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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Was Österreich für Europa tun könnte
"Europa - also wir alle", heißt es in einer Interjektion Franz Vranitzkys. Man könnte die Phrase aus dem Vorwort des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers als gemeinsamen Nenner von knapp drei Dutzend Beiträgen nehmen, die ziemlich weit gestreute politische Felder beackern. Sie sind in dem Bändchen "Europa neu denken" zusammengefasst, das die "Österreichische Gesellschaft für Europapolitik" (ÖGfE) vor der Wahl des Straßburger Parlaments herausgebracht hat. Die knappen Texte à vier, fünf Seiten sollen Ideen darüber vermitteln, welche Beiträge Österreich dreißig Jahre nach seinem Beitritt zur Europäischen Union leisten kann, "um Europa insgesamt besser zu machen", wie ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt schreibt.
Das Buch ist in vielerlei Hinsicht sehr österreichisch, nicht nur, weil es schmuck gestaltet ist. Alle wesentlichen organisierten Interessenvertreter vertreten ihre Interessen, ohne dabei einander wehzutun. Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, Gewerkschaft, Industriellenvereinigung, kein Akteur der herkömmlichen Sozialpartnerschaft wird ausgelassen (nicht von ungefähr sind darunter auch die Träger der ÖGfE). Ergänzt werden sie durch die historisch neueren "grünen" Teilhaber des öffentlichen Diskurses, abgebildet durch Umweltschutzorganisationen oder die frühere Grünen-Vorsitzende Ulrike Lunacek. Politiker als Autoren sind freilich Ausnahme, dafür kommen auch Institutionen wie die Nationalbank, die Bundesbahnen, Energieversorger etc., ein paar Wissenschaftler und Diplomaten sowie Organisationen wie Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen zu Wort.
Alles schön ausgewogen also, aber lohnt es sich auch, das Buch zu lesen? Wie meist bei solchen Sammelbänden muss man sagen: teils-teils. Dass die Arbeiterkammerpräsidentin den Green Deal sozial machen will, hätte man sich auch ohnedies gedacht. Dass der Wirtschaftskammerpräsident sich für Wettbewerbsfähigkeit stark macht, auch. Wenig verpasst, wer Beiträge überblättert, die schon mit Gemeinplätzen beginnen wie "Die Welt befindet sich in einem fundamentalen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruch".
Aber es ist natürlich eine Frage des persönlichen Interesses, worauf man anspringt. Der Rezensent findet zum Beispiel bemerkenswert, wie Martin Weiss dazu aufruft, in Österreich einen Ruf als "Amerika-Versteher" statt als "Russland-Versteher" aufzubauen. Das ist zwar in seinem Fall beruflich naheliegend, denn er ist Wiens Botschafter in Washington, aber gewiss nicht eine Forderung, mit der er in der Heimat auf billigen Beifall hoffen darf.
Dass ein Plädoyer im eigenen geschäftlichen Interesse unterhaltsam formuliert sein kann, beweist Bahnchef Andreas Matthä. Er preist die ÖBB-Kompetenz für grenzüberschreitende Nachtzüge und legt dar, was getan werden müsste, um dem "rollenden Hotel" im Wettbewerb mit dem Flugzeug fairere Bedingungen zu schaffen. Fritz Hausjell von Reporter ohne Grenzen macht Vorschläge für europäische digitale Vertriebsunternehmen, die auch private Medien nutzen können, um bei der Verbreitung ihrer Inhalte etwas unabhängiger von den globalen Digitalgiganten zu werden. Aus dem Allen-wohl-und-niemand-weh der Texte sticht das Plädoyer von Wolfgang Müller-Funk "für die Neutralisierung der Neutralität" hervor.
Der Ansatz der Herausgeber, Europapolitik sachbezogen, konstruktiv, frei von Parteipolitik und konkret für ihr Land (hier Österreich) durchzudeklinieren, ist löblich. Zielpublikum sind offensichtlich nicht Experten, die in ihren Fachgebieten jeweils wenig Neues finden dürften, sondern interessierte Bürger. Ob man diese freilich erreicht, wenn die Texte teils bis an den Rand der Leserlichkeit mit Doppelpunkten durchgegendert werden, ist allerdings fraglich. STEPHAN LÖWENSTEIN
Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (Hrsg.): Europa neu gedacht.
Czernin Verlag, Wien 2024. 172 S., 22,- Euro.
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