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Nach der Migration ist vor der Debatte.
Deutschland ist nicht nur faktisch zu einem Einwanderungsland geworden, sondern auch seinem Selbstverständnis nach. Unsere Gesellschaft lässt sich als »postmigrantisch« beschreiben. »Post« steht dabei nicht für das Ende der Migration, sondern für die gesellschaftlichen Prozesse und Kämpfe, die in der Phase nach der Migration erfolgen: politisch, wirtschaftlich, kulturell. Naika Foroutan hat dazu wegweisende Studien vorgelegt. Sie hat aber auch kontinuierlich Essays publiziert, in denen sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Alltagsbeobachtungen…mehr

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Produktbeschreibung
Nach der Migration ist vor der Debatte.

Deutschland ist nicht nur faktisch zu einem Einwanderungsland geworden, sondern auch seinem Selbstverständnis nach. Unsere Gesellschaft lässt sich als »postmigrantisch« beschreiben. »Post« steht dabei nicht für das Ende der Migration, sondern für die gesellschaftlichen Prozesse und Kämpfe, die in der Phase nach der Migration erfolgen: politisch, wirtschaftlich, kulturell. Naika Foroutan hat dazu wegweisende Studien vorgelegt. Sie hat aber auch kontinuierlich Essays publiziert, in denen sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Alltagsbeobachtungen und -erlebnissen verknüpft. Die vorliegende Auswahl zeigt, wie sich das Sprechen und die Positionen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Bezug auf Zugehörigkeit verändert haben: erst anklopfend-bittend, dann wütend-polemisch und schließlich gelassen-selbstbewusst.

Foroutans alltagsdiagnostische Texte sind ein Spiegel unserer Gesellschaft.

»Naika Foroutan ist eine Public Scientist im wahrsten Sinne des Wortes, eine Wissenschaftlerin, die in der Öffentlichkeit ihre Befunde nicht leisetritt, damit wir auf den Sesseln nicht in Unruhe geraten.« Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung.

Autorenporträt
Naika Foroutan, geboren 1971, wuchs im Iran und in Deutschland auf. Sie ist Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin und Abteilungsleiterin am dortigen Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Sie ist zudem Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Transformation von Einwanderungsländern in postmigrantische Gesellschaften, Islam- und Minderheitenpolitiken sowie Radikalisierung, Rassismus und Islamismus. Für ihre wissenschaftliche Arbeit erhielt sie u.a. den Fritz-Behrens-Preis für exzellente Forschung.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2023

Was ist die Basis der Nation?
Ein Plädoyer für eine "politische" und gegen eine "ethnische" Definition des Gemeinwesens

Was ist die deutsche Nation? Diese Frage beschäftigt das Land seit der Entstehung des modernen Nationalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie steht auch im Zentrum des Buches der Leiterin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin, Naika Foroutan. Es handelt sich um eine Sammlung von Aufsätzen und Artikeln, die zum großen Teil in den vergangenen zehn Jahren an verschiedenen Orten erschienen sind und sich mit jeweils aktuellen Problemen der Migrationsdebatte auseinandersetzen. Ausgangspunkt sind die Thesen von Thilo Sarrazin über die deutsche Migrationspolitik von 2010, denen die Autorin vehement entgegentritt.

Die Debatte über den Charakter der deutschen Nation hat sich als Folge der multiplen Krisen in den vergangenen 15 Jahren intensiviert. Die Deutschen suchen, wie andere Nationen auch, beständig nach dem, was sie zusammenhält. Den ethnischen Nationsbegriff, der das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht bis zu Beginn der 2000er-Jahre prägte, lehnt die Autorin ab.

In der Tat hat sich diese Begründung des Nationalismus in der deutschen Geschichte als die aggressivste erwiesen, die nationalsozialistische Ideologie baute im Kern auf ihr auf. Polemisch zuspitzend argumentiert Naika Foroutan, dass die Gesellschaft in den beiden deutschen Staaten in den 1950er-Jahren als eine Folge der Vernichtungs- und Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten ethnisch homogen gewesen sei. Neuere Forschungen haben allerdings längst nachgewiesen, dass die nationalsozialistische Volksgemeinschaft ein Mythos war und keineswegs die Grundlage für eine ethnisch homogene deutsche Nation bildete. Zuletzt wurde die Idee der ethnischen Nation allerdings wieder als politisches Leitbild der neuen Rechten propagiert.

Intensiv setzt sich die Autorin mit der Religion als Grundlage nationaler Einheit auseinander. Hier geht es allerdings nicht um das Christentum als Basis der deutschen Nation, wie es beispielsweise in der Debatte über die Inschrift an der Kuppel des rekonstruierten Berliner Stadtschlosses diskutiert wurde. Naika Foroutan argumentiert, dass der Islam eine wichtige Rolle spielt, und zwar in negativer Hinsicht. Muslime, so ihre Argumentation, würden in Deutschland als Gefahr angesehen und so aus der deutschen Nation ausgegrenzt, selbst wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Schüler mit muslimischen Namen würden schlechter bewertet als jene mit typisch deutschen Namen, auch bei Bewerbungsverfahren um Arbeitsplätze oder bei der Wohnungssuche sei ein muslimischer Name von Nachteil.

Die deutsche Nation, so die Folge, konstituiere sich daher nicht im positiven Sinne durch eine gemeinsame Religion, die sie als deutsch empfinde, sondern in negativer Weise, indem sie den Islam als nichtdeutsch ablehne. Das allerdings hält sie für völlig überzogen. In der Bundesrepublik bekennen sich heute nur ungefähr 5,5 Millionen Menschen zum Islam, das sind etwa 6,5 Prozent der Bevölkerung. Diese bilden in politischer und religiöser Hinsicht zudem keineswegs eine Einheit. Allerdings geht die Autorin nicht darauf ein, dass der Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Deutschland seit den 1970er-Jahren stark angestiegen ist. Ebenso unerwähnt bleibt, dass die diffuse Angst vieler Deutscher vor dem Islam eng verbunden ist mit den islamistischen Attentaten in europäischen Großstädten und den USA in den vergangenen zwanzig Jahren. Die Differenzierung zwischen dem Islam als Religion und dem politischen Islamismus überfordert viele Menschen.

Naika Foroutan ist eine Anhängerin der politischen Nation in Deutschland. Geradezu begeistert berichtet sie über die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck vom 22. Mai 2014, die für sie eine "Zeitenwende" darstellt. Gauck hatte sich anlässlich des fünfundsechzigsten Jahrestages der Verabschiedung des Grundgesetzes vor einer Gruppe von eben eingebürgerten Deutschen für ein neues Nationalgefühl ausgesprochen. Die Basis dieser Nation, so der Bundespräsident, dürfe aber nicht die Religion, die Herkunft oder die Hautfarbe sein, sondern das gemeinsame Bekenntnis zu den Idealen des Grundgesetzes. Hiervon ausgehend, plädiert Foroutan für eine neue "Narration" der Nation in Deutschland, die die Geschichte der Migration in positiver Weise berücksichtigt. Die Arbeitsmigration der 1950er- und 1960er-Jahre habe den Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit erst ermöglicht, ohne die tatkräftige Unterstützung der Migranten hätte die Bundesrepublik Deutschland den heutigen Wohlstand nicht erreichen können, weil es für den Wiederaufbau nicht genügend Arbeitskräfte gegeben habe. So würden die Migranten in die bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit integriert und Bestandteil einer nationalen Erzählung.

Ein anderes Narrativ könnte die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung miteinander verbinden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund zwölf Millionen Deutsche aus den östlichen Gebieten des ehemaligen Reiches vertrieben und fanden zum großen Teil in der Bundesrepublik Deutschland unter sehr schwierigen Bedingungen eine neue Heimat. Auch diese Integration lief nicht ohne Konflikte ab, im Gegenteil, die Menschen kamen in ein Land, dessen Städte und Infrastrukturen zerstört waren. Die Zuwanderer wurden von den Einheimischen auch keineswegs begeistert aufgenommen, sondern als Konkurrenz im Kampf um Wohnraum, Arbeitsplätze und Nahrungsmittel gesehen. Mit der Flucht von Menschen vor den Kriegen in Syrien und der Ukraine wiederhole sich diese Geschichte. Deutschland, so meint Naika Foroutan, solle sich daher als Einwanderungsnation verstehen, deren politische Basis das Grundgesetz ist. Als Vorbild sieht sie die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich seit den 1960er-Jahren als "Nation of Immigrants" verstehen, oder Kanada, dessen Leitspruch "Unity in Diversity" ist.

Das Buch ist Bestandteil einer Diskussion über die deutsche Nation, die seit der Sarrazin-Debatte 2010 entstanden ist. Auch wenn die meisten der Beiträge mit Fußnoten versehen sind und so einen wissenschaftlichen Anspruch signalisieren, ist das Buch doch insgesamt eher eine Streitschrift in der Debatte um die Migration und die deutsche Identität seit 2010. Naika Foroutan bezieht in dieser Diskussion eindeutig Stellung und verfolgt auch ein konkretes politisches Ziel. GUIDO THIEMEYER

Naika Foroutan: Es wäre einmal deutsch.

Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 270 S., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Arno Widmann empfiehlt die gesammelten Aufsätze der Integrationsforscherin Naika Foroutan aus über zehn Jahren. Zu lernen ist laut Widmann, wie Deutschland Einwanderungsland wurde, welche Etappen es dabei durchlief und wie das Deutsche auf diesem Weg "umdefiniert" wurde und das Multikulturelle sich immer mehr ausprägte. Die eigenen, in die Text einfließenden Immigrationserfahrungen der Autorin findet Widmann wertvoll, weil sie unter anderem verdeutlichen, dass die Zuschreibung "Ausländer" von einer neuen Generation mit Stolz getragen wird. Für Widmann steht nach der Lektüre fest: Besser als Leitkultur wäre eine Vielfalt der Kulturen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Naika Foroutan schildert in 'Es wäre einmal deutsch' die Etappen der Migration - eine Geschichte der Widerstände und Erfolge.« Frankfurter Rundschau 20231124