Nach 1989 waren Landkarten plötzlich nicht länger in Mode. Die Grenzen sollten geöffnet werden für Menschen, Güter, Kapital und Ideen. An die Stelle der alten Karten traten Graphiken, welche die ökonomische Verflechtung innerhalb der EU illustrierten. Heute erleben wir einen ideologischen Gezeitenwechsel: Wo die Mehrheit der Europäer noch vor einigen Jahren optimistisch auf die Globalisierung blickte, empfinden sie Migration und die Rückkehr der Geopolitik als Quelle der Unsicherheit. Ivan Krastev untersucht die Ursachen für diesen Wandel und erörtert, welche Formen die europäische Desintegration annehmen könnte. Ein Zerfall der EU, so Krastev, wäre eine Tragödie, die den Kontinent zu internationaler Bedeutungslosigkeit verurteilen würde.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017Was fehlt? Was quält?
Drei Neuerscheinungen über die Europäische Union zeigen, dass oft nationalstaatliche Perspektiven den Blick auf die Krise trüben.
Von Marian Nebelin
Zu den Begleiterscheinungen länger andauernder politischer Krisen gehört eine erhöhte Produktion von Texten, in denen die Krise selbst thematisiert und analysiert wird. Im Idealfall entstehen dann Orientierungshilfen und Inspirationen. Krisentexte dienen zuvorderst der Selbstversicherung. Einen Anstieg der Textproduktion bewirkt auch eine der drängendsten Krisen der Gegenwart: die des politischen Europas. Zwar ist die Behauptung, der Kontinent und seine politischen Institutionen befänden sich in einer Krise, wahrscheinlich so alt wie der Europabegriff selbst. Doch die aktuelle Krise insbesondere der Staaten der Europäischen Union gewinnt ihre besondere Bedeutung aus dem Umstand, dass es sich um ein schwer zu durchschauendes Geflecht mehrerer, einander wechselseitig bedingender und verstärkender Krisentendenzen handelt: Je nach Blickwinkel dominiert die Einschätzung, es mit einer Banken- und Finanz-, einer Wirtschafts- und Sozial- oder einer Verfassungs- und Demokratiekrise zu tun zu haben.
Erfahrung und Wahrnehmung der Krise forcieren politische Lagerbildungen, die geographisch grob entlang der Bruchlinien verlaufen, die das moderne Europa im 20. Jahrhundert zerteilten. Diese Lagerbildungen sind zugleich wirtschaftspolitische, die klassische Differenzen von "linken" und "rechten" Vorstellungen widerspiegeln, ohne sich darin zu erschöpfen. Das Primat der nationalstaatlichen Perspektive scheint alle politischen Gemeinsamkeiten zwischen den großen politischen Strömungen zu überlagern. In der Krisenliteratur treten diese gleichsam "geopolitisch" ausdifferenzierten und zugleich beschränkten Sichtweisen besonders deutlich bei drei Bänden hervor, die als Exponenten jeweils einer dieser geopolitischen Perspektiven vorgestellt werden sollen. Ihr gemeinsames Thema ist die Krise Europas als Krise der Europäischen Union; ihre Analysen und Lösungsvorschläge aber sind deutlich unterschiedlich.
Das wird schon an den jeweiligen Krisendeutungen ersichtlich. So wird in einem von dem in Düsseldorf lehrenden Historiker Hein Hoebink und dem damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dem heutigen NRW-Innenminister Herbert Reul herausgegebenen Sammelband die Krise Europas in erster Linie als eine "Vertrauenskrise" beschrieben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird die sogenannte Austeritätspolitik als alternativlos hingenommen oder charakterisiert - eine Auffassung, die den Band nicht nur zum Exponenten der Position des gemäßigten deutschen Konservativismus, sondern auch der von der Wirtschafts- und Sozialkrise nur relativ schwach betroffenen Staaten Nord- und Mitteleuropas macht.
Infolge der weitgehenden Ausblendung der Sorgen der ökonomischen Krisenverlierer werden zumeist Reformen im Bereich der politischen Kommunikation oder aber der politischen Institutionen angemahnt. Den konkretesten Reformvorschlag stellt der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), vor. Er plädiert für eine weitergehende "Parlamentarisierung" Europas und fordert dafür konkret die üblicherweise von den meisten proeuropäischen EU-Parlamentariern gewünschte Ausweitung der Initiativ- und Kontrollrechte des EU-Parlaments. Davon verspricht er sich eine weitergehende Demokratisierung der EU.
Vorgeblich dasselbe Ziel verfolgen auch der französische Ökonom Thomas Piketty und seine Mitstreiter, die nicht nur Überlegungen, sondern direkt einen kommentierten Entwurf für einen "Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone" vorgelegt haben. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Idee, die von Fragen der machtpolitischen Durchsetzung weitgehend absieht, gegenüber Webers Modell möglicherweise sogar einen Rückschritt darstellen würde: Ähnlich wie jüngst der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fordern die Autoren einen institutionellen Ausbau der Eurozone, die unter anderem einen eigenen Haushalt erhalten soll. Piketty und seine Kollegen streben dabei die "Demokratisierung der Steuerung der Eurozone" an, um die dort gefällten Entscheidungen einer unmittelbareren demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.
Dazu schlagen sie die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung vor. Diese soll allerdings aus Vertretern der nationalen Parlamente sowie des EU-Parlaments gebildet werden; von einer Direktwahl kann also keine Rede sein. Obskur bleibt, wie sich in einer dem Modell nach von den Abgeordneten nationaler Parlamente dominierten Versammlung "die möglichen Umrisse einer wirklich transnationalen Politik abzeichnen" sollen. Die Hoffnung der Autoren ist wohl, dass die gemäß nationalem Parteienproporz entsandten Abgeordneten auf europäischer Ebene neue Koalitionen eingehen und dann in den Nationalstaaten auch für die Umsetzung der Beschlüsse Sorge tragen.
Dass Abgeordnete jedoch ihrerseits die Perspektiven und (Koalitions-)Verpflichtungen aus ihren Nationalstaaten mitbringen könnten, blenden die Autoren völlig aus. Zu sehr sind sie auf ihre eigentliche Pointe fixiert: Ihren - allerdings vor der Bundestagswahl 2017 entwickelten - Kalkulationen zufolge dürfte es in der Versammlung eine linke Mehrheit geben. Diese könnte dann die von den Autoren für notwendig erachtete Revision der Austeritätspolitik veranlassen. Diese Fokussierung verdeutlicht, dass die Perspektive der Autoren die der west- und südeuropäischen Staaten ist, die von der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise am stärksten betroffen sind.
Demgegenüber geht der bulgarische Politologie Ivan Krastev in einem vor allem für eine amerikanische Leserschaft verfassten Band davon aus, dass die sogenannte Flüchtlingskrise das vorherrschende Krisenmoment sei. Krastev nimmt dabei die Perspektive eines Osteuropäers ein, wobei er sich selbst einer Generation zurechnet, die in besonderem Maße durch die Erfahrung vom Untergang der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Paktes geprägt worden sei. Die Konsequenzen dieser Perspektive seien radikal: Die von den Eliten angeblich hingenommene Migrationswelle des Jahres 2015 ("Europas 11. September") habe zu Gefühlen der Ohnmacht sowie zu Ängsten vor wirtschaftlichen und sozialen Schäden und einem Verlust kultureller Identität geführt. Die Konsequenz sei eine Gegenreaktion, die eine Demokratiekrise auslöse und einen "Niedergang des Menschenrechtsdiskurses" herbeiführe: Ein "Zeitalter des Ressentiments" beginne, in dem die Demokratie als Staatsform nicht länger "die Emanzipation von Minderheiten fördert", sondern "die Vorurteile von Mehrheiten stärkt". Demokratie werde dann zum Mittel der Exklusion.
Problematisch an Krastevs Deutung ist freilich bereits die Chronologie: Gerade autoritäre Entwicklungen wie die in Ungarn setzten vor der Flüchtlingskrise ein, so dass man in dieser allenfalls einen Trendverstärker ausmachen kann. Die Ursachen für die autoritären und rechtsstaatsfeindlichen Tendenzen in einigen Mitgliedstaaten der EU wird man folglich in anderen Entwicklungen zu suchen haben. Am Ende lässt deshalb auch Krastevs Deutung seine Leserinnen und Leser unbefriedigt zurück.
Diese Unzufriedenheit hängt damit zusammen, dass alle drei vorgestellten Bücher Augenblicksdokumente sind: Keines von ihnen besitzt politisch bleibenden Wert. Die wahrhaftige Bedeutung dieser Texte liegt vielmehr in der Bewusstmachung einer Lücke. Sie schärfen das Bewusstsein von dem, was fehlt: eine Perspektive, welche die unterschiedlichen Blickwinkel auf Europa miteinander zu versöhnen vermag. Solange die Krisenwahrnehmungen regional dermaßen differieren, kann bereits von der notwendigen grundlegenden Einheit in der Vielfalt einer europäischen Identität noch nicht die Rede sein. Es bedarf einer verbindenden Perspektive, die es möglich macht, auch die Interessen des anderen mit zu berücksichtigen: Nur aus einer solchen Sicht heraus kann jene "Demonstration" der "Überlebensfähigkeit" der EU gelingen, von der Krastev hofft, sie könne "in Zukunft vielleicht zu einer wichtigen Legitimitätsquelle werden".
Stéphanie Hennette/ Thomas Piketty/Guillaume Sacriste/Antonie Vauchez: Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone.
C. H. Beck Verlag, München 2017. 89 S., 10,- [Euro].
Hein Hoebink/Herbert Reul (Herausgeber): Wir brauchen das Vereinte Europa!
Klartext Verlag, Essen 2017. 334 S., 17,95 [Euro].
Ivan Krastev: Europadämmerung. Ein Essay.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 143 S., 14,- [Euro].
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Drei Neuerscheinungen über die Europäische Union zeigen, dass oft nationalstaatliche Perspektiven den Blick auf die Krise trüben.
Von Marian Nebelin
Zu den Begleiterscheinungen länger andauernder politischer Krisen gehört eine erhöhte Produktion von Texten, in denen die Krise selbst thematisiert und analysiert wird. Im Idealfall entstehen dann Orientierungshilfen und Inspirationen. Krisentexte dienen zuvorderst der Selbstversicherung. Einen Anstieg der Textproduktion bewirkt auch eine der drängendsten Krisen der Gegenwart: die des politischen Europas. Zwar ist die Behauptung, der Kontinent und seine politischen Institutionen befänden sich in einer Krise, wahrscheinlich so alt wie der Europabegriff selbst. Doch die aktuelle Krise insbesondere der Staaten der Europäischen Union gewinnt ihre besondere Bedeutung aus dem Umstand, dass es sich um ein schwer zu durchschauendes Geflecht mehrerer, einander wechselseitig bedingender und verstärkender Krisentendenzen handelt: Je nach Blickwinkel dominiert die Einschätzung, es mit einer Banken- und Finanz-, einer Wirtschafts- und Sozial- oder einer Verfassungs- und Demokratiekrise zu tun zu haben.
Erfahrung und Wahrnehmung der Krise forcieren politische Lagerbildungen, die geographisch grob entlang der Bruchlinien verlaufen, die das moderne Europa im 20. Jahrhundert zerteilten. Diese Lagerbildungen sind zugleich wirtschaftspolitische, die klassische Differenzen von "linken" und "rechten" Vorstellungen widerspiegeln, ohne sich darin zu erschöpfen. Das Primat der nationalstaatlichen Perspektive scheint alle politischen Gemeinsamkeiten zwischen den großen politischen Strömungen zu überlagern. In der Krisenliteratur treten diese gleichsam "geopolitisch" ausdifferenzierten und zugleich beschränkten Sichtweisen besonders deutlich bei drei Bänden hervor, die als Exponenten jeweils einer dieser geopolitischen Perspektiven vorgestellt werden sollen. Ihr gemeinsames Thema ist die Krise Europas als Krise der Europäischen Union; ihre Analysen und Lösungsvorschläge aber sind deutlich unterschiedlich.
Das wird schon an den jeweiligen Krisendeutungen ersichtlich. So wird in einem von dem in Düsseldorf lehrenden Historiker Hein Hoebink und dem damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dem heutigen NRW-Innenminister Herbert Reul herausgegebenen Sammelband die Krise Europas in erster Linie als eine "Vertrauenskrise" beschrieben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird die sogenannte Austeritätspolitik als alternativlos hingenommen oder charakterisiert - eine Auffassung, die den Band nicht nur zum Exponenten der Position des gemäßigten deutschen Konservativismus, sondern auch der von der Wirtschafts- und Sozialkrise nur relativ schwach betroffenen Staaten Nord- und Mitteleuropas macht.
Infolge der weitgehenden Ausblendung der Sorgen der ökonomischen Krisenverlierer werden zumeist Reformen im Bereich der politischen Kommunikation oder aber der politischen Institutionen angemahnt. Den konkretesten Reformvorschlag stellt der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), vor. Er plädiert für eine weitergehende "Parlamentarisierung" Europas und fordert dafür konkret die üblicherweise von den meisten proeuropäischen EU-Parlamentariern gewünschte Ausweitung der Initiativ- und Kontrollrechte des EU-Parlaments. Davon verspricht er sich eine weitergehende Demokratisierung der EU.
Vorgeblich dasselbe Ziel verfolgen auch der französische Ökonom Thomas Piketty und seine Mitstreiter, die nicht nur Überlegungen, sondern direkt einen kommentierten Entwurf für einen "Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone" vorgelegt haben. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Idee, die von Fragen der machtpolitischen Durchsetzung weitgehend absieht, gegenüber Webers Modell möglicherweise sogar einen Rückschritt darstellen würde: Ähnlich wie jüngst der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fordern die Autoren einen institutionellen Ausbau der Eurozone, die unter anderem einen eigenen Haushalt erhalten soll. Piketty und seine Kollegen streben dabei die "Demokratisierung der Steuerung der Eurozone" an, um die dort gefällten Entscheidungen einer unmittelbareren demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.
Dazu schlagen sie die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung vor. Diese soll allerdings aus Vertretern der nationalen Parlamente sowie des EU-Parlaments gebildet werden; von einer Direktwahl kann also keine Rede sein. Obskur bleibt, wie sich in einer dem Modell nach von den Abgeordneten nationaler Parlamente dominierten Versammlung "die möglichen Umrisse einer wirklich transnationalen Politik abzeichnen" sollen. Die Hoffnung der Autoren ist wohl, dass die gemäß nationalem Parteienproporz entsandten Abgeordneten auf europäischer Ebene neue Koalitionen eingehen und dann in den Nationalstaaten auch für die Umsetzung der Beschlüsse Sorge tragen.
Dass Abgeordnete jedoch ihrerseits die Perspektiven und (Koalitions-)Verpflichtungen aus ihren Nationalstaaten mitbringen könnten, blenden die Autoren völlig aus. Zu sehr sind sie auf ihre eigentliche Pointe fixiert: Ihren - allerdings vor der Bundestagswahl 2017 entwickelten - Kalkulationen zufolge dürfte es in der Versammlung eine linke Mehrheit geben. Diese könnte dann die von den Autoren für notwendig erachtete Revision der Austeritätspolitik veranlassen. Diese Fokussierung verdeutlicht, dass die Perspektive der Autoren die der west- und südeuropäischen Staaten ist, die von der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise am stärksten betroffen sind.
Demgegenüber geht der bulgarische Politologie Ivan Krastev in einem vor allem für eine amerikanische Leserschaft verfassten Band davon aus, dass die sogenannte Flüchtlingskrise das vorherrschende Krisenmoment sei. Krastev nimmt dabei die Perspektive eines Osteuropäers ein, wobei er sich selbst einer Generation zurechnet, die in besonderem Maße durch die Erfahrung vom Untergang der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Paktes geprägt worden sei. Die Konsequenzen dieser Perspektive seien radikal: Die von den Eliten angeblich hingenommene Migrationswelle des Jahres 2015 ("Europas 11. September") habe zu Gefühlen der Ohnmacht sowie zu Ängsten vor wirtschaftlichen und sozialen Schäden und einem Verlust kultureller Identität geführt. Die Konsequenz sei eine Gegenreaktion, die eine Demokratiekrise auslöse und einen "Niedergang des Menschenrechtsdiskurses" herbeiführe: Ein "Zeitalter des Ressentiments" beginne, in dem die Demokratie als Staatsform nicht länger "die Emanzipation von Minderheiten fördert", sondern "die Vorurteile von Mehrheiten stärkt". Demokratie werde dann zum Mittel der Exklusion.
Problematisch an Krastevs Deutung ist freilich bereits die Chronologie: Gerade autoritäre Entwicklungen wie die in Ungarn setzten vor der Flüchtlingskrise ein, so dass man in dieser allenfalls einen Trendverstärker ausmachen kann. Die Ursachen für die autoritären und rechtsstaatsfeindlichen Tendenzen in einigen Mitgliedstaaten der EU wird man folglich in anderen Entwicklungen zu suchen haben. Am Ende lässt deshalb auch Krastevs Deutung seine Leserinnen und Leser unbefriedigt zurück.
Diese Unzufriedenheit hängt damit zusammen, dass alle drei vorgestellten Bücher Augenblicksdokumente sind: Keines von ihnen besitzt politisch bleibenden Wert. Die wahrhaftige Bedeutung dieser Texte liegt vielmehr in der Bewusstmachung einer Lücke. Sie schärfen das Bewusstsein von dem, was fehlt: eine Perspektive, welche die unterschiedlichen Blickwinkel auf Europa miteinander zu versöhnen vermag. Solange die Krisenwahrnehmungen regional dermaßen differieren, kann bereits von der notwendigen grundlegenden Einheit in der Vielfalt einer europäischen Identität noch nicht die Rede sein. Es bedarf einer verbindenden Perspektive, die es möglich macht, auch die Interessen des anderen mit zu berücksichtigen: Nur aus einer solchen Sicht heraus kann jene "Demonstration" der "Überlebensfähigkeit" der EU gelingen, von der Krastev hofft, sie könne "in Zukunft vielleicht zu einer wichtigen Legitimitätsquelle werden".
Stéphanie Hennette/ Thomas Piketty/Guillaume Sacriste/Antonie Vauchez: Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone.
C. H. Beck Verlag, München 2017. 89 S., 10,- [Euro].
Hein Hoebink/Herbert Reul (Herausgeber): Wir brauchen das Vereinte Europa!
Klartext Verlag, Essen 2017. 334 S., 17,95 [Euro].
Ivan Krastev: Europadämmerung. Ein Essay.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 143 S., 14,- [Euro].
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»Mit analytischem Scharfsinn erklärt der bulgarische Politologe, wie die Flüchtlingskrise die EU erschütterte und den überwunden geglaubten Nationalismus wieder anfeuerte.« Gordana Mijuk NZZ am Sonntag 20241124