Leben eines dunkelhäutigen Menschen an diesem Ort, an dem man ebenso verschwinden wie auffallen, an dem man ebenso verlieren wie gewinnen kann und der sich auch in seinen provinziellsten Aspekten mit der globalisierten Welt immer wieder neu vernetzt. KATHARINA TEUTSCH
Musa Okwonga: "Es ging immer nur um Liebe". Roman.
Aus dem Englischen von Marie Isabel Matthews-Schlinzig. Mairisch Verlag, Hamburg 2022. 152 S., geb., 20,- Euro.
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